Das Leben an Bord ist anders als an Land. Und je kleiner das Boot, desto größer ist der Unterschied: Enge statt Raum, Schaukelei statt Stabilität, Abhängigkeit statt Entscheidungsfreiheit. Insbesondere das Aufeinander-angewiesen-Sein macht Segeln zu einer anspruchsvollen Team-Aufgabe. Wenn Skipper Achim Knick am 2. Juli mit der "Sunshinecrew" (www.sunshinecrew.de) von Palma de Mallorca ablegt, geht es nicht nur ums Nautische, sondern auch um Team-Management.
Die Sunshinecrew ist eine nicht kommerzielle Segelgemeinschaft, zu der sich von Fahrt zu Fahrt IT-Manager zusammenfinden. Mit Knick als IT-Chef einer saudi-arabischen Bank schiffen sich Anfang Juli weitere sieben Leute auf einer 15-Meter-Yacht (eine Dufour 50) zu einem einwöchigen Törn ein. An Bord will die Crew in Übungen und Diskussionen ergründen, wie aus Arbeitsgruppen Teams werden, wie eine Führungskraft eine Mannschaft zu optimaler Leistung anleitet und wie Gruppenkonflikte anzupacken sind – und zwar als Seminar auf dem Wasser. Verbissen soll es trotzdem nicht zugehen. Knick: „Wir wollen den trockenen IT-Job kreativ anreichern, um mehr Spaß und Erfolg in den Berufsalltag zu bringen.“
Bisher hat das meist funktioniert; der Trip vor Mallorca ist bereits der achte seit 2000. Knick war damals auf IT-Kollegen getroffen, die wie er gern segeln wollten, ihren maritimen Freiheitsdrang aber nur schwer mit beruflichen Erfordernissen hatten vereinbaren können.
"Work-Life-Balance ist für passionierte Segler sehr anspruchsvoll", stellt der Hesse Knick fest - besonders wenn man, wie er, nicht in Küstennähe lebt. Auf maritime Kompetenz kommt es bei der Sunshinecrew nicht an. "Die meisten Teilnehmer sind Landratten", sagt der Initiator. Wichtig sei vielmehr die Bereitschaft, sich Fertigkeiten anzueignen, die an Bord unverzichtbar sind. Ein Anlegemanöver mit einem Schiff wie der Dufour gelingt nur dann, wenn außer dem Skipper noch ein paar Leute wissen, was sie zu tun haben. Aber auch Segel-unspezifische Jobs sind wichtig: Wer Küchendienst hat und sich vor dem Einkauf nicht schlau macht, wer was mag und was nicht, schaut beim Essen möglicherweise in lange Gesichter. Und wer die Nachtwache verweigert, ist ohnehin nicht tragbar. "Das ist einmal vorgekommen", sagt Knick, es sei aber bisher der einzige Ausfall gewesen.
"Das ganze Projekt des Aufenthalts an Bord steht und fällt mit den Team-Fähigkeiten", sagt Jürgen Brügmann. Seit Beginn der Sunshinecrew war er zweimal, zusammen mit Knick, als Skipper an Bord; im richtigen Leben ist er beim Transporttechnik-Hersteller Bombardier in Berlin für die SAP-Logistikanwendungen im Manufacturing zuständig. "Was man an Bord erlebt, ist reines Projektleben", meint Brügmann. "Man muss sich kennen lernen, zusammenraufen - und dem Skipper vertrauen." Konstruktives Team-Verhalten, da herrscht Einigkeit unter den Teilnehmern der bisherigen Törns, ist in IT-Projekten so wichtig wie beim Segeln. In beiden Fällen gilt es, Egoismen einem Ziel unterzuordnen und, im Zweifelsfall, Autoritäten zu akzeptieren. Knick: "Über Nacht anlegen oder mit Nachtwache weitersegeln - da kann es unterschiedliche Neigungen geben. Dann muss gelten, was der Skipper entscheidet."
Egal um welches Thema es geht: Team-Building steht an Bord immer im Vordergrund. Knick: "Dafür ist ein Segelschiff die ideale Umgebung." Das glaubt auch Irene Lautenschläger vom Baukonzern Bilfinger Berger in Mannheim. Die als IT-Managerin wie als Sportseglerin (Regattajolle) erfahrene Mecklenburgerin wird im Juli erstmals an Bord sein. Ihr geht es vor allem um gute, neue Kontakte zu IT-Fachleuten, die sie im Unternehmen womöglich verwenden kann: "Es wird intensiver sein als auf Kongressen und Seminaren an Land."
Lehrmittelfreiheit eingeschränkt
Dem stimmt Hans Peter Möschle zu. Der Vorstand der Managementberatung Theuer & Partner aus Frankfurt am Main war bisher zweimal mit an Bord. 2002 war er gar konzeptionell aktiv, als er gemeinsam mit Knick einen Teaming-Workshop initiierte. Doch manchmal stoßen die Wasser-Workshops seiner Ansicht nach auf Grenzen, wenn es um spezifischere Bildungsangebote mit komplexem Theorieteil gehen soll, etwa Grundlagen von Managementmethoden wie Six Sigma oder ITIL. Die Präsentations- und Arbeitsmöglichkeiten, die für effizientes Lehren und Lernen erforderlich sind, stehen auf einem Segelschiff nicht zur Verfügung; selbst für ein Flipchart ist zu wenig Platz. „Wenn wir so etwas machen wollen, müssen wir in Räume an Land ausweichen“, räumt Möschle ein.
Das wäre eine Erleichterung für jene, die mit Seekrankheit zu kämpfen haben - wie Möschle bei seinem ersten Segelseminar. "Ich habe sehr stark gelitten unter dem Geschaukel", erinnert sich der Binnenländer. Diese besonderen Umstände, die das didaktischmethodische Instrumentarium an Bord natürlich einschränkten, seien schon "ein gewisses Handicap".
Die Sunshinecrew arbeitet nicht gewinnorientiert; die Beiträge der Teilnehmer decken lediglich die Kosten, im Wesentlichen die Charter für das Boot. Für jeden Törn wird eine Seminar-Agenda aufgestellt, und zum Schluss gibt’s für jedes Crew-Mitglied eine Teilnahmebescheinigung. "Die meisten machen ihre Törns im Urlaub und bezahlen sie aus eigener Tasche", so Knick. Er vermutet allerdings: "Wenn wir 2.500 Euro kosten würden, dann würden das auch die Unternehmen bezahlen." Für eine Fahrt mit der Sunhinecrew fällt aber nur ein Betrag zwischen 500 und 600 Euro an. Abhängig von der Lage des Boarding-Hafens sind darin sogar An- und Abreise enthalten; die Verpflegung an Bord kommt allerdings dazu.
Die Sunshinecrews bestehen nicht nur aus IT-Entscheidern von Anwenderseite; auch Berater und andere potenziell Sales-orientierte Branchenvertreter gehören zur Segel-Community. Zu Reibungen zwischen diesen beiden Gruppen ist es jedoch bisher nicht gekommen. Das gilt auch für Möschle, der nach jahrelanger Tätigkeit für Anwenderunternehmen heute als Berater tätig ist. Ihm ist bewusst, dass plumpe Akquise-Reflexe und -Versuche die Teamstrukturen auf dem Schiff zerstören könnten. Einen impliziten "Code of Conduct" für das Bordleben ohne Akquise muss nach seiner Ansicht jedes Crew-Mitglied akzeptieren.
Zum Akquirieren gehören immer zwei
Irene Lautenschläger lässt sich ihre Vorfreude jedenfalls nicht vermiesen: „Selbst wenn es so sein sollte, ist das auch eine Erfahrung, mit der man umgehen können muss. Aber ich habe da keine Befürchtungen, denn zum Akquirieren gehören immer noch zwei."