Unter dem Oberbegriff "Smart Cities" forscht das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme Fokus in Berlin in den Bereichen E-Government, E-Health, Public Safety, Smart Mobility und Smart Energy. Für die Stadt Berlin entwickelte Fraunhofer FOKUS ein Open Data-Portal, das Daten aus der Verwaltung für jedermann zur Verfügung stellt.
Für das Katastrophenwarnsystem Katwarn interessieren sich viele Kommunen. Es warnt standortbezogen per SMS und App vor Unwetter oder Bränden. Ein weiteres Thema ist der neue Personalausweis. Fraunhofer Fokus leitet außerdem das Innovationscluster "Next Generation ID". Ziel der Forschung sind sichere und zweifelsfreie Identitäten.
CIO.de: Was macht ein Fraunhofer-Institut aus?
Professor Radu Popescu-Zeletin: Unsere Mission ist es, Innovationsprozesse so schnell wie möglich umzusetzen, vom Ergebnis in der Forschung bis hin zum fertigen Produkt. Ein Beispiel ist MP3, die Lizenz dafür und für ähnliche Audiotechnologien bringt uns 85 Millionen Euro im Jahr. Wir waren auch an der Entwicklung von SIP, der Grundlage von Voice over IP, beteiligt.
Nur 30 Prozent vom Staat
Wir versuchen, den Spagat zwischen Forschung und Industrie, dem Produkt und dem Geldverdienen hinzubekommen. In unserem Finanzierungsmodell bekommen wir vom Staat nur ungefähr 30 Prozent, den Rest müssen wir durch den weltweiten Verkauf unserer Ideen als Produkt auf dem Industriemarkt hereinholen. Es ist ein wesentliches Problem, wie wir die Ergebnisse aus dem Institut auf den Markt bringen. Das geschieht entweder über eine Kooperation mit der Industrie oder über Spin-offs, die die Ergebnisse vermarkten.
23.000 Mitarbeiter in 67 Instituten - das ist Fraunhofer
Die gesamte Fraunhofer-Gesellschaft hat einen Umsatz von zwei Milliarden Euro im Jahr. Das ist für eine Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft sehr hoch. Wir haben 67 Institute und rund 23.000 Mitarbeiter, und wir sind überall in der Welt präsent.
Bei Fraunhofer Fokus arbeiten knapp 500 Menschen, wir betreiben Projekte mit der Industrie in Deutschland, Japan und China und bringen unsere Ergebnisse weltweit ein. Seit Oktober 2012 gibt es ein Innovationsbüro für Smart Cities in Santiago de Chile. Denn richtige Mega Cities gibt es ja in Europa oder in Deutschland nicht. Aber weltweit haben 480 Städte mehr als zehn Millionen Einwohner. 6,3 Milliarden Menschen leben in der Zukunft in städtischen Umgebungen. Wo wir etwas entwickeln, da wollen wir es auch einbringen.
CIO.de: Was sind da die Hauptprobleme?
Popescu-Zeletin: Man hat auf kleinem Raum eine Konzentration von vielen Menschen. Es geht darum, die Ressourcen besser zu planen. Mega-Cities sind Riesengebilde wie Mammuts und sehr schwer zu kontrollieren. Es geht immer um die Nutzung von Luft, Wasser, Energie und Straßen. Jedes Problem beeinflusst das andere, deswegen braucht man eine globale Sicht der Optimierung. Wir sprechen hier auch von systemischer Vernetzung. Die einzige Lösung, die Probleme zu managen, ist IuK. Dafür liefert die Technik eine Plattform.
Was ist besser: zentrale Intelligenz, Schwarmintelligenz?
Schon heute sind 15 Milliarden Geräte ins Internet eingebunden. Alle diese Geräte produzieren Daten. Wir fragen uns etwa, wie kann man dort Informationen herausziehen? Was ist besser: zentrale Intelligenz, Schwarmintelligenz? Und sind die Städte darauf vorbereitet? Heute gibt es reale Grenzen und Gesetze, die im Cyberspace eigentlich keine Abbildung haben. Beim Bau der IT-Architektur für die Daten aus den verschiedenen Quellen geht es auch um Fragen der E-Governance und des E-Government. Auch ist eine Änderung der Gesetzgebung notwendig.
CIO.de: Wie meinen Sie das?
Popescu-Zeletin: Wir arbeiten sehr eng mit dem Kieler Lorenz-von-Stein-Institut zusammen. Dort haben wir drüber nachgedacht, welche Artikel direkt oder indirekt durch IT beeinflusst würden, wenn wir heute das Grundgesetz neu schreiben könnten. Es sind über 70 Prozent. Was bedeutet das für den Föderalismus? Deswegen wurde ja auch schon der Artikel 91 c in der Verfassung geändert.
Die Gesetzgebung spielt eine große Rolle für die Systeme, die gerade entstehen. Das gilt für den neuen Personalausweis, Elena und für De-Mail. Oft denken die Politiker nicht darüber nach, was ein Gesetz systemtechnisch bedeutet. Deswegen ist die Umsetzung extrem schwierig oder auch unmöglich, ist kostspielig oder wird vom Bürger nicht akzeptiert. Die Systemarchitekten müssten in die Gesetzgebung mit einbezogen werden. Man braucht einen ganzheitlichen Ansatz.
Konzentration der IT-Verantwortung? Jetzt sind vier Ministerien zuständig
CIO.de: Was wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang?
Popescu-Zeletin: Ich habe erwartet, dass es nach der Enquete-Kommission und dem NSA-Skandal eine Konzentration der IT-Verantwortung in Deutschland geben wird. Stattdessen sind jetzt vier Ministerien zuständig: Das Innenministerium, das Wirtschaftsministerium, Alexander Dobrindt im Verkehrsministerium und das Justizministerium.
Viele Politiker haben die Dimension des Cyberspace in unserer Gesellschaft und unsere Abhängigkeit von der IuK-Infrastruktur noch nicht verstanden. Es gibt ja einen CIO der Bundesregierung. Die föderale Struktur und die Ressortunabhängigkeit schwächt aber diese Position. Das ist schade, denn alle bauen auf die kritische Infrastruktur Internet.
CIO.de: Haben Sie Geduld?
Popescu-Zeletin: Wir haben während der Koalitionsverhandlungen mit allen Parteien geredet und ein E-Government-Institut, angesiedelt bei Fokus, vorgeschlagen. Wir dachten dabei an so etwas in der Art der Weltwirtschaftsinstitute in Deutschland. Als ein Institut, das zwischen der Öffentlichen Hand und den Technologielieferanten steht und keine Interessen vertritt wie die Industrie oder Berater, könnten wir die Entwicklung politisch neutral begleiten.
Erklären Sie mir zum Beispiel, warum ich nicht mit meinem neuen Personalausweis zum Arzt gehen kann? Wieso brauche ich dafür eine Gesundheitskarte? Wozu braucht man einen Führerschein, reicht da nicht ein Attribut auf dem neuen Ausweis aus? Für das Lesen der Smartmeter wird man wahrscheinlich auch wieder eine neue Karte benötigen. So lange es all diese Probleme gibt, ist unsere Berechtigung als Institut da.