Was fangen CIOs mit Studien an, wenn sie so widersprüchlich sind wie die jüngst von Merrill Lynch und der Gartner Group veröffentlichten? Merrill Lynch prognostiziert ein weltweites Wachstum der IT-Ausgaben von lediglich vier Prozent. "Dies scheint eine globale IT-Rezession zu sein", sagt Merrill-Analyst Steven Milunovich. Deutlich positivere Zahlen ermittelt Gartner: Demnach steigen die Ausgaben weltweit um 10,1 Prozent.
Derart widersprüchliche Aussagen helfen zunächst niemandem weiter. Interessanter sind da schon die Informationen zu branchen- und aufgabenbezogenen Ausgaben, an denen sich das Verhalten der Konkurrenz ablesen lässt.
Bei dem jährlich durchgeführten "IT Spending and Staffing Survey" befragte Gartner von März bis Juni dieses Jahres weltweit 589 Großunternehmen, von denen 89 Prozent ihre Firmenzentrale in Nordamerika haben. 56,5 Prozent der Befragten gaben an, ihre IT-Ausgaben in diesem Jahr um durchschnittlich 21,5 Prozent zu erhöhen. Dagegen wollen 21,1 Prozent der Firmen ihre Etats um durchschnittlich 12,7 Prozent kürzen. Die übrigen Unternehmen werden ihre Ausgaben nicht verändern. "Europäische Firmen geben zwischen 15 und 25 Prozent weniger für IT aus als US-Unternehmen", ergänzt Barbara Gomolski, Leiterin der Gartner-Studie.
Merrill Lynch korrigiert Prognose
Das Investment-Bankhaus Merrill Lynch gelangte in seiner "Techstrat Survey" zu anderen Ergebnissen. Ende Juni dieses Jahres wurden 65 CIOs befragt, 50 von amerikanischen, 15 von europäischen Firmen. Während 2001 die Budgets der US-CIOs immerhin noch um 5,5 Prozent wachsen, wollen ihre Kollegen in Europa die Ausgaben um 1,7 Prozent senken. Zu Beginn des Jahres war für die USA ein Wachstum von neun und für Europa von 13 Prozent ermittelt worden. Im Anfang August veröffentlichten "European CIO Survey" korrigierte Merrill die Zahlen für Europa nach oben: Die 36 befragten IT-Manager europäischer Unternehemen gaben an, dass ihre Budgets im Jahre 2001 um durschnittlich 4,7 Prozent steigen werden.
Die Ergebnisse von Merrill Lynch decken sich allerdings nicht mit den Erfahrungen etwa in der Transportbranche, im Gegenteil. "Der Transportbranche geht es gut. Durch die Globalisierung übersteigt das Transportaufkommen seit Jahren das Handelsvolumen", sagt Thomas Engel, CIO und Vorstandsmitglied des Schweizer Logistik-Unternehmens Kühne und Nagel. Trotz der allgemeinen Wirtschaftsflaute erhöht die internationale Spedition in diesem Jahr ihren IT-Etat um rund zehn Prozent.
Mit dieser Steigerung liegt Kühne und Nagel ziemlich genau im Rahmen der Gartner-Studie, die für das Transportwesen eine weltweite Steigerung der IT-Ausgaben von knapp elf Prozent voraussagt. Spitzenreiter unter den Branchen sind Telekommunikations-Unternehmen mit ITEtats, die um mehr als zwanzig Prozent über denen vom Vorjahr liegen, gefolgt vom Maschinenbau (plus 17 Prozent) und dem Baugewerbe (plus 15 Prozent).
Internet-Anwendungen als Schlüsseltechnik
Kühne und Nagel investiert hauptsächlich in Software, Workflow- Systeme, Supply-Chain-Management und Personal. Dagegen plant Engel keine zusätzlichen Gelder für Outsourcing? gegen den Trend, den Gartner-Analystin Gomolski beobachet hat: "Firmen steigern ihre Ausgaben für Dienste wie Beratung und Outsourcing, während die Mittel für Investitionsgüter wie Hard- und Software sinken."
Es sei denn, neue Projekte werden in Angriff genommen. So erweitert zum Beispiel die Hamburger Hafen und Lagerhaus AG (HHLA) im kommenden Jahr den Hafen. "Die HHLA baut zurzeit den Container-Terminal Altenwerder, der im kommenden Jahr in den kommerziellen Betrieb geht", sagt Michael Busch, Leiter des Zentralbereichs Informationssysteme. "Die Informationssysteme werden auf Basis einer Drei-Schichten-Architektur mit Java-Technologie entwickelt. Die Steuerung der Terminal-Logistik der anderen HHLA-Container-Terminals wird langfristig ebenfalls auf Java umgestellt." Deshalb soll der IT-Etat der HHLA in diesem und im kommenden Jahr steigen.
Auch bei der Preussag steht in diesem Jahr eine moderate Steigerung der IT-Ausgaben an. "Wir investieren vor allen Dingen in Projekte, die auf Basis von Web-Technologien zu Prozessoptimierungen oder -veränderungen führen", sagt Heinz Kreuzer. Er steht seit Januar als Leiter IT Strate- gie/CIO der Touristik-Sparte bei Preussag vor. Auch die CIOs der Merrill-Umfrage gaben mit großer Mehrheit an, dass sie Unternehmensabläufe durch Investitionen in netzbasierte Techniken optimieren wollen.
Diesen Weg hat bereits INA Wälzlager Schaeffler eingeschlagen. Der Hersteller von Motorenelementen, Wälzlagern und Lineartechnik für Lagerung investiert dabei vor allem in seine drei Internet-Marktplätze. Aber auch das Enterprise-Ressource-Planning-System (ERP) gehört zum Schwerpunkt der IT-Ausgaben des mit weltweit 26000 Mitarbeitern größten deutschen Industrie-Unternehmens in Familienbesitz. "Die IT-Ausgaben werden moderat steigen. Das Geld muss erst verdient werden", sagt CIO Harald Gießer. Immerhin gewann das Unternehmen mit dieser Strategie im Mai dieses Jahres den "E-Champion Award" für den Einsatz Internet-basierter Technologien.
Dagegen erhöht die Hamburger Sparkasse (Haspa) ihren IT-Etat gegenüber dem vergangenem Jahr nicht. Auch im kommenden Jahr sollen bei Deutschlands größter Sparkasse die Ausgaben auf demselben Niveau bleiben. "Aufgrund der hohen Investitionen in den vergangenen Jahren wegen der Euro- und Jahr-2000-Umstellung brauchen wir die IT-Ausgaben nicht zu steigern", sagt Pressesprecher Ulrich Sommerfeld. Die Haspa hatte das Investitions- Programm dazu genutzt, gleich die gesamte Technik auf den neuesten Stand zu bringen. "Nachdem wir auf den Euro umgestellt haben, ist der größte Drops gegessen." Die laufenden Ausgaben des gleich bleibenden Budgets entfallen insbesondere auf Hard- und Software.
Mehr Optimismus für 2002
Die größten Ausgaben scheinen auch die von Gartner befragten Firmen bereits hinter sich zu haben. Im Jahr 2002 wollen sie ihre IT-Ausgaben nur noch um durchschnittlich 6,1 Prozent erhöhen. Analystin Gomolski räumt zwar ein, dass enorme Steigerungen um die 15 Prozent wie in den vergangenen Jahren wohl nicht mehr zu erreichen seien, doch blickt sie optimistisch nach vorn: "Das Wachstum hat sich deutlich verlangsamt, aber es verschwindet nicht." Anders ihr Kollege von Merrill Lynch: "Nach zwei Ereignissen wie der Jahr-2000-Umstellung und dem Internet-Boom gehe ich davon aus, dass sich die Investitionen in den nächsten Jahren wie in der Mitte der achtziger Jahre nach unten bewegen werden", sagt Milunovich. Für Europa sagt Merrill im kommenden Jahr ein Wachstum von 4,5 Prozent voraus.
Für Kurt Kammerer, Chef des Anbieters von E-Commerce-Plattformen Living Systems, liegt die Wahrheit in der Mitte ? mit einem leichten Hang zum Pessimismus. Der CEO: "Aufgrund der Zurückhaltung meiner Kunden halte ich die Merrill-Lynch-Studie für realistischer."