Auf Political Correctness wird in den Vereinigten Staaten bekanntlich großen Wert gelegt. Als Pendant zu PC kann man sich eine Economic Correctness vorstellen und in Anlehnung daran auch den Begriff "Integrität" verstehen. Um diesen dreht sich die Studie "Global Integrity Survey", die das US-Magazin "Compliance Week" 2009 durchgeführt hat. Integrität beschreibt dabei einen Teilaspekt von Compliance, nämlich die Einhaltung von ethischen Standards innerhalb des Unternehmens. Dass Integrität für Unternehmen immer mehr an Bedeutung erlangt, wundert angesichts des öffentlichen Bildes vom raffgierigen Manager nicht. Als Motivation für Integrität dürften moralische Selbstreflexion und die Sorge um das öffentliche Image schon ausreichen. Darüber hinaus berührt das Thema aber auch die Bilanzen von Unternehmen. Zum einen geht es - wie stets bei Compliance-Fragen - nämlich auch darum, Strafzahlungen als Folge von Verstößen gegen Verordnungen und Gesetze zu vermeiden. Zum anderen droht den Unternehmen auch Kundenboykott, wenn in der Öffentlichkeit Fälle wie umweltschädliches Handeln oder gar Kinderarbeit bekannt werden.
Im Heimatland der politischen Korrektheit ist man heute so sensibel für Unternehmensintegrität wie nie zuvor. "Das Bewusstsein für unternehmensweite Integrität war noch nie höher, und die Risiken, die mit unethischem Verhalten verbundenen sind rücken ins Blickfeld", heißt es in der Studie der "Compliance Week. Die meisten der Befragten berichten Integritätsfragen daher direkt dem Leiter der Rechtsabteilung, den Bilanzprüfern oder einem gemischten Gremium. 77 Prozent sagten, dass der Aufsichtsrat regelmäßig über Integritätsfragen informiert werde. Am guten Willen mangelt es also erkennbar nicht, wenn es um Integrität geht. Wohl aber an effektiven Methoden der Umsetzung. "Immer noch sind wirksame Tools oder Best Practices zur Reduzierung des Risikos von Fehlverhalten oder Regelbruch nur schwer zu fassen", lautet das Fazit der "Compliance Week".
Problemzone Datenkontrolle
Eine Sollbruchstelle unter Vielen ist dabei das Datenmanagement der Firmen. Viele Unternehmen seien noch auf der Suche nach den Messgrößen, mit denen sich Integrität kontrollieren lässt, stellt die Studie fest. Eine wichtige Herausforderung sei zudem, die richtigen Metriken und Daten in eine praktikable Unternehmenspolitik zu übersetzen, mit der sich die gesteckten Ziele erreichen lassen. Weil jedes Unternehmen einzigartig sei, ließen sich Best Practices für Integrität nicht pauschal definieren.
Organisatorisch docken vier Fünftel der befragten Unternehmen das Thema Integrität an ihre Compliance an, nur selten erhalten die Projekte eine autonome Stellung. Dafür handelt es sich in den meisten Fällen um organisations- und länderübergreifende Projekte. Zwar gibt es bis zu einem gewissen Grad Differenzierungen: ein Fünftel der befragten Unternehmen setzt auf regionale Kontrolle und 8,3 Prozent der Unternehmen lassen an eine funktionale Einheit wie die Rechtsabteilung berichten. Vorherrschend ist mit mehr als 43 Prozent jedoch eine klar globale Ausrichtung bei Integritätsprojekten. Das ergibt in jedem Fall Sinn, glaubt Roland Berenbeim, Policy Analyst beim Schwergerätehersteller Terex: "Die Geschenke-Politik eines Unternehmens mag auf den Philippinen anders aussehen als in Schweden, aber die ethischen Kernprinzipien, der Code of Conduct, oder wie immer man das nennen mag, bleibt trotzdem global."
Zur Kontrolle der Unternehmensintegrität erheben mehr als 60 Prozent der Unternehmen Statistiken über die Firmen-Hotlines, über Berichte, Beschlüsse und Schulungen. Gravierende Auffälligkeiten werden sofort an die Entscheidungsträger auf höchster Managementebene gemeldet - beispielsweise an den CFO, wenn Regularien wie der Sarbanes-Oxley Act berührt sind. Um ihre Leitlinien bekannt zu machen, kommt der hauseigenen Informationspolitik eine wichtige Rolle zu: 83 Prozent der Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter mit Hilfe von Regelwerken wissen, wie sie bei Bestechungsversuchen oder Interessenskonflikten vorgehen sollen. Ergänzend verwenden vielen Firmen Newsletter, um per Mail über Probleme aufzuklären. Hewlett Packard versucht es mit den "HP Integrity Minutes", einer Serie von Kurzvideos, die sich mit alltäglichen ethischen Fragen auseinandersetzen.
Über den Effekt derartiger Maßnahmen herrscht gleichwohl Unwissenheit in Unternehmen. 63 Prozent der durch die "Compliance Week" Befragten bekennen, den Return-on-Investment (ROI) ihrer Schulungsaktivitäten nicht zu messen. Das liege nicht an der Angst vor unliebsamen Entdeckungen, sondern schlicht an Schwierigkeiten bei der Kalkulation, wie ein Befragter anonym angibt. Es sei eben schwer auszurechen, was ein weicher Faktor wie Integrität in der harten Währung Geld einbringe. Allerdings zeigt sich eine spürbare Nachlässigkeit nicht nur an dieser Stelle. Knapp 44 Prozent der Befragten geben an, dass sie Performance-Daten in diesem Bereich nicht direkt auswerten.
Nichtsdestotrotz halten die US-amerikanischen Firmen Integrität inzwischen aber für so wichtig, dass nur ein kleiner Teil dort Einspar-Potenzial sieht. Dafür stehen auf der von der Compliance Week ermittelten Kürzungsliste unnötige Ausgaben an Dritte, etwa Lieferanten, und Reisekosten ganz oben.