In den vergangenen Jahren ist es vielen Organisationen vor allem darum gegangen, Resultate vorherzusagen, berichtet Gartner-Analyst Daryl Plummer auf einem digital abgehaltenen Symposium. In der Corona-Pandemie mussten sie improvisieren. Dabei sei deutlich geworden, dass diejenigen Unternehmen, die schnell auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren und sich anpassen können, die Krise besser überstehen als solche, die weniger flexibel sind. Gartner rät Unternehmen deshalb, ihr Geschäft modular aufzubauen und bringt dafür den Begriff "Composable Business" ins Spiel.
Mit Bauklötzen gegen das Chaos
Ziel der Strategie ist es, eine widerstandsfähige Struktur für Unternehmen zu schaffen, die mit den ständigen Veränderungen umgehen kann. Gartner nennt dafür vier Prinzipien. Unternehmen sollten
schnell entdecken, wann welche Veränderungen notwendig sind (Discovery);
autonome Geschäftseinheiten etablieren, um flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren (Autonomy);
Geschäftsfunktionen modular aufbauen, um diese neu kombinieren und so das Kerngeschäft je nach Situation anders ausrichten zu können (Modularity);
die einzelnen Module orchestrieren, um das gewünschte Resultat zu erzielen (Orchestration).
Aus der technischen Perspektive ist das für die meisten CIOs nichts Neues. Analytics, agile Teams und DevOps, Containerisierung, Microservices oder APIs sind vielerorts bereits feste Bestandteile der Unternehmens-IT. Gartner weitet das Konzept nun auf das gesamte Unternehmen aus: Auch außerhalb der IT müssten das Mindset, die Business-Architektur und die Technologie generell modular werden, indem jeweils die genannten vier Prinzipien angewendet werden.
Unter Mindset wollen die Analysten Design-Leitlinien verstanden wissen, anhand derer eine Organisation definiert, wann welche Komponenten jeweils kombinier werden. Dazu gehört etwa die Frage, wie hierarchisch oder frei Entscheidungen für neue Projekte in Abteilungen getroffen werden. Werden Ideen, Wissen und Fähigkeiten zwischen Abteilungen und mit Partnern geteilt? Wie individuell können sich Mitarbeiter weiterbilden?
In der Business-Architektur geht es vor allem um Mechanismen, mit denen sich Geschäftsstrukturen anpassen lassen. Kernfragen in diesem Bereich sind etwa: Wie zentral und starr sind Prozesse und Wertschöpfungsketten angelegt? Wie granular wird gemessen, welche Abteilungen wie viel Change-Aufwand betreiben müssen? Wie schnell kann Arbeitskraft bei Bedarf zwischen Geschäftseinheiten neu verteilt werden? Wer hat Einblick in Performance-Daten, Benchmarks oder Marktanalysen?
Für die Technologie ist laut Gartner entscheidend, inwieweit sie das Mindset und die Architektur unterstützt. Es gehe darum, Lösungen so zu gestalten, dass sie das Business bei jeder Veränderung optimal unterstützen. Dabei gelte es, das richtige Maß zwischen monolithischen und zu kleinteiligen Lösungen zu finden. In diesem Kontext stellen sich Fragen wie: Bieten die verschiedenen IT-Komponenten einen klar definierte Nutzen in möglichst vielen Business-Kontexten? Wie stark hängen Softwaremodule voneinander ab und wie gut können sie miteinander kommunizieren? Gibt es einen Software-Marktplatz, über den auch Fachabteilungen die IT-Komponenten finden können, die sie brauchen?
Je nachdem, wie Unternehmen solche und ähnliche Fragen beantworten, soll sich bemessen lassen, wie "composable" ihr Geschäft bereits ist.
Composable Business: ein Beispiel aus Fernost
Wie ein Composable Business in der Praxis aussehen kann, erläuterte Gartner anhand eines Beispiels aus China. "Können wir einen dreieckigen Kühlschrank herstellen, wenn die Kunden einen wollen?" Mit dieser Frage soll ein Geschäftsführer bei Haier die Transformation des chinesischen Haushaltsgeräteherstellers angestoßen haben. Da es in der traditionellen Unternehmensstruktur keine Antwort auf diese Frage gab, wurde beschlossen, großflächig umzubauen.
Laut einer Haier-Sprecherin wurde die stark hierarchische Struktur des Unternehmens in Micro-Betriebe aufgespalten, sogenannte Ecosystem Micro Communities (EMCs). Diese arbeiten weitgehend selbstständig, werden aber je nach Aufgabe umverteilt oder gebündelt, wie ein Schwarm Fische im Meer. Mit diesem neuen Ansatz entwickelte Haier schließlich eine Plattform, in der Kunden sich ihre Küchengeräte selbst anpassen können - auch als Dreieck.
Aus einer dieser EMCs entstand im Zuge der Corona-Pandemie auch ein komplett neues Geschäftsfeld. Ein Mitarbeiter startete zu Beginn der Krise eine Chat-Gruppe, in der Kollegen medizinische Materialien austauschen konnten. Das funktionierte so gut, dass in einem Meeting beschlossen wurde, eine App für den Healthcare-Sektor zu entwickeln. Damit können Unternehmen, Krankenhäuser oder Verwaltungen festhalten, welche Vorräte sie in welcher Menge brauchen. Die jeweiligen Einkaufs-, Logistik- und Finanzabteilungen werden in die Lage versetzt, die Beschaffung genau am jeweiligen Bedarf anzupassen.