Ungewöhnliche Live-Bilder unterhielten am Morgen des 14. Februars 2008 die Zuschauer des ZDF-Frühstücksfernsehens: Ermittler der Staatsanwaltschaft Bochum und Polizisten betraten die Villa des damaligen Post-Chefs Klaus Zumwinkel.
Die Durchsuchung war noch in vollem Gange, als gegen zehn Uhr eine von einem Chauffeur gesteuerte Limousine mit Frankfurter Kennzeichen vor der Villa hielt, ein Herr im dunklen Zweireiher einen mürrischen Blick in die Kameras warf und ebenfalls in Zumwinkels Anwesen verschwand. Später verließen sie den Ort des Geschehens gemeinsam: Vorn Hanns Feigen (60), Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafverteidigung, hinter ihm der an diesem Tag besonders blasse Post-Manager.
Feigen und Zumwinkel lernten sich an diesem Tag kennen. Seither verbindet die beiden eine schicksalsschwere Beziehung: Zumwinkel hat sich in strafrechtliche Ermittlungen verstrickt. Feigen bemüht sich, ihn wieder herauszuholen. Im Prozess wegen Steuerhinterziehung riet er seinem Mandanten zu einem umfassenden Geständnis. Zumwinkel tat wie geheißen und kam mit zwei Jahren Haft auf Bewährung davon.
Jetzt muss Feigen wieder ran. Sein Mandant wird auch in der Telekom-Spitzelaffäre zu den Beschuldigten gezählt. Die Schlüsselfigur der Affäre, ein ehemaliger Mitarbeiter der Telekom-Konzernsicherheit, verweist auf Zumwinkel: Er sei's gewesen, er habe - gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke - die Spitzelaktionen in Auftrag gegeben.
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Nun kann es eng werden für den vorbestraften früheren Telekom-Oberaufseher. Zumwinkel weiß das: Schon im Juni 2008 meldete seine Sekretärin sich beim Vorstandsstab der Telekom und kündigte an, Zumwinkel wolle sich nach seiner D&O-Versicherung erkundigen.
Käme es zu einer weiteren Verurteilung, müsste seine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe in eine Gesamtstrafe miteinbezogen werden: Dann drohte womöglich doch noch der Knast.
Es geht für Zumwinkel um alles. Das ist genau die Gemengelage, in der sein Verteidiger Hanns Feigen sich beruflich richtig wohlfühlt. Zuletzt trat er für den ehemaligen Freenet-Chef Eckhard Spoerr in den Ring (Geldstrafe wegen Insiderhandels, Feigen hat Revision eingelegt). Demnächst steht er Ex-Infineon-Chef Ulrich Schumacher bei, gegen den Anklage wegen der Annahme von Bestechungsgeldern erhoben wurde - Prozessauftakt soll im Herbst sein.
Rund um die Uhr ansprechbar
Feigen gehört zu einer kleinen, feinen Gruppe hochkarätiger Anwälte, die immer dann gerufen werden, wenn es gilt, einen Manager rauszuboxen. Rund zwei Dutzend renommierter Juristen zählen hierzulande zur Topliga der Wirtschaftsstrafverteidiger. Sie kennen sich, sie duzen sich, sie arbeiten fernab der Großkanzleien auf nahezu altmodische Art und Weise allein oder in kleinen Partnerschaften. Die meisten von ihnen, wie der Münchener Rechtsprofessor Klaus Volk oder der Düsseldorfer Sven Thomas, der nun den ehemaligen Arcandor-Chef Thomas Middelhoff gegen den Vorwurf der Untreue verteidigt, sind jahrzehntelang im Geschäft.
Die Anwälte sind teuer - bis zu 500 Euro pro Stunde. Ihre Stärken: Sie beherrschen alle Tricks der Strafprozessordnung, verstehen die oft hochkomplexe Welt der Unternehmensführung mitsamt ihren strafrechtlichen Risiken, sind notfalls rund um die Uhr ansprechbar für ihre Mandanten und absolut diskret. Hanns Feigen ist zu seinem Mandanten Klaus Zumwinkel rein gar nichts zu entlocken, nur in einem Punkt wird er deutlich: "Es wird keine Anklage geben."
Anwälte wie Feigen haben Hochkonjunktur. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in der Republik ein neuer Skandal bekannt wird. Siemens , Telekom , Bahn, MAN - spektakuläre Ermittlungsverfahren gegen Konzerne und ihre Manager häufen sich. Immer besser ausgestattete Ermittlertruppen, höhere Medienaufmerksamkeit und unscharfe Gesetze bringen die Manager in Bedrängnis - und bescheren den besten Verteidigern lukrative Aufträge.
Wie arbeiten die Starverteidiger? Und was können sie für ihre Mandanten tun?
Frankfurt, Westend, eine elegante Gründerzeitvilla gibt die Kulisse ab für reichlich moderne Kunst an den Wänden. Hier residiert Rainer Hamm (66), Honorarprofessor für Strafprozessrecht an der Uni Frankfurt und Verteidiger eines anderen Hauptbeschuldigten in der Telekom-Affäre: Kai-Uwe Ricke, bis 2006 Vorstandschef des Telefonkonzerns.
Hamm tritt gewinnender auf als Feigen, erzählt aus seiner Kindheit als Sohn eines Pfälzer Handwerksmeisters und lässt doch keinen Zweifel daran, dass er in der Sache genauso hart fighten kann wie der Zumwinkel-Anwalt. Gegen einen Durchsuchungsbeschluss in Rickes Schweizer Privatwohnung hat er umgehend Beschwerde eingelegt. Die beschlagnahmten Fundstücke, Rickes private E-Mails und Post vom Verteidiger, gingen die Staatsanwaltschaft nichts an, lächelt der Professor mit der Goldrandbrille und ergänzt sehr umgangssprachlich: "Der Beschluss und die Art seiner Vollziehung stanken zum Himmel."
Auch Hamm sagt siegessicher: "Ricke wird nie eine Hauptverhandlung bekommen", räumt aber ein, dass es einen Vorstandsauftrag zur Erforschung eines Informationslecks im Aufsichtsrat der Telekom gegeben hat. Doch dass Ricke den Sicherheitsleuten bei ihrer Arbeit ständig über die Schulter geschaut und deren fragwürdige Methoden gekannt habe, das treffe mit Sicherheit nicht zu und sei auch "lebensfremd". Im Übrigen hätten sein Mandant und er ständig Kontakt und würden bald dessen Sicht der Dinge zu den Akten geben.
Die Untiefen des Strafrechts
Ricke bezahlt seinen Verteidiger einstweilen privat. Oft werden die Staranwälte von Unternehmen gebeten, ihren Spitzenmanagern beizustehen; die Prozesskosten trägt eine spezielle Versicherung.
Bei komplexeren Verfahren arbeiten mehrere Anwälte für einen Mandanten. Der ehemalige Infineon-Vorstandschef Schumacher wird von Hanns Feigen zusammen mit Ex-Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer verteidigt, der jetzt Partner ist in der Kanzlei Hamm. Rainer Hamm bemühte sich seinerzeit gemeinsam mit dem Düsseldorfer Verteidiger Sven Thomas (im Mannesmann-Prozess an Klaus Essers Seite) um Ehrenrettung für die Haffa-Brüder.
Der Anwalt für den Alltag
Doch es geht längst nicht mehr nur um Vergangenheitsbewältigung. Immer mehr Manager nehmen auch im Geschäftsalltag einen versierten Rechtsanwalt zu Hilfe, um sich gegenüber den Untiefen des Strafrechts abzusichern.
Die sogenannte Präventivberatung - zum Beispiel die Einrichtung einer Compliance-Organisation in einem Unternehmen oder Hilfe bei der Abfassung heikler Verträge - ist einer der Bereiche, auf die sich Volker Hoffmann (60) in Mainz spezialisiert hat. Der ehemalige Staatsanwalt gehört ebenfalls zum Klub der Topverteidiger und wurde bekannt als Anwalt des Ex-Thyssen-Chefs Dieter Vogel und des CSU-Politiker Ludwig-Holger Pfahls. Er hat auch in der Telekom-Affäre ein Mandat übernommen.
Hoffmann bemerkt bei seinen Manager-Mandanten eine "tiefe Verunsicherung": Der Fall Siemens und der Prozess gegen den ehemaligen EnBW-Chef Utz Claassen, der erst nach acht Verhandlungstagen von dem Vorwurf freigesprochen wurde, er habe mit Einladungen zu Fußballspielen Landespolitiker bestechen wollen, beunruhigen die Unternehmensführer. "Mancher traut sich nicht mal mehr, Geschäftskunden einen Parkplatz in der Tiefgarage anzubieten."
Wie viele seiner Kollegen kritisiert Hoffmann den Anspruch professioneller Ermittler, mit den Maßstäben des Strafrechts unternehmerisches Handeln bis in jedes Detail nachvollziehen und bewerten zu können. In vielen Managerprozessen werde Strafrecht als "Ausputzer gesellschaftlicher Verschiebungen" missbraucht, und die Organe der Rechtspflege - Anwälte, Ermittler, Gerichte - dienten als "Saubermänner der Nation".
Hoffmann wünscht sich rechtspolitische Reformen, etwa die Umwandlung der Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch in ein Antragsdelikt. Dann könnte Untreue nur auf Antrag des Geschädigten, meist des Unternehmens, verfolgt werden, und der Strafjustiz blieben viele "kleinkarierte" Ermittlungsverfahren erspart.
"Heraus aus der Schusslinie"
Solange diese Reformen ausbleiben, nimmt die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Manager weiter zu. In vielen dieser Wirtschaftsstrafsachen kommt der Anwalt erst ins Spiel, wenn die Staatsanwaltschaft sich durch umfangreiche Ermittlungen einen Vorsprung erarbeitet hat. Dann muss der Verteidiger zunächst ohne jegliches Hintergrundwissen über die konkreten Vorwürfe das Verfahren in eine für seinen Mandanten günstige Bahn lenken.
Oft genug sind Führungskräfte der Meinung, durch eine geharnischte Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft ließen sich die Ermittlungen doch wohl schnell aus der Welt schaffen. Zumwinkel-Anwalt Feigen erstickt solche Erwartungen im Keim. Stellungnahmen ohne Akteneinsicht seien ein "kapitaler Kunstfehler", brummt er. So kann schon mal - wie im Telekom-Fall - ein knappes Jahr vergehen, bis die Staatsanwaltschaft die Akten herausgibt und der Manager überhaupt ahnt, wogegen er sich zur Wehr setzen muss.
Mit dem Erhalt der Akten beginnt die eigentliche Verteidigerarbeit. Kaum hatte er wie die übrigen Beschuldigtenanwälte die CD-Rom mit den 7500 Seiten Ermittlungsakten in der Hand, wandte sich Feigen an die Staatsanwaltschaft Bonn und widersprach der Weitergabe der Papiere an die Verteidiger der potenziellen Bespitzelungsopfer. Begründung: Die Akten enthielten persönliche Details über Zumwinkel, die zu befürchtende Weitergabe der Informationen an eine größere Öffentlichkeit verletze seine Persönlichkeitsrechte. Kontrolle ist alles.
Mittels akribischer Analyse der Ermittlungsergebnisse in enger Abstimmung mit dem Mandanten bemühen sich die Verteidiger, eine Gegenposition zu den Vorwürfen aufzubauen.
Was leugnen, wo schweigen, wo mit den Ermittlern kooperieren - das sind Fragen, die nur mithilfe des Insiderwissens der Mandanten zu beantworten sind. Wenn Anwalt und Mandant etwa nachweisen können, dass der Vorstand bei einem sogenannten Risikogeschäft alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, um das Geschäft ohne Verluste abzuwickeln, fällt der Untreuevorwurf der Staatsanwaltschaft schnell in sich zusammen.
Eines eint alle Wirtschaftsstrafverteidiger: In aller Regel arbeiten sie darauf hin, ihrem Mandanten einen öffentlichen Prozess zu ersparen. Hauptsache, heraus aus der Schusslinie, lautet die Devise. Das klassische Mittel steht in Paragraf 153a der Strafprozessordnung: Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen Erteilung von Auflagen und Weisungen an den Beschuldigten ein. Der hat die Sache hinter sich und kann weiterarbeiten. Und die chronisch überlasteten Ermittler gewinnen Zeit für den nächsten Fall.
"Wir sind keine Wunderheiler"
Doch es gibt auch Verteidiger, die die inflationäre Anwendung des Paragrafen 153a StPO für heikel halten. Eberhard Kempf (65) gehört dazu, ebenfalls ein erstklassiger Wirtschaftsstrafverteidiger, allerdings einer mit ungewöhnlichen Wurzeln.
Der hochgewachsene ältere Herr, der zum Gespräch in der Bibliothek seiner Kanzlei gegenüber dem Frankfurter Palmengarten empfängt, begann als Anwalt der linken Szene, vertrat Frankfurter Startbahngegner, Hausbesetzer und mitunter Terroristen. Dass von dieser Vergangenheit eine direkte Linie zur Beratung mächtiger Wirtschaftsmanager führe - Kempf stand im Mannesmann-Verfahren an der Seite von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann -, fällt ihm leicht zu begründen: Immer sei es ihm um den "Einsatz für rechtsstaatliches Strafrechtsverständnis" gegangen.
Dazu gehöre auch, für den Mandanten einen unter Umständen nur mühsam zu erkämpfenden Freispruch zu erwirken, anstatt sich mit einer Verfahrenseinstellung aus der Affäre zu stehlen. So vertrat Kempf den einstigen West-LB-Chef Jürgen Sengera, der sich 2008 wegen schwerer Untreue im Zusammenhang mit riskanten Kreditgeschäften vor Gericht zu verantworten hatte. Fünf Monate dauerte der Prozess, die Anklage hatte zwei Jahre Haft auf Bewährung gefordert. Am Ende erhielt Sengera die Rehabilitation: Er wurde freigesprochen.
Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens unumgänglich, bemühen sich die Verteidiger um Verständigung mit dem Gericht im Wege des "Deals": Der Mandant legt ein Geständnis ab, zeigt möglichst aufrichtige Reue und liefert damit selbst einen Strafmilderungsgrund, der zu einer Geld- oder Bewährungsstrafe führt.
Der Fall Klaus Lederer
Diesen Weg wählte Kempf für seinen Mandanten Klaus Lederer: Der ehemalige Babcock-Chef kassierte 2008 beim Landgericht Duisburg wegen Insolvenzverschleppung anderthalb Jahre Haft auf Bewährung, 250.000 Euro Geldauflage und 1000 Stunden gemeinnütziger Arbeit, nachdem er zu Prozessauftakt gestanden hatte. Eine happige Strafe: Doch ohne offensives Eingestehen seiner Verfehlungen hätten auf Lederer quälende 45 Verhandlungstage gewartet - und ein völlig offener Verfahrensausgang, bei dem vom Freispruch bis zu drei Jahren Haft alles möglich gewesen wäre.
Den Anspruch, allein schon aufgrund ihrer Prominenz könnten er und seinesgleichen jeden Manager vor dem Richter retten, weist Kempf deshalb auch zurück. Letztlich sei der Einfluss der Verteidiger begrenzt: "Wir sind keine Wunderheiler, die Knoblauch an die Tür hängen, um den Teufel auszusperren. Dagegenhalten, solange es Grund dafür gibt", sei alles, was ein Verteidiger tun könne.
Der Eindruck der persönlichen Nähe, den Spitzenmanager und Anwälte in spektakulären Strafverfahren hinterlassen, verflüchtigt sich mit dem Ende der beruflichen Beziehung. Im "einstelligen" Bereich liege die Zahl seiner Freundschaften mit Managern, die sich aus den oft jahrelangen Beratungen ergeben hätten, sagt der Anwalt, und er scheint es nicht zu bedauern. Die meisten Mandanten seien ja froh, ihren Verteidiger eines schönen Tages nur noch von hinten zu sehen. Immerhin: Mit Josef Ackermann geht Kempf manchmal mittagessen.