Mit etwa 7.500 Teilnehmern platzte die Gartner ITXpo Anfang November fast aus den Nähten. Die Analysten und Berater erweckten den Eindruck, CIOs und IT-Verantwortliche weiterhin für unsichere Zeiten fit machen zu wollen. Dabei versucht Gartner, ihnen die Einstellungen und Werkzeuge nahezubringen, mit denen sie der Unsicherheit begegnen können, die im Business- und im technischen Bereich herrscht. Das Marktforschungs- und Beratungshaus empfiehlt, mit vielen kleinen, schnell korrigierbaren Schritten auf ein bewegliches Ziel zuzugehen.
Dabei verspricht Gartner selbst ebenfalls keine Gewissheiten mehr. Die berühmten "Wahrscheinlichkeiten", mit denen bestimmte Ziele und Zustände erreicht werden sollen, spielten zumindest auf der Konferenz praktisch keine Rolle. Die Analysten betonten stattdessen Themen wie Einstellung, Kultur, New Work, New Leadership oder Tools, kurz alles, was hilft, sich auf Veränderungen auch kurzfristig einzustellen. Deshalb wurde auch so viel von Leadership gesprochen und die damit angesprochenen Fähigkeiten Inspiration, Orientierung und Coaching herausgestellt. Die Botschaft: Das Hippo - die "Highest Paid Person in the Organisation" spielt nicht mehr die wichtigste Rolle. Jetzt brauche es Leader, die es schafften, Teams auch in unsicheren Zeiten auf bewegliche Ziele einzuschwören und sie mit ihnen zu erreichen.
Change bewältigen selbstbewusste CIOs natürlich besser als verunsicherte IT-Verantwortliche. Deshalb tat Gartner auf der ITxpo alles, um ihnen Zuversicht zu geben. Die Analysten machten an vielen Stellen deutlich, dass das Top-Management im Prinzip keine Ahnung davon habe was digitale Transformation bedeutet. Hier sei der CIO als Leader gefragt.
Wenn sich nur ein verschwommenes Bild der Zukunft malen lässt, benötigen Unternehmen die Kreativität und Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden und sie müssen in der Lage sein, gleichzeitig verschiedene Wege auszuprobieren und wieder zu verlassen, sobald sich das Ziel verändert. Siegfried Lautenbacher, Gründer und Geschäftsführer des Münchener Digital-Service-Providers Beck et al brachte die Konferenz auf den Punkt: "Gartner bleibt der Welterklärer für die Mainstream-IT und als solcher bringt er die Mainstream-IT auch in Richtung Digitalisierung voran."
Leadership wird wichtiger
Klassisches Management, also das geordnete Abarbeiten klar umrissener Aufgaben im Befehl- und Kontrollmodus (command and control) sei in Zeiten großer Umbrüche, wie sie die digitale Transformation darstelle, nicht mehr ausreichend, erklärte Cassio Dreyfuss, Vice President und Gartner Research-Leiter in Brasilien. Ein CIO müsse Manager und Leader sein, wobei die Betonung heute etwas stärker auf der Leader-Rolle liege. Als solcher lege der CIO das Ziel fest und vertraue seinen Mitarbeitenden, den richtigen Weg dorthin zu finden. Dabei sei es seine Hauptaufgabe, sie zu inspirieren, zu coachen und ihnen Orientierung zu geben.
Was einfach erzählt ist, gestaltet sich in der Umsetzung schwierig. Das wurde auch deutlich, weil Gartner keine klaren Wege aufzeigte, wie sich ein CIO zum Leader entwickeln kann, sondern Beispiele gab und anonymisiert CIOs zitierte, die versuchen, dieser Rolle gerecht zu werden. Ansonsten ließ man viel Spielraum zur Interpretation. Ein erfolgreicher CIO, der während anderer Vorträge auf der ITxpo häufig auch als "strategischer CIO" und strategischer Leader apostrophiert wurde, konzentriert sich laut Dreyfuss auf die strategischen Elemente seiner Aufgabe, die da sind: Werte (Value), Werkzeuge, Management und Leadership. Wie sich diese Elemente genau zusammensetzen, müsse natürlich jeder CIO für sich entscheiden. Im Bereich Werte schlug Dreyfuss zum Beispiel das Streben nach operationaler Exzellenz, die Anhebung von Agilität und Umsatz sowie die Entwicklung nachhaltiger Innovationen vor.
Beim Thema Leadership wird es deshalb komplizierter, weil ein CIO nicht nur seine Teams ("lead down"), seine Kollegen ("lead at level"), sondern auch das Topmanagement "anleiten" sollte. Beim nach unten Führen geht es also um Inspiration, Orientierung und Coaching; auf Kollegenebene eher darum, sie von der Richtigkeit der eigenen Ziele zu überzeugen und sie als Partner ins Boot zu holen. Ein ähnliches Vorgehen schlägt Dreyfuss auch auf Ebene des Topmanagements vor. Wichtig sei es, Support und Sponsorship zu erreichen sowie Partizipation. Wenn der CEO sich persönlich zum Beispiel für den Digital Workplace stark mache und beispielhaft vorangehe, könne das eine enorme Wirkung erzielen.
Allerdings hat der CIO selbst im Topmanagement keinen leichten Stand. Einer Gartner-Befragung unter Verwaltungsräten zufolge sehen nur 18 Prozent der Board-Member im CIO einen treuen Verbündeten, der digitale Initiativen im Topmanagement führt. 41 Prozent holen sich nur gelegentlich Input vom CIO und 31 Prozent der Befragten erklärten, dass sie sich nicht mit CIOs beraten, außer dann, wenn etwas schiefläuft.
Gartner empfiehlt CIOs daher, von der Defensive in die Offensive zu wechseln: "Es ist sehr schwer zu punkten, wenn man nur verteidigt" sagte Jan-Martin Lowendahl, Distinguished Vice President Analyst bei Gartner, in der Eröffnungskeynote der Konferenz. Auch für die Offensive formulierten die Analysten eine griffige Formel: Decide, Design und Drive.
Mit Blick auf "Decide" (Entscheiden) empfiehlt Gartner den CIOs, eine offensive Leadership-Rolle einzunehmen. Dazu gehörten klare Regeln für das Engagement der IT, neue Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit Kollegen sowie gemeinsam verhandelte Arbeitsprinzipien.
CIOs eher nicht in der Offensive
Mit dem Begriff "Design" umschreibt Gartner den Aufbau sogenannter "Fusion-Teams", die sowohl in der Verteidigung als auch im Sturm spielen können. Die Teams setzen sich aus Business- und Technologie-affinen Leuten zusammen, die nicht nur das Brot- und Buttergeschäft der Enterprise IT verstehen, sondern auch neue Projekte gestalten und Innovationen vorantreiben können.
"Drive" bedeutet in diesem Kontext, Diskussionen um traditionelle Projekte und digitale Projekte aus Businesssicht zu betrachten. Es müssten klare Antworten gefunden werden auf die Frage, welche Konsequenzen sie in Bezug auf Umsatz, Kosten und Risiken haben.
Doch im Sturm zu spielen, liegt offensichtlich bei weitem nicht allen CIOs. Von 15000 befragten CIOs und IT-Verantwortlichen sieht sich die Mehrzahl als reaktiv oder defensiv (59 Prozent). Nur 41 Prozent bezeichnen sich als durchsetzungsstark und offensiv. Dabei sind die Chancen für den CIO, mit digitalen Themen im Topmanagement gehört zu werden, zurzeit besonders gut. In der zitierten Board-Member-Befragung gaben 67 Prozent an, dass sie Digitalisierung und technische Disruption als größte Business-Herausforderung sehen; 53 Prozent bezeichnen sie als die wichtigste Business-Priorität.
Techquilibrium - die richtige Balance finden
Gartner empfiehlt Unternehmen und Ihren CIOs, nach dem "Techquilibrium" ihrer Unternehmen zu streben. Mit dem erfundenen Begriff, der sich aus Technology und Equilibrium zusammensetzt, meinen die Analysten, dass jedes Unternehmen abhängig von der Branche, den eigenen Fähigkeiten sowie den Bedürfnissen seiner Kunden sein individuelles Maß der Digitalisierung finden muss. Im Umgang mit Kunden sei es erreicht, wenn in jedem Moment, in dem Technologie und Menschen aufeinandertreffen, ein Wert entsteht.
Um dieses Techquilibrum zu erreichen und in Zukunft erfolgreich zu sein, sollten Unternehmen unter anderem das "And" Dilemma überwinden. Vieles von dem, was sich auf den ersten Blick widerspricht, müssten Unternehmen künftig parallel bewältigen: zum Beispiel gleichzeitig nach Wachstum streben und Kosten reduzieren, zur gleichen Zeit traditionelles und digitales Unternehmen sein, parallel analysieren und ausführen oder stabil sein und sich zugleich verändern. Allerdings lässt sich dieses Dilemma weder mit traditionellen Technologien, Herangehensweisen und Kulturen noch mit den vorhandenen Strukturen und Betriebsmodellen überwinden.
Neues IT-Betriebsmodell gefragt
Deshalb versuchte Tomas Nielsen, Research Vice President im IT Strategic Execution Management Research-Team von Gartner, CIOs davon zu überzeugen, das Betriebsmodell (Operating Model) der IT grundlegend zu verändern. Heute erscheine die IT manchmal wie ein Restaurant, in dem das Service-Personal agiere wie in einem Sternerestaurant, aber doch nichts weiter serviere als Burger und Fritten. Mit diesem drastischen Vergleich verdeutlichte Nielsen, dass es bei weitem nicht ausreicht, Organigramme neu zu schreiben und Titel wie Relationship-Manager oder Transformation Leaders zu erfinden. Vielmehr müsse das gesamte Betriebsmodell der IT verändert werden, um die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten.
Dieses Betriebsmodell setzt sich aus drei Elementen zusammen: Im Bereich Engagement geht es darum, wie Leistung und IT-Erfolg gemessen werden, wie Entscheidungen getroffen werden und wie das Budget verteilt wird. Wer agil sein will, kann zum Beispiel nicht sämtliche Entscheidungen in einem kleinen Führungskreis treffen. Auf der Ebene Enablement stellt sich die Frage, wie die IT-Organisation aufzustellen ist, damit sie ihre Ziele erreichen kann. Hier spielt das Organigramm zwar eine Rolle; hinzu kommen aber andere Elemente wie Sourcing und Partnerschaften. Dabei werden beispielsweise die Kriterien definiert, nach denen Aufträge vergeben und Partnerschaften eingegangen werden.
Im dritten Sektor dieser Ebene geht es um Talent-Recruiting und -Management. Im Zentrum steht die Frage, welche Persönlichkeiten mit welchen Fähigkeiten in der IT arbeiten und wie man sie weiterentwickeln kann. Auf der letzten Ebene dreht sich alles um Delivery, also darum, wie gearbeitet wird, welche Tools benutzt werden und welches die eigentlichen Treiber sind. Sämtliche dieser Ebenen müssten laut Gartner berücksichtigt werden, damit aus der IT ein effizient arbeitender Motor wird und nicht einer, der zusammengeschustert, mehr recht als schlecht läuft, Öl verliert und ein enormer Spritfresser ist. Der läuft zwar auch eine Zeit lang, aber in nicht allzu ferner Zukunft wird er den Dienst verweigern.
Mehr als drei Jahre für den Umstieg
Im Betriebsmodell- oder Delivery-Ansatz geht es darum, die einzelnen Teile des Motors (die IT) effizient und zielorientiert zusammenarbeiten zu lassen. Historisch unterscheidet Nielsen zwischen Prozess-, Service- und Produkt-basiertem Betriebs/Liefermodell. Im Zuge der Digitalisierung tendierten die IT-Organisationen immer stärker zum produktorientierten Ansatz. Um auf ein neues Modell umzustellen, bedürfe es großer Veränderungen betont Nielsen.
Umso mehr, als über 50 Prozent der IT-Organisationen aus Sicht von Gartner noch dem Prozessmodell verhaftet sind und den Weg zum Service-orientierten Modell noch nicht bewältigt haben. Direkt vom reaktiven Prozessmodell auf ein am Endkunden ausgerichtetes Produktmodell umzusteigen, funktioniere nicht. Der Zwischenschritt über das Service Delivery-Modell, indem die IT bereits für ihre internen Kunden proaktiv agieren muss, sei notwendig.
Das Produktmodell ist deutlich komplexer. Hier müssen Chancen identifiziert und gemanaged sowie benötigte Fähigkeiten entwickelt werden, um die Endkundenbedürfnisse zu befriedigen. Dann geht es um Entwicklung und Aufbau eines IT-Produktportfolios sowie das Management verschiedener Produktlinien. Außerdem muss die IT die verschiedenen Produkte managen und kontinuierlich weiterentwickeln und ausliefern. Das IT Backoffice stellt schließlich die zugrundeliegenden fundamentalen Services und Infrastrukturen bereit. Außerdem kümmert es sich um Support und Shared Services für IT und Business. "Dieses Produkt-Modell ist am besten geeignet, um den Anforderungen in einer digitalen Welt gerecht zu werden", erklärte Nielsen.
Aber es ist eine lange Reise, vom Prozess- zum Produktmodell zu gelangen: "Eine solche Reise dauert typischerweise sechs bis sieben Jahre" sagte Nielsen. "Solange dauert es einfach, um die Fundamente der IT zu verändern." Nielsen machte beispielhaft deutlich, was er meint. "Nicht mehr die Leute seien die Helden der IT, die in nächtelanger Arbeit dem Business genau die Funktion liefern, das es erwartet, sondern die dem Business etwas liefern, das es gar nicht wollte, das aber viel besser den Bedürfnissen der Kunden entspricht."
Hacks müssen emotional sein und sofort wirken
Allerdings müssen Organisationen nicht unbedingt darauf warten, bis die fundamentalen Veränderungen vollzogen sind. Häufig können schon kleine Interventionen, sogenannte Hacks viel Veränderungen bringen, vor allem in der Art und Weise der Zusammenarbeit und der Kultur. Ed Thompson, Vice President Analyst bei Gartner, stellte mehrere Hacks vor, die dem CIO helfen können, eine kundenzentrierte Kultur aufzubauen. Dazu fächert er den Begriff Kultur in fünf Bereiche auf:
Ziel/Zweck: Warum tun wir die Dinge, die wir tun?
Rituale: Wie tun wir die Dinge, die wir tun?
Identität: Wie sehen wir uns in Bezug auf andere?
Unterstützung: Wie unterstützen wir uns gegenseitig, um erfolgreich zu sein?
Verdienst/Leistung/Merit: Was schätzen und achten wir?
Für das Kultursegment Ziel/Zweck schlägt er zum Beispiel vor, zu jedem Meeting, in dem es um Kunden geht, auch einen oder mehrere Kunden einzuladen, die erzählen, wie sie das Unternehmen in bestimmten Situationen erlebt haben. Damit würden die Daten und Fakten, die in solchen Meetings diskutiert würden, plötzlich durch echte Geschichten ersetzt, die viel besser erinnert werden könnten und die viel mehr Emotion auslösten. Ein anderes Beispiel aus dem Segment Identität: CIOs sollten Mitarbeiter im und außerhalb des CIO-Teams bitten, die kundenzentriertesten Kolleginnen und Kollegen zu benennen. Die meistgenannten sollten in Customer-Experience Initiativen eingebunden werden.
Gartner empfiehlt Hacks nicht nur im kulturellen Bereich. Auch bei der Entwicklung adaptiver Strategien erwiesen sie sich als sinnvoll. Doch gleichgültig in welchem Bereich diese kleinen Interventionen eingesetzt werden, sie sollten immer vier Kriterien erfüllen: emotional, sofort wirksam, sichtbar und mit geringem Aufwand durchzuführen sein. Ian Cox, Senior Director Analyst bei Gartner, stellte insgesamt vier Strategie-Hacks vor. Ein besonders spannender ist der "Minimun Viable Knowledge Hack".
Jeder Strategie-Prozess benötigt detaillierte Analysen für jedes Vorhaben, bevor die Umsetzung starten kann. Damit kann auf neue Marktentwicklungen, Chancen und Bedrohungen jedoch nur langsam reagiert werden. Viel schneller ginge es, wenn man die Analyse nicht allzu tief treibt. Deshalb folgender Hack: Zunächst werden die Annahmen identifiziert und bewertet, die als Voraussetzung für jedes der Vorhaben dienen. Dann wird festgelegt, wie weit die Voraussetzungen mindestens erfüllt sein müssen, um ein Vorhaben zu starten.
Die Projekte werden gestartet, sobald dieses Minimum erreicht ist. Auf diese Weise kommen Unternehmen sehr viel schneller von der Analyse- in die Umsetzungsphase. Die Einschätzung wird jeden Monat aktualisiert, um Fehlentwicklungen zu vermeiden beziehungsweise frühestmöglich zu stoppen.