Was kommt heraus, wenn man Straßen mit Smartphones kreuzt? Andreas Klok Pedersen, Partner des dänischen Architekturbüros Bjarke Ingels Group, hat auf diese Frage spektakuläre Antworten: In seinem Plasti City genannten Konzept gleichen die Chausseen der Zukunft riesigen Displays aus LED-Leuchten. "Straßen reagieren auf ihre Umwelt", sagt er.
Fahrspuren, Verkehrsschilder und Ampeln gibt es nicht mehr - stattdessen organisiert sich der Verkehr spontan: Bunte Pfeile im Boden zeigen an, wohin computergesteuerte Autos fahren. Leuchtende Kreise markieren Fußgänger, um sie besser sichtbar zu machen. Und am Wochenende verwandeln die Leuchtmarkierungen die Straße in einen Marktplatz oder ein Fußballfeld.
So ausgefallen die High-Tech-Vision klingt, die Pedersen in Berlin-Mitte verwirklichen will - sie zeigt, welches Potenzial für neue Mobilitätsideen in unseren Städten buchstäblich auf der Straße liegt. Selbst wenn Teile der Infrastruktur zu vergreisen drohen. Gebaut wird weiter massiv: Tag für Tag sprießen neue Verkehrsadern ins Land. Bis 2050, schätzt die Internationale Energie Agentur (IEA), werden für 33 Billionen US-Dollar neue Straßen ausgerollt. Die Länge der weltweiten Verkehrswege erreicht dann 70 Millionen Kilometer. Die von ihnen bedeckte Fläche wäre so groß wie Deutschland.
Verschwendung
Dieses Terrain nur als Rollbahn zu verwenden halten Forscher zunehmend für Verschwendung. Sie glauben, dass unser Straßennetz - das größte Bauwerk, das die Menschheit je errichtet hat - viel mehr sein kann als nur eine elend lange, dumme Teerwüste. Wenn Autos intelligent werden und Handys smart - warum sollen dann nicht auch Straßen neue Aufgaben erfüllen?
Energie erzeugen zum Beispiel: Startups wie Solarroadways in den USA wollen Straßen in Sonnenkollektoren verwandeln. Ein niederländisches Unternehmen arbeitet an einer temperaturempfindlichen Fahrbahnfarbe, die Autofahrer bei Frost vor Glatteis warnt. Und in Mannheim lädt Asphalt künftig Linienbusse an der Haltestelle per Drahtlosstrom auf.
Teure Träume
Das klingt nach teuren Träumen. Doch tatsächlich könnte die Technik immense Kosten sparen: Staus kosten die deutsche Wirtschaft 7,8 Milliarden Euro im Jahr, so der US-Verkehrsinformationsdienst Inrix. Und laut IEA verursacht der Straßenverkehr rund 16,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen - mit enormen Folgekosten, die auf keiner Straßenbaurechnung stehen. Ebenso wenig wie die rund 1,2 Millionen Verkehrstoten Jahr für Jahr.
Zumal künftig noch deutlich mehr Menschen und Güter unterwegs sein werden. Experten sind überzeugt: Wenn mit dem Verkehrsaufkommen nicht auch Unfälle, Staus und Schadstoffe noch weiter wachsen sollen, müssen Straßen smart werden. Sie müssen helfen, den Verkehr besser zu organisieren - und darüber hinaus vielleicht auch ganz neue Funktionen übernehmen.
Sensible Straßen
Jeden Abend beginnt in deutschen Innenstädten ein trauriges Schauspiel: Autofahrer manövrieren durch die Wohnviertel auf der Suche nach dem einen letzten freien Parkplatz. Das Gekurve kostet Millionen Menschen Zeit, Sprit und Nerven. Forscher schätzen, dass ein Drittel des Verkehrs in Innenstädten allein durch die Stellplatzsuche zustande kommt.
In Braunschweig soll das ein Ende haben. Dort testet das US-Startup Streetline zusammen mit dem Industriekonzern Siemens ein System, das Autofahrer per Smartphone-App zum freien Parkplatz navigiert. Dazu installiert Streetline Sensoren im Asphalt, die erkennen, ob dort ein Auto steht. Per Funk gelangen die Informationen an einen Server im Internet und von dort in die App. Noch sind in Braunschweig nur 60 Testsensoren installiert - in San Francisco dagegen sind es schon 7000. Wenn 100.000 Autofahrer dreimal pro Woche die Park-App nutzen, behauptet Streetline, spare das 670.000 Liter Benzin im Jahr.
Eine weitere Technik, mit der Straßen künftig Informationen weitergeben, entwickelte die Amerikanerin Elizabeth Redmond. Sie baut mit ihrem Startup Powerleap Gehwegplatten, unter denen druckempfindliche Materialien Strom erzeugen. Der kann Sensoren betreiben, die per Funk Straßenlaternen aktivieren, wenn Fußgänger unterwegs sind.
Sensoren
Die passenden Laternen, die solche Informationen verarbeiten, gibt es schon - zum Beispiel in der niederländischen Stadt Tulberg. Die Lichter werden automatisch heller, wenn Sensoren Fußgänger und Fahrzeuge registrieren. Die Technik, die unter anderem der Elektronikhersteller Philips anbietet, vermeidet gegenüber modernsten, ohnehin sehr genügsamen LED-Lampen weitere 30 Prozent Energie. In Deutschland ließen sich mit solch genügsamen Lampen jährlich mehr als 100 Millionen Euro sparen, ergab eine Befragung von mehr als 340 Gemeinden durch die Berater von PricewaterhouseCoopers (PwC). Bisher gehen viele Gemeinden anders vor: Jede vierte stellt Laternen nachts zum Teil komplett ab.
Der niederländische Designer Daan Roosegaarde findet all das nicht akzeptabel. "Wir brauchen derzeit eine Menge Hardware und Geld, um etwas Licht auf die Straßen zu bringen", klagt er. Diesen Missstand will der 33-Jährige beseitigen und statt der teuren Beleuchtung nun selbstleuchtende Fahrstreifen einsetzen. Dafür hat er zusammen mit dem niederländischen Straßenbauer Heijmans eine phosphoreszierende Farbe entwickelt, die Mittelstreifen oder Spurbegrenzung auf dem Asphalt markieren und bis zu zehn Jahre halten soll. Sie speichert die Energie des Sonnenlichts und leuchtet damit bis zu zehn Stunden, wenn es dunkel wird. Derzeit statten Roosegaarde und Heijmans einen ersten gut 300 Meter langen Teil einer Landstraße im Süden der Niederlande mit der Leuchtfarbe aus.
Straßen als Solarkraftwerke
Roosegaarde und Heijmans haben berechnet, dass die Leuchtstreifen mit den Kosten für Installation und Betrieb von Straßenlaternen schon konkurrieren können. Künftig sollen sie noch günstiger werden. So ließen sich auch Straßen in Entwicklungsländern sichern, wo es in ganzen Regionen keine Stromversorgung gibt.
Leuchtende Farben sind möglicherweise nur die Vorstufe einer noch radikaleren Idee, die das Startup Solar Roadways in den USA verfolgt, gegründet vom Ehepaar Scott und Julie Brusaw. Der Elektroingenieur und die technikbegeisterte Psychologin wollen Straßen nicht nur in Displays verwandeln, sondern auch in horizontale Solarkraftwerke. Solche neuartigen High-Tech-Straßen könnten nachts leuchten, tagsüber Warnhinweise einblenden und nebenbei ganze Städte mit Strom versorgen.
Ultrahartes Glas
Ein Teil ihres Solar Roadway haben die Brusaws in ihrer Werkstatt bereits gebaut. Je 3,6 Meter lang und breit ist der Prototyp, in etwa so groß wie ein Parkplatz. Seine oberste Schicht, die Fahrbahn, besteht aus ultrahartem Glas. Damit Autos darauf nicht rutschen, ist sie angeraut. Unter dem Glas verbergen sich Solarzellen, die Strom produzieren, sowie ein Raster aus LEDs, das Verkehrshinweise und Fahrbahnmarkierungen anzeigt. Wärmedrähte können im Winter die Straße beheizen, wenn Glatteis droht. In der untersten Schicht des Multitalents verlaufen Kabel, die Häuser in der Umgebung mit Strom versorgen.
Zunächst klingt das absurd teuer. Aber das Ehepaar rechnet damit, dass sich Solarstraßen von selbst finanzieren: Erstens wird Öl knapp und damit auch Asphalt immer teurer. Zweitens beherbergen die Panels auch Strom- und Telefonleitungen, für die heute noch eigene Gräben gezogen werden. Und drittens, glauben die Brusaws, könnten Fotovoltaik-Straßen in den USA mehr als dreimal so viel Strom erzeugen, wie das Land heute verbraucht.
Das amerikanische Verkehrsministerium ist zumindest interessiert - und hat 750.000 Dollar lockergemacht, für den Bau eines ersten Solarparkplatzes in Idaho.
Schon jetzt Realität sind Straßen, die Solarenergie nutzen, um Wasser zu erwärmen, das durch im Asphalt eingelassene Rohre fließt. Das niederländische Straßenbauunternehmen Ooms hat auf seinem Parkplatz sowie mehreren anderen ein System installiert, das im Sommer heißes Wasser in rund 100 Meter tiefe Hohlräume im Untergrund transportiert, wo es bis zum Winter lagert. In der kalten Jahreszeit heizt das warme Wasser aus dem Untergrund das Bürogebäude von Ooms und hält gleichzeitig den Parkplatz schneefrei.
Dunkler Straßenbelag
Das britische Startup ICAX beheizt mit einer ähnlichen Technologie seit 2011 ein riesiges Ausbildungszentrum für 2000 Schüler nahe London. Das Warmwasser liefern 14 Kilometer lange Rohrleitungen auf einem Parkplatz. Gas für die Heizung brauchen die Betreiber nicht mehr.
Andererseits wirkt dunkler Straßenbelag bisher im Sommer wie ein Sonnenfang, der Häuser zusätzlich um bis zu 4,5 Grad aufheizt und den Energiebedarf für Klimaanlagen hochtreibt. Der US-Baustoffhersteller Quest hat daher eine Asphaltfarbe entwickelt, die Wärme reflektiert und so den Aufheizeffekt weitgehend aufhebt.
Straßenbelag frisst Abgase
Eine stark befahrene Straße in Chicago leistet seit wenigen Monaten noch Erstaunlicheres: Ihr Bodenbelag frisst buchstäblich die Abgase, die der über sie rollende Verkehr produziert. Scheint die Sonne auf die Fahrbahn, lösen winzig kleine Partikel aus Titanoxid, die dem Asphalt beigemischt sind, chemische Reaktionen aus. Stickstoffoxide aus Autoabgasen, die beim Menschen zu Lungenschäden führen, verwandeln sich dann in gesundheitsneutrale Salze. Die spült der nächste Regen weg.
Entwickelt hat den Asphalt der italienische Baustoffkonzern Italcementi. Versuche des Unternehmens ergaben, dass die beschichtete Straße bis zu 85 Prozent der Abgase in Bodennähe abbaut. Laut dem Chicagoer Umwelt- und Nachhaltigkeitsreferat kostet die 14 Millionen Dollar teure Strecke sogar rund ein Fünftel weniger als herkömmliche Bauprojekte.
Neuer Asphalt
Einen weiteren Trick hat ein neuartiger Asphalt auf Lager, den der niederländische Wissenschaftler Erik Schlangen von der Universität Delft entwickelt hat: Er repariert sich selbst. Dafür füllt der Forscher zwischen die Steinchen des Straßenbelags einen Kleber, dem er feine Stahlfasern beimischt. Will Schlangen Risse in seinem Straßenbelag schließen, muss er den darin enthaltenen Stahl nur mit einer Art Mikrowelle erhitzen. Daraufhin schmilzt der Asphalt und die Risse schließen sich.
Schlangen und sein Team haben die Technik auf einem stillgelegten Teil der Autobahn A58 in den Niederlanden getestet. Ergebnis: Wenn der Belag alle vier Jahre mit einer speziellen Induktionsmaschine wieder versiegelt wird, verlängert sich die Lebensdauer im Vergleich zu heutigem Asphalt auf das Doppelte, auf bis zu 40 Jahre. Allein in Deutschland wendet die öffentliche Hand jedes Jahr bis zu zehn Milliarden Euro auf, um Straßen zu reparieren. Zumindest ein Teil davon ließe sich künftig vielleicht sparen - durch Verkleben.
Gerade erst tagte in Berlin wieder der Elektromobilitätsgipfel mit Kanzlerin Angela Merkel. Eines der größten Probleme der sauberen Fortbewegung beklagten Experten: die geringe Reichweite der Strommobile.
Aber auch dafür bieten Forscher mit innovativen Straßenkonzepten Lösungen. Wissenschaftler der kalifornischen Eliteuniversität Stanford etwa wollen den Akku von Elektroautos während der Fahrt laden. Dafür müssten im Asphalt und am Boden des Autos Metallspulen angebracht werden, die Energie mithilfe von Induktion durch die Luft übertragen. Laut Berechnungen der Forscher soll die Leistung reichen, um Autos anzutreiben.
Strom tanken über die Induktionsschleife
Bevor aber ganze Autobahnen umgerüstet werden, muss sich die Technik im kleineren Maßstab bewähren – etwa bei Linienbussen. So sollen ab 2014 in Mannheim auf einer Linie Elektrobusse fahren, die an jeder Haltestelle über Induktionsschleifen drahtlos Strom tanken.
Computergesteuerte E-Autos, LEDs im Straßenbelag - das amerikanische Architekturbüro Höweler + Yoon will alles zu einem 750 Kilometer langen, mehrstöckigen Superhighway kombinieren, der Boston mit Washington verbindet. Dort sollen S-Bahnen, Leihautos und Fahrräder verkehren, die Pendler staufrei ans Ziel bringen. Vorteil der hypothetischen Verkehrsader: Sie verbindet alle Verkehrsmittel und braucht weniger Fläche als heutige Trassen.
Güterverkehr
Womöglich wird sich ein Teil des Verkehrs sogar unter die Erde verlagern. Das plant das Schweizer Startup Cargo Tube. In einem breiten Tunnel transportieren E-Mobile Güter aller Art bei Tempo 30 von Stadt zu Stadt. Mit Strom versorgt und gelenkt werden die Transporter wie heute schon in Lagerhallen per Induktionsschleife im Boden. Die Shuttles fahren rund um die Uhr, stehen nie im Stau und sollen dank geringer Personal- und Energiekosten preiswerter sein als Lkw-Transporte.
Während ein ähnliches Projekt der Uni Bochum seit Jahren keine Investoren findet, arbeiten die Schweizer von Beginn an mit Logistikern wie dem Paketdienst DPD und der Supermarktkette Coop zusammen. "Wir haben die wichtigsten potenziellen Nutzer unseres Systems im Boot", sagt Projektleiterin Yvette Körber. Binnen zehn Jahren, hoffen die Schweizer, wäre eine gut 50 Kilometer lange Pilotstrecke von Zürich zum Logistikkreuz Härkingen fertig - und übernähme die Hälfte des Güterverkehrs von der parallelen Autobahn.
Eines der größten aktuellen Verkehrsprobleme wäre zumindest dort vorerst gelöst: der tägliche Lkw-Stau.
(Quelle: Wirtschaftswoche)