Firmen suchen händeringend nach qualifizierten und jungen IT-Mitarbeitern. Dadurch verändern sich auch die Anreize: Routine und Automatismen, die es Mitarbeitern erlauben, "eine ruhige Kugel zu schieben", sind der neuen Generation ein Gräuel. Auch monetäre Anreize oder gute Aufstiegschancen motivieren nur bedingt. Die Digital Natives wollen herausfordernde Aufgaben gepaart mit Spaß und Abwechslung.
Das gewährleisten zum Beispiel Mechanismen, die aus Computerspielen bekannt sind. Das Motto "Work hard and play hard" impliziert nicht die strikte Trennung von Berufs- und Privatleben. Techniken aus dem Spielebereich finden Eingang in die Welt der Arbeit, ein Trend, der unter dem Schlagwort "Gamification" zusammengefasst wird. Darunter versteht man ganz allgemein die Anwendung von Spielelementen in spielfremden Kontexten.
Analysten sind optimistisch
Der Markt für Gamification soll laut Angaben des US-Forschungsinstituts M2 Research 2012 mit rund 242 Millionen Dollar mehr als doppelt so groß wie 2011 gewesen sein. Für 2016 liegen die Prognosen bei 2,8 Milliarden Dollar. Den starken Anstieg erklären die Marktforscher damit, dass sich Gamification-Ansätze nicht mehr nur in spielaffinen Branchen wie der Entertainment- oder der Medienwelt ausbreiten, sondern auch in Industrieunternehmen, im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich.
Die deutsche IT-Industrie spielt diesmal an vorderster Front mit. IBM und die Deutsche Notes User Group nahmen bereits im vergangenen Jahr den Vortrag "Gamification zur Steigerung der IBM Connections Akzeptanz" ins Konferenzprogramm auf. SAP nutzt den Spieleansatz in seinem Community Network. IDS Scheer Consulting gewann den zweiten Platz im "SAP HANA Partner Race" mit einem Planungswerkzeug, das zusammen mit dem deutschen Spieleanbieter Crytek entwickelt wurde. Die Frankfurter steuerten für die Gestaltung der Benutzeroberfläche die "Cry Engine3" bei, die bei Computerspielen für realistische Szenarien sorgt. Jens Echtermeyer, Vice President von IDS Scheer und Verantwortlicher für den HANA-Bereich, betont die Benutzerfreundlichkeit: "Aus einem Benutzen müssen wird ein Benutzen wollen."
Professionell zum Einsatz kommt Gamification bereits bei Scout24 Services, einer Tochter der Scout24-Gruppe, die sich unter anderem auf die Förderung von Startups spezialisiert hat. Dort nutzt man spielerische Elemente zur Motivationssteigerung der Website-Nutzer. "Das Kernprodukt muss natürlich überzeugen. Zusätzlich aber lässt sich die Attraktivität über gamifizierte Ergänzungen steigern, die den Besuchern Spaß machen", erklärt Christian Dyck, Vice President Products bei Scout24 Services. "Das klappt allerdings nur, wenn beides zueinander passt und Mehrwert für den Nutzer entsteht."
Das Marktpotenzial und den Trend vor Augen bilden auch die Universitäten entsprechende Fachleute aus, etwa die TU München, die seit dem Wintersemester 2011/12 im Fachbereich Informatik den Studiengang "Games Engineering" anbietet. Dabei geht es nicht nur darum, den Bachelor-Studenten Fähigkeiten zum Design von Computerspielen zu vermitteln, vielmehr sollen sie auch "seriöse Spiele" für unterschiedlichste Branchen und Bereiche - Banken, Logistik, E-Learning, Marketing - entwerfen lernen.
Mitarbeiter spielerisch motivieren
Nach Angaben der amerikanischen Consulting-Firma Blessing White fühlen sich derzeit nur 33 Prozent aller US-Mitarbeiter aktiv in ihre Arbeitsprozesse eingebunden. Ähnliches erbrachte eine Gallup-Untersuchung. Danach sind in den USA nur 30 Prozent aller Angestellten mit Eifer bei der Arbeit, 19 Prozent fühlen sich unwohl am Arbeitsplatz und verhalten sich entsprechend. Die Mehrheit der Befragten - 51 Prozent - verhalten sich "wie Schlafwandler" und trotten uninspiriert und nicht engagiert durch den Arbeitstag.
Abhilfe schaffen sollen unter anderem Ideen aus der Spieleindustrie, wie Gartner-Analyst Brian Burke postuliert: "Gamification hat gezeigt, dass es - sofern richtig geplant wird - dazu taugt, Mitarbeiter zu stärkerem Engagement zu bringen, ihr Verhalten zu ändern, Fähigkeiten zu entwickeln oder Probleme zu lösen."
Die polnische Agentur SoInteractive mit Niederlassung in München hat ein komplettes Framework rund um die "Spielefizierung" des Arbeitsplatzes aufgebaut. Mit zahlreichen Modulen, die vom Erstellen eines Benutzerprofils über Spielefortschritt, Punkte und Wettbewerb bis zu Rankings reichen, sollen Mitarbeiter motiviert werden. Ein veränderbares Verwaltungs-Panel erlaubt die Anpassung an unternehmensspezifische Bedürfnisse. Gedacht ist das System nicht nur, um die Beziehungen zwischen Mitarbeiter und Unternehmen zu festigen, sondern, um beispielsweise als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Laut Hersteller eignet sich das Spiele-Framework auch dazu, die Einstellungsverfahren zu optimieren und später die Lernbereitschaft im Unternehmen zu fördern. Ähnliches prophezeit Gartner in seinem "Gamification Research": Mitarbeiter könnten leichter dazu gebracht werden, sich zu engagieren und weiterzuentwickeln.
Mögliche Kehrseite der Medaille
Anfänglicher Begeisterung folgt oft die Phase der Ernüchterung, zumindest, wenn man dem "Hype Cycle" von Gartner traut. Die Analysten glauben, dass das Thema Gamification schon bald den höchsten Punkt der Euphorie erreicht hat und sich demnächst - aufgrund nicht erfüllter, weil unrealistischer Erwartungen - in der Abwärtsbewegung wiederfinden wird. Dazu Analyst Burke: "Wir erwarten, dass 2014 rund 80 Prozent der derzeitigen gamifizierten Anwendungen die Erwartungen der Business-Bereiche nicht erfüllen werden, hauptsächlich wegen des schlechten Designs der Applikationen."
Beispielsweise warnt Gartner die Unternehmen davor, "bedeutungslose Knöpfe, Bonuspunkte oder Ranking-Listen" auf ihre Websites zu stellen. Vielmehr sollten sinnvolle Anreize die Zielgruppe zur Teilnahme bewegen. Zudem gehe es per se nicht um die bloße Teilnahme von Kunden und Mitarbeiter am Spieleprogramm, sondern es sollen die Geschäftsinteressen der Firma befördert werden. Eine kritische Analyse darüber, wie diese mit den geplanten Gamifizierungs-Maßnahmen zu erfüllen sind, sei somit unerlässlich.
Gerade das erscheint Manfred Holler, emeritierter Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Hamburg, problematisch: "Gamication beutet den Spieltrieb des Menschen aus." Generell sieht er den Nutzen solcher Techniken hauptsächlich darin, den Absatz von Waren zu steigern: "Gamification verschiebt Angebot und Nachfrage zugunsten des Angebots."
Wird Gamification als Führungsinstrument eingesetzt, dann erinnert ihn das an die Bewegung "Humanisierung der Arbeit", die vor 40 Jahren Einzug in die Arbeitswelt hielt: "Konzepte wie die teilautonomen Arbeitsgruppen dienten mehr dem Unternehmen als dem Mitarbeiter, weil sich die Gruppen freiwillig unter Erfolgsdruck setzten und schwächere Kollegen ausgrenzten." Für ihn ist die Gamifizierung eine Fortführung dieser Strategie und eigentlich nur alter Wein in neuen Schläuchen: "Das Bewusstsein von Ort und Zeit geht beim Spiel verloren. Man steht im Wettbewerb mit sich selbst: Heute schaffe ich mehr als gestern." Von dieser verschärften Konkurrenz profitiere in erster Linie der Arbeitgeber.
Was Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch als Utopie galt, könnte sich jetzt bewahrheiten. Bereits 1981 beschrieb Holler, was passieren könnte: "Die Transformation der Arbeit in ein Spiel scheint ein mögliches Konzept, die tägliche Arbeit als eine ,Quelle des Glücks` zu gestalten. Vielleicht müssen wir eines Tages Eintritt zahlen, um arbeiten (spielen) zu dürfen."
"Nutzer ist nicht manipulierbar"
Christian Dyck von Scout24 Services ist anderer Ansicht: "Ich glaube nicht, dass man einen Nutzer manipulieren kann. Genau deswegen muss das Ausgangsprodukt an sich erfolgreich und das Gamification-Konzept genau darauf abgestimmt sein." Das deckt sich mit den Erwartungen von Gartner-Analyst Burke: "Gamification wird auf lange Sicht einen signifikanten Einfluss auf das Geschäft erringen und ein wichtiges Mittel für ein tieferes Engagement der Adressaten werden." (hk)
Gamification-Einführung
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Das Kernprodukt muss stimmen.
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Die Erweiterung um Gamification muss Zusatznutzen bringen.
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Die Entwicklung sollte zusammen mit der Zielgruppe betrieben werden.
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Die Zielgruppe wird motiviert durch bestimmte Dynamiken wie Status, Belohnung etc. und indem sie Spaß daran hat.
Kriemhilde Klippstätter ist Coach und freie Autorin in München.