Deutschland hat eine neue Regierung, und der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler steht sogleich vor immensen Herausforderungen, die Kostensituation des neuen Gesundheitsfonds in den Griff zu bekommen. Dabei sind die Probleme hausgemacht und haben weniger mit ineffizienten Krankenhäusern und Krankenkassen zu tun als vielmehr mit einem bemerkenswerten Abrechnungssystem.
Wie kann der Einsatz von IT deutschen Gesundheitsbehörden helfen? Welche IT-Trends zeichnen sich ab? Was wird aus der Gesundheitskarte?
Kaum ein Thema war bei den Koalitionsverhandlungen und danach zwischen CDU/CSU und FDP so umstritten wie die Gesundheitspolitik. Dabei war das Ergebnis überraschend. Schon ab 2011 soll es ein neues Finanzierungskonzept geben. Doch die aktuellen Probleme sind dringlich, weist doch der Gesundheitsfonds der letzten Regierung ein Defizit von rund sieben Milliarden Euro auf.
Mit verursacht wurde dieses Finanzloch durch eine bemerkenswerte Abrechnungsmethode, bei der die Kasse am meisten Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommt, die die kränksten Patienten hat. Eine Methode, um die Lasten der Krankenversicherungen gerechter zu verteilen.
Gleichzeitig wurde damit ein gleichgerichteter Anreiz für Krankenhäuser und Krankenkassen geschaffen, entsprechend schlechtere Diagnosen zu stellen, um so an mehr Finanzmittel zu kommen, vor allem bei Krankheiten mit niedrigen Behandlungskosten und hohen Zuschlägen aus dem Gesundheitsfonds.
Software-Fehler: HIV-Diagnose bei normal erkrankten Patienten
Diese Abrechnungsart wurde nicht zuletzt durch einen Software-Fehler aufgedeckt, der dazu führte, dass innerhalb von Monaten ungewöhnlich viele HIV-Diagnosen vor allem bei Patienten jenseits der 60 gestellt wurden. Der Fehler ist inzwischen behoben.
Dieses drastische Beispiel ist zwar nicht repräsentativ für die Probleme, die in der IT bei Gesundheitsbehörden auftreten können. Dennoch stehen Krankenhäuser und Krankenkassen in den nächsten Jahren vor immensen Herausforderungen. Vor allem der Markt für Krankenhäuser konsolidiert sich zunehmend, da sich gerade kleine Häuser im Markt schwer halten können. In vielen Hospitälern, die oftmals verschuldet sind, muss die oft heterogene IT-Landschaft integriert, Insellösungen entweder ausgetauscht oder mit hohem Aufwand in bestehende Systeme integriert werden.
Weitere Themen wie die Einführung der digitalen Krankenakte, die Verwaltung der Daten in zentralen Storage-Systemen, sowie die Anbindung an die zentralen Systeme der Gesundheitskarte werden zum Wachstum des Marktes für Software und IT-Dienstleistungen beitragen.
Krankenversicherer können zunächst noch Luft holen, würde doch deren Autonomie nach den Plänen der neuen Koalition gestärkt. Demnach dürfen die Kassen Zusatzbeiträge erheben und nach dem Willen von Gesundheitsminister Rösler wieder unterschiedliche Leistungen anbieten.
Dennoch ist auch bei den Versicherern die Finanzlage weniger als rosig und auch hier gibt es zahlreiche Herausforderungen: Der Kosten-Effizienz-Druck auf die Krankenkassen wächst; somit wird die Gestaltung und Verbesserung von internen Prozessen sehr wichtig. IT-Management nimmt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle ein, um eine effizientere Arbeit zu ermöglichen.
Über die Vernetzung von Ärzten, Krankenhäusern und Versicherungen
Gleichzeitig müssen Versicherer mehr auf ihre Kunden zugehen und bessere Leistungen CRM-gestützt anbieten. Die Vernetzung mit Krankenhäusern, Ärzten und den zentralen Systemen der Gesundheitskarte sind weitere wichtige Themen. Letztere lässt immer noch, nicht zuletzt aufgrund technischer Mängel, z.B. von Kartenlesegeräten, auf sich warten.
PAC sieht das Gesundheitswesen als einen zentralen Treiber des deutschen Software- und IT-Services-Marktes mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von rund acht Prozent von 2009 bis 2013. Dennoch gibt es vor allem politische Hürden, die das Voranschreiten der Modernisierung bremsen. Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Staaten gibt es in Deutschland keine Patientenlobby, die als Ziel ein möglichst effizientes, patientennahes und sicheres Gesundheitssystem anstrebt. Vor allem aus diesem Grund schreitet das Projekt der Gesundheitskarte nur schleppend voran.
Wie viel Potenzial für IT-Dienstleister im Thema Gesundheitswirtschaft liegt, zeigt ein Blick zu unseren österreichischen Nachbarn: Dort werden inzwischen die Apotheker per Zugriff auf eine Medikationsdatenbank in das bestehende E-Card-System integriert. Im Zuge des Projekts „Arzneimittel-Sicherheitsgurt“ der Siemens IT Solutions and Services mit der österreichischen Apothekerkammer bekommen nun Apotheker mit Zustimmung des Patienten einen Überblick über dessen Medikation – unabhängig davon, welcher Arzt die Präparate verschrieben hat und in welcher Apotheke sie abgeholt wurden.
Wird ein Medikament doppelt oder mehrfach verschrieben, oder treten Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auf, schlägt das System Alarm. Damit können die Anzahl der Todesfälle durch Fehlmedikation verringert und die Kosten für Arzneien drastisch gesenkt werden. Ein Projekt, das den Versicherten in Österreich über 100 Millionen Euro sparen kann.
Martin Barnreiter ist Senior Consultant bei PAC.