Mobility gefährdet Work-Life-Balance

Führungskräfte immer auf Empfang

25.04.2013 von Bettina Dobe
Entscheider müssen immer erreichbar sein, auch am Wochenende und im Urlaub. Viele wünschen sich eine Beschränkung, so eine Studie. Aber Lösungen sind nicht in Sicht.

Gerade bohrt man entspannt die Zehen in den Sand, da klingelt das Smartphone. Ein Kollege ruft an, weil er noch Nachfragen zum Projekt hat. Natürlich gehen die meisten Führungskräfte ans Telefon, selbst wenn sie auf der anderen Seite der Erde im Urlaub mit der Familie sind. Sie sind es gewöhnt, dank Smartphones immer und überall erreichbar zu sein, wie in der "Erreichbarkeitsstudie" des Berufsverbandes "Die Führungskräfte" herauskam.

Für die Studie befragten sie 950 Führungskräfte aus dem mittleren Management: Gerade sie müssen für ihre Mitarbeiter ein Vorbild sein, aber für den Chef immer erreichbar sein. Eine Dauerlösung kann das nicht sein.

Abends, Wochenende, Urlaub: Always-on

Immer erreichbar, niemals Feierabend. So sieht der Alltag der meisten Führungskräfte aus.
Foto: Die Führungskräfte

Knapp 90 Prozent der Führungskräfte gaben laut Studie an, dass sie unter der Woche auf jeden Fall außerhalb der Dienstzeiten für andere Mitarbeiter oder Chefs erreichbar seien. Bei ihnen klingelt auch abends gern das Handy mit Nachfragen zum Projekt. Mehr als drei Viertel der Befragten, 70 Prozent, waren auch an ihren Wochenenden regelmäßig verfügbar und immer noch mehr als die Hälfte, 58 Prozent, sogar in ihrem Urlaub. Von Entspannung, Regeneration kann so keine Rede sein.

Nur fünf Prozent sagten aus, dass sie außerhalb der Geschäftszeiten gar nicht erreichbar seien. Nur so wenige können getrost erst am Montagmorgen wieder auf ihr Firmen-Smartphone gucken. Dass aber freie Zeit auch dazu dient, dass man mit freiem Kopf seinen Job besser erledigen kann, das ist wohl noch nicht durchgedrungen. Unsere Leser von cio.de haben es da wohl, so eine Umfrage, deutlich besser: Sie sagen schneller nein.

Erreichbarkeit ist keine Pflicht

Warum tun sich Manager das an? Ganz einfach: Es wird von ihnen unausgesprochen erwartet, dass sie immer verfügbar sind. 63,9 Prozent der Befragten sagten dies aus. Interessanterweise sprachen sich die meisten der Befragten darüber nicht mit ihrem Vorgesetzten ab, das taten nur 2,8 Prozent. Und in noch weniger Fällen, 1,7 Prozent, war die Erreichbarkeit auch vertraglich geregelt.

Mobility kann hilfreich sein

Zudem kam in der Studie auch heraus, dass etliche Führungskräfte in der Erreichbarkeit auch gewisse Vorteile sehen. 44 Prozent gaben an, dass sie besser informiert seien und fast die Hälfte (49,5 Prozent) sahen sich flexibler in ihrer Arbeitsgestaltung. Viele nutzen dank Smartphones, Tablets und Co. ihren Weg zur Arbeit oder auf Dienstreisen die Reisezeit dazu, unterwegs Aufgaben abzuarbeiten.

Natürlich nutzen die meisten unterwegs ihre Smartphones. Aber abschalten wäre besser für die Gesundheit.
Foto: Die Führungskräfte

Zwar könnte man die Zeit auf Betriebsreisen auch entspannter verbringen - aber das wollen die meisten wohl nicht. Dazu passt folgende Zahl: 31,9 Prozent sagten, dass der ständige Empfang von Emails, Nachrichten und Anrufen allein ihre Entscheidung sei. Sie wollen - oder können - ihre Verantwortung gar nicht mehr abgeben. Das ist eine besorgniserregende Tendenz.

Eigenverantwortung zeigen

Natürlich kann es sein, dass ein Manager mit gewissen Führungsaufgaben zum Teil erreichbar sein muss. Wer aber immer auf Empfang ist, der schadet sich selbst. "Auch für Führungskräfte gibt es keine Verpflichtung zu ständiger und unbeschränkter Verfügbarkeit", so Dr. Ulrich Goldschmidt, Hauptgeschäftsführer des DFK.

Bringt die neue Mobility was?

Zwar verbessern mobile Devices die Flexibilität, doch das hat seinen Preis. Nur knapp 40 Prozen der Befragten gaben an, dass sie mit Apps, Smartphone und Co. tatsächlich auch Berufliches und Privates besser vereinbaren lassen. Viel eher ist es so: Knapp zwei Drittel der Befragten (63,5 Prozent) gaben an, durch die nun vermehrte Erreichbarkeit eher an der Gesundheit Schaden zu nehmen.

Sehr viele der Befragten fürchten zudem, nicht mehr "abschalten" zu können. Sie sind ständig mit der Arbeit beschäftigt, auch wenn sie physisch nicht anwesend sind. Und fast die Hälfte (45,3 Prozent) fühlten sich sogar fremdbestimmt. Ebenso viele fühlten sich, wenig überraschend, in ihrer Freizeit eingeschränkt.

Lösungen fehlen

Eigentlich klar, dass das auf Dauer Führungskräfte zermürbt. Aber es scheint so, als hätten viele Firmen auf dieses Problem keine Antwort. 81 Prozent der Befragten sagten, dass in ihrem Unternehmen niemand einen Anlass sähe, dies einzuschränken. Wozu auch, es funktioniert ja gut. Nur in wenigen Unternehmen ist angekommen, dass die Dauerbelastung zu Burn-Out, Depression oder anderen Krankheiten führen kann.

Maßnahmen? Nur die wenigsten Unternehmen tun was gegen die ständige Erreichbarkeit.
Foto: Die Führungskräfte

In weniger als zehn Prozent der Firmen würden die Mitarbeiter dazu motiviert, weniger zu arbeiten. Dabei kann es die Situation schon verbessern, wenn das Unternehmen die Mitarbeiter dazu aufruft, ihre Erreichbarkeit einzuschränken. Mehr als die Hälfte derjenigen Befragten, bei denen Maßnahmen im Unternehmen erfolgreich waren, gaben an, dass es Appelle an die Mitarbeiter gebe, weniger zu arbeiten.

Weniger als zwei Prozent zwingen ihre Mitarbeiter gar dazu, Feierabend zu machen, indem sie zum Beispiel nach 18.00 Uhr keine Emails mehr zustellen. Eine ähnliche Regelung gilt etwa bei Volkswagen, die allerdins wohl nicht die Führungskräfte betrifft. Dabei sagten diejenigen, die von solchen Maßnahmen betroffen waren, dass sie zumindest teilweise davon profitierten. Bei Daimler wird versucht, wenigstens den Urlaub zu retten: Mitarbeiter und Führungskräfte können E-Mails während ihrer Urlaubszeit automatisch löschen lassen. So kommt man nicht zu einem unübersichtlichen E-Mail-Berg zurück, der ohnehin nicht mehr aktuell ist.

Was wollen Führungskräfte?

Fremdbestimmt, krank, überlastet - das wollen Manager eigentlich nicht mehr sein.
Foto: Die Führungskräfte

Die meisten wünschen sich klare Zeitfenster, in denen sie erreichbar sind. 42 Prozent sprechen sich für betriebliche Beschränkungen der Arbeitszeit aus, und knapp ein Viertel (24 Prozent) strebt eine klare Absprache mit dem direkten Vorgesetzten an. Diese Grenzen der Erreichbarkeit müssen für alle gelten, also für Entscheider und Mitarbeiter gleichermaßen. Dass der Staat erfolgreich regulierend eingreifen könne, das glaubt keiner, so die Studie.

Die Entgrenzung der Arbeit ist gefährlich. Mit einer Einschränkung der Erreichbarkeit kann man schwereren Krankheiten wie Burn-Out vorbeugen. Zudem gefährdet eine schlechte Work-Life-Balance auch die Personalsituation eines Unternehmens: Mitarbeiter sind eher dazu bereit, in ein Unternehmen zu wechseln, das mehr Ausgleich bietet.