Martin Hölz hat eine klare Vorstellung von den Chancen des digitalen Wandels. "Bei allen Unternehmen, deren Geschäft hauptsächlich auf Assets beruht, ist eine wesentliche Stellschraube für Effektivität, den Digitalisierungsgrad zu erhöhen," sagt der CIO der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Es gehe zwar auch darum, bestehende Prozesse zu optimieren und zu automatisieren. Die Königsdisziplin sei jedoch, physische Produkte zu digitalisieren und ergänzend neue Services anzubieten. Das gehöre zu den großen Aufgaben, die er bei dem Versorger erledigen will.
Plattform ist Pflichtprogramm
Um die EnBW als Ganzes digitaler zu machen, gibt es einige große Umbauprojekte, die für Hölz zum Pflichtprogramm der IT zählen. In den Geschäftseinheiten, beispielsweise Erzeugung, Handel und Vertrieb, gehe es darum, neue Plattformen einzuführen.
Unter dem Namen "One Platform und Produktorientierung" will das Team um Hölz die IT-Landschaft weiter konsolidieren. Ziel ist eine einheitliche Basis, auf der die IT das Business besser unterstützen kann. Zudem will der CIO sicherstellen, dass "Non Functional Requirements" wie Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Wartungsfähigkeit und Skalierbarkeit übergreifend im gesamten Unternehmen erfüllt werden.
Hybride IT-Landschaft
Dabei setzt Hölz auf einen hybriden Ansatz. "Wir verfolgen zwar grundsätzlich eine Cloud-First-Strategie, aber da wir weiterhin kritische Infrastrukturen betreiben und anbieten, brauchen wir auch eigene Rechenzentren," so der IT-Leiter. Bei der Plattforminitiative arbeitet die EnBW mit mindestens zwei großen Cloud-Hyperscalern zusammen.
Hölz: "Dort, wo sich Teile der IT standardisieren lassen, tun wir das mit den 'Baukästen' der Cloud-Anbieter. Wettbewerbsdifferenzierende Aspekte in den Geschäftsbereichen entwickeln wir aber auch selbst." Zudem verfolgt der Manager einen Best-of-Breed-Ansatz in Verbindung mit loser Kopplung, um Abhängigkeiten von einem Anbieter zu vermeiden.
Welche Anwendungen und Daten in die Cloud verschoben werden, hängt für Hölz von Sicherheitsanforderungen ab: "Wir müssen stets rechtliche und EnBW-eigene Anforderungen erfüllen." Daher will er bis auf Weiteres nur unkritische Daten und Anwendungen, die nicht wettbewerbsdifferenzierend sind, auslagern. Für die IT bedeute das, dass sie effizienter arbeiten könne.
Die As-a-Service-Angebote nehmen den Mitarbeitern administrative Aufgaben ab, sodass sie sich darauf konzentrieren können, die Cloud-Anwendungen zu orchestrieren, mit der EnBW-Plattform zu verbinden und zu betreiben. "Ich glaube, dass es in diesem Bereich in den nächsten Jahren immer mehr in Richtung Cloud-native gehen kann und auch gehen wird," so der CIO.
Bezüglich der europäischen Cloud-Initiative Gaia-X ist Hölz vorsichtig optimistisch: "Wir überlegen, ob und wie wir uns da beteiligen wollen." Datensouveränität sei dabei der entscheidende Faktor. Die EnBW müsse immer der Dateneigner bleiben und beispielsweise bestimmen können, wer welche Daten bekommt. "Ich kann mir vorstellen, dass ein europäischer Ansatz die Cloud hierzulande stark voranbringen kann. Dazu muss aber alles in der eigenen Hand bleiben," betont der Manager.
Lade-App und Augmented Reality
Als "Kür" für die IT sieht Hölz sogenannte digitale Leuchttürme. Darunter versteht er innovative, eng mit dem Geschäft verbundene Themen, die einen hohen IT-Anteil haben und sich daher eignen, die Digitalisierung voranzutreiben: "Dazu zählt etwa die 'EnBW Mobility+ App', mit der Kunden unter anderem Ladestationen für E-Autos finden und den gesamten Bezahlvorgang abwickeln können." Das in der IT angesiedelte Mobility-Development-Team arbeite an mehr als 80 solcher Anwendungen, die über das klassische Kerngeschäft der EnBW hinausgingen.
Ein weiteres Leuchtturmprojekt beschäftigt sich mit Augmented Reality (AR). So will die EnBW eine App nutzen, die bei der Suche nach Standorten für Windkraftanlagen helfen soll. Die App könne die Anlagen realistisch im Maßstab eins zu eins darstellen. Außerdem soll anhand von Geoinformationen simuliert werden, wie ein Windrad je nach Sonneneinstrahlung den Schatten wirft. Im Geschäftsbereich Barrier Systems komme AR zum Einsatz, um Kunden einen visuellen Eindruck zu verschaffen, wie das Stadtbild oder ein Firmengelände mit den Zufahrtssperren aussehen würde, indem solche Objekte in reale Bilder hineinprojiziert werden.
"Bei diesen digitalen, oft stark datengetriebenen Leuchtturmprojekten geht es unter anderem auch immer darum, die richtige 'Time-to-Market' zu treffen", erklärt Hölz. Zudem eröffneten sich neue Geschäftsmodelle für den Versorger. Dazu gehört etwa der Full-KRITIS-Service, in dem die EnBW IT-Security- und Compliance-Dienstleistungen für Unternehmen mit kritischen Infrastrukturen anbietet. "Solche neuen Geschäftsmodelle werden hoffentlich früher oder später einen wesentlichen Beitrag zum Geschäftserfolg leisten," so der CIO.
Der Weg zum Infrastrukturpartner
Beispiele wie der Full-KRITIS-Service oder die Lieferanten-IT-Plattform "EnpowerX" zahlen laut Hölz auf das Ziel der EnBW-Wachstumsstrategie ein, das Unternehmen "von einem Energieunternehmen zu einem nachhaltigen, innovativen Infrastrukturpartner zu transformieren". Das meiste Potenzial sieht er in Business- und kundengetriebenen Bereichen. "Die Strategie dahinter lautet: Alles, was wir selbst für unser Geschäft brauchen und einsetzen, können wir potenziell auch am Drittmarkt anbieten," so Hölz. Dabei hälfen das Branchen-Know-how und die Erfahrungen aus dem eigenen Betrieb und der Entwicklung.
Die EnBW unterscheide sich damit von anderen IT-Serviceanbietern. Die oberste Priorität der IT-Abteilung bleibe jedoch, das eigene Geschäft voranzubringen. Neue Produkte würden um diese Kernaufgabe herum aufgebaut und müssten stets mit dem eigenen Business skalieren können. Ähnlich wie beim Thema App für Ladestationen sieht Hölz im weiteren Umfeld der Elektromobilität Chancen für die EnBW: "In dem Bereich werden wir noch weitere am Kundennutzen orientierte Services entwickeln, die letztendlich IT bedeuten."
Change und Krise
Während die IT das Unternehmen intern digitalisiert und neue Services entwickelt, arbeitet das Team um Hölz auch daran, das Mindset der rund 24.000 EnBW-Mitarbeiter zu verändern. "Wir betonen regelmäßig, dass Digitalisierung nicht nur bedeutet, bestehende Prozesse zu optimieren und zu automatisieren, sondern auch physische Produkte zu digitalisieren und komplementäre Services darum anzubieten", so der CIO. Er sieht dabei verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise in den Bereichen Digital Twin oder Predictive-Technologien im Umfeld von Offshore-Anlagen. Solche Angebote seien zwar zum Teil schon Commodity geworden, würden aber in den kommenden Jahren immer wichtiger, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren.
Die Coronakrise habe dazu geführt, das Verständnis für die Rolle der IT im Unternehmen zu ändern. Hölz: "Mein Vorgänger hatte bereits einen Smart Client eingeführt, den wir kontinuierlich weiter ausbauen werden. Dadurch konnten wir von heute auf morgen ohne Probleme auf Home Office und virtuelles Arbeiten umstellen." Das habe der Digitalisierung der EnBW noch mehr Antrieb gegeben, weil sich jeder mit den neuen Möglichkeiten der Collaboration-Tools und Technologien auseinandergesetzt habe. Hölz: "Insofern hat uns das ein bisschen geholfen, die 'menschliche Hürde' beim Einsatz neuer Technologien in vielen Fällen etwas leichter zu überwinden."
Diesen Schwung will sich der CIO bewahren. Neue Arbeits- und Kollaborationsformen, die während der Krise erprobt wurden, sollen weiter verbessert und intensiver eingesetzt werden. Dazu unterstützt Hölz auch die EnBW-interne "Best Work"-Initiative. Sie soll einen ganzheitlichen Blick auf das Zusammenspiel von Technologie, Arbeitsweisen, Kollaborationsformen und die Menschen ermöglichen.
CIO-Office bündelt neue Aufgaben
Für die IT-Abteilung bringen diese Veränderungen auch neue Aufgaben. Zum einen soll sie als "Radar" für neue Technologien fungieren, darunter künstliche Intelligenz, Robotics, Fog und Edge Computing, 5G, Blockchain und Quanten-Computing. Die IT-Experten prüfen, welche davon für die EnBW den größten wirtschaftlichen Nutzen bringen. Anschließend soll die IT in einer Querschnittsfunktion vielversprechende Projekte gemeinsam mit dem Business vorantreiben.
Zum anderen will Hölz erreichen, dass die IT neben geschäftsspezifischen auch vermehrt "hoheitliche" und steuernde Aufgaben wahrnimmt. Dazu zählen beispielsweise Portfolio-, Innovations- und Software-Asset-Management oder Cyber Security. Der IT-Leiter baut zu diesem Zweck ein "CIO Office" auf, in dem die Steuerungsfunktionen der IT gebündelt werden sollen. Neben den genannten Aufgaben will er auch Change-Initiativen sowie Methoden- und Organisationsthemen dort ansiedeln.
Um all diese Aufgaben zu stemmen, vergrößert die EnBW ihr IT-Team. In den kommenden Monaten möchte Hölz die derzeit etwa 700 Mitarbeiter zählende IT-Abteilung um etwa 100 neue Arbeitsplätze erweitern. "Wir suchen sowohl gute Leute für die Kern-IT als auch Querdenker, die aus ganz anderen Fachrichtungen und Kulturen kommen," so der CIO.
Der Energieversorger will in Zukunft insbesondere die IT in den geschäftsnahen Fachabteilungen, aber auch bereichsübergreifende Steuerungsfunktionen ausbauen. Dabei geht es laut Hölz auch darum, Eigen- und Fremdleistung besser auszubalancieren. In vielen Bereichen verlässt sich die EnBW seiner Meinung nach zu sehr auf externe Partner. Nun gelte es, Kernkompetenzen wieder ins Unternehmen zurückzuholen.