Ganz schön schwierig ist es manchmal, neue Software in IT-Großprojekten einzuführen. Das musste der Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) erfahren. Nach einem Bericht des „Hamburger Abendblatts" wurde die Einführung des 112-Millionen teuren Softwareprojekts JUS-IT (IT-Projekt Jugendhilfe, Sozialhilfe und Wohngeld) vorerst gestoppt.
Gutachten mit vernichtendem Urteil
Ein Gutachten kommt zu einem vernichtenden Urteil. Der von den Abgeordneten in den Familienausschuss geladene unabhängige Experte Karl Schmitz von der tse (Gesellschaft für Technologieberatung und Systementwicklung) sagte dem Abendblatt, die geplanten Mittel in Höhe von 60.000 Euro pro Arbeitsplatz seien „gigantisch". Bereits bei Kosten von 20.000 Euro pro Platz „müsse man sich Gedanken machen". Gegenüber CIO.de sprach Schmitz von „Unprofessionalität" und „Geldverschwendung"
Das Programmpaket für das Projekt JUS-IT der Softwarefirma Cúram läuft bereits erfolgreich in vielen englischsprachigen Ländern wie New York und in Auckland, Neuseeland. Für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bietet das Unternehmen eine "ganzheitliche Standardsoftware" an. Auf ihrer Website wirbt Cúram wie folgt: "Die IT-Lösung unterstützt zahlreiche Geschäftsprozesse, dazu zählen die Aufnahme des Anliegens, der Klärung, die Leistungsbearbeitung, die Angebotsverwaltung und die Abrechnung. Je nach Hilfebedarf können die Sachbearbeiter systemgestützt passgenaue Hilfen und Angebote auswählen. Ein umfassendes Fachcontrolling, das unter anderem die Wirksamkeit der Maßnahmen erfasst, wird zur Verfügung gestellt", heißt es.
Das Programm des Herstellers muss allerdings für Hamburg nicht nur ins Deutsche übersetzt, sondern auch an die deutschen Gesetze angepasst werden. 70 Prozent der Module könnten jedoch übernommen werden, sagt die Sozialbehörde.
Es sei das wichtigste und größte Vorhaben der Behörde, heißt es in dem Artikel. Das Programm soll drei aus den 90er Jahren stammende veraltete Systeme (PROJUGA, PROSA, DIWOGE) in den Bereichen Jugendhilfe, Sozialhilfe und Wohngeld ersetzen, miteinander besser vernetzen und so auch eine bessere Kontrolle der Maßnahmen ermöglichen.
Bis zum Jahr 2015 sind für das Projekt für 850 Arbeitsplätze 112 Millionen Euro Gesamtkosten inklusive der Schulungskosten eingeplant. Die Entwicklungskosten betrugen dem Bericht zufolge in den Jahren 2009 und 2010 17,9 Millionen Euro. 2011 sollte die erste Einführungsphase stattfinden, die mit 25,8 Millionen veranschlagt war. Doch im Februar dieses Jahres wurden Mittel für Investitionen von 31,7 Millionen Euro zunächst gesperrt.
Projektmanagement wechselte von HP zu IBM
Wie kam es zu den Problemen? Nach einer europaweiten Ausschreibung seien drei Anbieter übrig geblieben, davon sei der günstigste ausgewählt wurden, berichtet die Hamburger Sozialbehörde. „Verworren", so das Abendblatt sei die Vertragslage: Der kommunale IT-Dienstleister Dataport hatte Hewlett-Packard (HP) beauftragt, die wiederum die irische Firma Cúram verpflichtete.
Das Projektmanagement lag also in den Händen von HP. Im Dezember 2011 kaufte allerdings IBM die Softwarefirma Cúram, die die Software herstellte.
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Auswirkung 1: Der Projektbeginn wird sich nun um mehr als neun Monate auf den 21. Mai 2012 verschieben – „voraussichtlich".
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Auswirkung 2: Im Sommer dieses Jahres will HP aus dem Auftrag ausscheiden und die Projektleitung an IBM übergeben.
Bei HP heißt es dazu auf Anfrage: "Dataport und HP haben sich einvernehmlich geeinigt, dass HP nach der erfolgreichen Auslieferung des Moduls Jugendhilfe (JUS-IT Release 1.0) im Mai 2012 die Aufgabe der Projektsteuerung an die Firma IBM übergeben wird. IBM hatte den Softwarehersteller Cúram, der die Basissoftware bereitstellte und als Partner von HP Anpassungen an der Software vornahm, im Dezember 2011 gekauft. HP wird das Projekt JUS-IT auch weiterhin in verschiedenen Bereichen unterstützen."
Anke Kirch, zuständige Sprecherin für Cúram Software bei IBM, wollte keine Informationen zum Sachstand geben: „Zu einem laufenden Projekt kann ich Ihnen leider keine Auskünfte geben", sagte sie gegenüber CIO.de. Man solle sich an die Pressesprecherin der Hamburger Sozialbehörde wenden. Auch Holger Förster, Sprecher von Dataport, verwies an die Hamburger Sozialbehörde.
Deren Sprecherin sagt: "Wir haben einen Vertrag mit einem Vertragspartner, der vorher HP und jetzt IBM ist. Für uns hat sich durch den Wechsel nichts geändert, da der Vertrag gleich geblieben ist. Dass es zu Verzögerungen gekommen ist, lag auch nicht an der Sozialbehörde, sondern an unserem ehemaligen Vertragspartner HP. Die Kosten haben sich dadurch für uns nicht erhöht, da der Vertragspartner das selbst zu verantworten hat."
Laut der aktuellen Presseerklärung der Hamburger Sozialbehörde zu dem Thema hat der zuständige Senator Detlef Scheele nun erst einmal veranlasst, dass zunächst nur das Modul Jugendhilfe und dann erst bis 2014 schrittweise die anderen Module umgesetzt werden sollen. „Die verbleibenden Investitionsmittel von 31,7 Millionen Euro sollen nur dann ausgegeben werden, „wenn eine aktualisierte und schlüssige Planung" vorliegt. Die durch den Wechsel des Projektsteuerers „gewonnene Zeit" bis September 2012 wolle die Familienbehörde nun nutzen, „um die Organisation der nachfolgenden Module umzustrukturieren und entsprechend zu priorisieren".
Das Projekt im Ampel-Check von CSC
Senator Scheele: „Ich möchte, dass wir JUS-IT erfolgreich in die Abläufe unserer Behörde implementieren und während dieses Prozesses selbst entscheiden, wann welches Modul umgesetzt werden soll." In Hamburg hatte es im Bereich Jugendhilfe zuletzt schlimme Versäumnisse gegeben. Die Kinder Jessica (2005), Lara-Mia (2009) waren wegen Vernachlässigung gestorben, Chantal, die in einer Pflegefamilie lebte, starb im Januar 2012 an einer Methadonvergiftung. Scheele dazu: „Da wir nach dem Fall Chantal ein neues Qualitätsmanagement einführen wollen und dafür eine digitale Infrastruktur brauchen, steht das Modul Jugendhilfe zurzeit an erster Stelle."
Die Firma CSC hat im Auftrag der Sozialbehörde eine Ampelskala aufgestellt. Ergebnis laut Behörde: Die IT-Lösung an sich und die bereits gesetzten Ziele seien mit Grüngelb bewertet worden, die Projektmanagement-Methodik erhielt Rot. Die Projektkosten waren orange, die Technik von Cúram und die Projektleitung bekamen demnach Grün, so dass die Gesamtnote Grüngelb ausgefallen sei.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.