Der Herrgott meinte es gut mit SAPs Kunden und ließ einen wolkenlosen Himmel über Nürnberg strahlen. Im Kongresszentrum am Rande der Frankenmetropole versammelten sich Ende September die Mitglieder der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) zum Jahrestreffen. Es sollte das erste nach Beilegung des heftigen Streits um die Wartungsgebühr für den Enterprise Support sein.
Es war auch das erste für SAP-Chef Jim Hagemann Snabe seit seiner Ernennung zum Co-CEO. Er war extra am Morgen des ersten Tages aus Südafrika angereist. Aus gutem Grund, denn die DSAG ist nicht einfach eine unter vielen Anwendergruppen. Die deutschen Kunden sind für die SAP AG nach wie vor ein mächtiger Partner. Sie sind finanzkräftige Abnehmer, aber sie verlangen auch viel und reagieren durchaus empfindlich, wenn sie sich gegängelt fühlen.
Rund 3000 Teilnehmer hatten sich nach Aussage der DSAG zur diesjährigen Veranstaltung angemeldet - 18 Prozent mehr als im Vorjahr, was auch den Mitgliederzuwachs des vergangenen Jahres widerspiegelt. "Wir sind mit einem gestärkten Selbstbewusstsein aus dem Konflikt um das Support-Modell hervorgegangen", sagte Karl Liebstückel, Vorstandsvorsitzender der DSAG, in seiner Begrüßungsansprache. Seit jener Konflikt Ende 2008 losbrach, war der Eindruck entstanden, beide Seiten redeten mehr über- und weniger miteinander.
Diese Zeiten sollen nun vorbei sein. Dafür steht der DSAG-Vorstand um Liebstückel, und dafür steht auch die neue SAP-Spitze mit Snabe und Bill McDermott. Seit Liebstückel, hauptberuflich Professor für Wirtschaftsinformatik und Business-Software in Würzburg, vor drei Jahren den Posten übernahm, hat sich die DSAG organisatorisch neu aufgestellt. Verantwortlichkeiten, Themen und Kommunikationskanäle des Verbandes wurden auf- und umgebaut.
Umfangreiche Wunschliste
Stand heute lassen sich rund 32 000 Personen und fast 2400 Unternehmen von der DSAG vertreten, viele von ihnen sind seit Jahren aktiv. Ein Engagement, das der Vereinigung ein ordentliches Gewicht verleiht. Zu Recht wartete Liebstückel daher mit einer umfangreichen Wunschliste an den Softwarehersteller auf.
Etwa zu SAPs Support-Modell: Es enge die Kunden noch immer ein. Diese brauchen ein "bedarfsgerechtes, flexibles und preisdiffenziertes" Konzept, sagt Liebstückel. Warum geht es nicht, in einer heterogenen Landschaft für die einen Anwendungen Standard- und für die anderen Enterprise-Support zu beziehen?
Ein weiteres heikles Thema ist die Qualität der Software. "Sie hat in den vergangenen Jahren nachgelassen", moniert Liebstückel. Die Kunden verlangen außerdem durchgängige Prozesse über die SAP-Produkte hinweg und mehr Datenkonsistenz. Man will keine Silos, keine Medienbrüche und keine verschiedenen Oberflächen. "Dem Einkäufer ist es egal, ob er gerade in SAP-MM oder in SAP-SM arbeitet."
Ärgerlich sind auch die unverändert komplizierten Lizenzmodelle, die nur noch Experten verstehen. Um ihre Mitglieder ein wenig zu unterstützen, hat die DSAG eine sogenannte Delta-Liste erstellt. Mit ihr lässt sich immerhin erkennen, was SAP an den vorjährigen Preisen und Schemata verändert hat. "Das wäre eigentlich SAPs Aufgabe gewesen", sagt Liebstückel.
Dennoch: "Wir ziehen an einem Strang - und zwar wieder in dieselbe Richtung", machte der DSAG-Vorsitzende klar. Die Losung lautet: Was den Kunden hilft, hilft auch SAP. Kritik ja, aber eine, die zu Verbesserungen führt. Man sei von einer kritischen Distanz zu einer "kritischen Nähe" gekommen, beschrieb Liebstückel den neuen Charakter der Beziehung.
Und tatsächlich schlägt sich diese Nähe in ersten konkreten Ergebnissen nieder. Vertreter beider Seiten haben im vergangenen Jahr über Verbesserungen diskutiert und neue Pläne für die künftige Zusammenarbeit geschmiedet. Drei Beispiele:
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1. Bereits ins Laufen gekommen ist CEI. Das Kürzel steht für "Customer Engagement Initiative" und soll eine neue Art der Einflussnahme durch die Kunden etablieren. Diese haben im Rahmen von CEI die Möglichkeit, bereits in der Planung an der Software-Entwicklung bei SAP mitzuwirken. Wer dies tun will, muss sich allerdings aktiv beteiligen. Er muss sich bereit erklären, den Prozess zu begleiten, konkrete Anforderungen zu formulieren und Zeit sowie Kapazitäten für Konferenzen, Tests und Feedbacks mitzubringen.
Laut DSAG haben sich weltweit bereits mehr als 1300 Anwender aus knapp 500 Unternehmen für diese Initiative registrieren lassen. Mehr als die Hälfte davon - 685 Personen aus 284 Firmen - stammt allein aus der DSAG. "Auch daran lässt sich erkennen, wie groß die Bereitschaft zur Mitarbeit gerade unter unseren Mitgliedern ist", betonte Liebstückel.
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2. Eine engere Zusammenarbeit soll auch bei kleineren Verbesserungen möglich sein. Im Rahmen eines Programms namens "Continuous Improvement" (CI) werden sich Kunden und SAP gemeinsam um die Stolpersteine aus dem Anwenderalltag kümmern: ein fehlender Button, ein unlogisches Eingabefeld oder das zeit- und nervenraubende Hin- und Herspringen zwischen mehreren Masken. "Von diesen sogenannten Kleinigkeiten gibt es Hunderte", schätzt Liebstückel. Bislang konnte es auch mal einige Jahre dauern, bis SAP diese Ärgernisse aus dem Weg räumte.
Quantensprung für SAP-Kunden
Die DSAG hat solche Unstimmigkeiten oder Fehler gesammelt, sortiert und an SAP weitergereicht. Nun ist es an den Walldorfern, sich der einzelnen Punkte anzunehmen. Bis Anfang 2011 soll dies geschehen sein. Dann will SAP erste Verbesserungen in Form von Release-Notes herausgeben. "Wenn das gelingt, kommt es einem Quantensprung in der Beziehung zwischen SAP und seinen Kunden gleich", sagt Liebstückel.
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3. Ebenfalls geplant sind verschiedene Aktionen, die den Anwendern die Arbeit mit dem Solution Manager erleichtern, besser: überhaupt erst ermöglichen. Hinter der "Solution Manager Get-Well"-Initiative verbirgt sich eine Mischung aus Aufklärung der Anwender und Verbesserung des Programms. Ein Stimmungsbild unter den DSAG-Mitgliedern hat gezeigt: Obwohl die meisten SAP-Kunden mit der Plattform arbeiten müssen, bestehen noch Informationsdefizite. Hier wollen sich DSAG und SAP gemeinsam um eine gezielte Aufklärung bemühen. "Aber es fehlen auch Funktionen", mahnte Liebstückel in Richtung SAP. Auch dieser Problematik soll sich die Get-Well-Initiative in den nächsten Monaten annehmen.
Mit konkreten Ideen wie diesen und den ersten Umsetzungen demonstrierte die DSAG nicht nur ein neues Selbstbewusstsein. Sie zeigt damit einen neuen Weg auf, wie Anbieter und Anwender gemeinsam an der Verbesserung der Software arbeiten können. Und SAP scheint verstanden zu haben. Vor den Teilnehmern der Jahresversammlung plädierte Jim Hagemann Snabe glaubhaft für mehr Offenheit und Vertrauen. SAP habe verstanden, signalisierte er.
Jim Snabe hat einen Traum
Snabe versprach, eine Reihe von Punkten zu verbessern. Die Qualität der Lösungen liege ihm am Herzen. Um hier besser zu werden, hat SAP bereits begonnen, seine internen Abläufe zu verändern. Auch Snabe zeigte Interesse daran, die Kunden enger in die Entwicklung der Produkte einzubinden. Fehler dürften nicht erst nach der Auslieferung der Software sichtbar werden, sagt er. Gleichzeitig sei es ein Anliegen von SAP, das Zusammenspiel der einzelnen Anwendungen zu verbessern, so der Co-CEO mit Blick auf die DSAG-Wunschliste
Und selbst die berüchtigten SAP-Nutzeroberflächen sind für den gebürtigen Dänen ein wichtiges Thema. In Nürnberg nahm er es mit Humor: "Ich träume davon, auf eine Cocktailparty zu gehen, und Leute kommen auf mich zu, umarmen mich und danken mir für unsere tolle Oberfläche", scherzte Snabe, wohl wissend, dass dieser Traum wohl nie in Erfüllung gehen wird.
Drei Tage dauerte das DSAG-Jahrestreffen. Drei Tage, an denen spürbar war, dass die Kommunikation zwischen SAP und seinen Kunden wieder einen konstruktiven Weg eingeschlagen hat. Auch wenn nicht alle Kritikpunkte geklärt sind, stehen greifbare Vorschläge im Raum, die beiden Seiten helfen können: den Kunden, besser mit ihrer Software arbeiten zu können, und SAP, seine Software besser verkaufen zu können. Eine vertane Chance, wäre alles bloß eitel Sonnenschein gewesen.