Als Peter Wroblowski 1984 sein Studium an der Universität Dresden abschloss, hätte er sich nicht träumen lassen, dass er mal IT-Chef eines DAX-30-Unternehmens sein würde. "Es fehlte mir an Internationalität. Ich hätte gerne in Amerika oder Japan studiert, aber das war nicht möglich", blickt der CIO zurück. Auf sein Studium lässt er aber nichts kommen: "Meine akademische Ausbildung braucht in der Breite wie in der Tiefe keinen Vergleich mit heutigen Studiengängen zu scheuen", sagt Wroblowski. "Dass wir in der DDR kein Englisch gelernt hätten, ist eine ebenso weit verbreitete wie falsche Annahme."
Als Wroblowski 1997 beim Baustoffspezialisten Lafarge Braas Roofing als europäischer IT-Chef erstmals internationale Verantwortung übernahm, musste er sich in das interkulturelle Arbeitsumfeld des global agierenden Unternehmens erst einarbeiten - um sein Schulenglisch zu verhandlungsfähigem Business-Englisch auszubauen, reichte ihm hingegen ein zehntägiger Crash-Kurs in England. Es war mehr die veränderte Art der Kommunikation, die ihm anfänglich zu schaffen machte, berichtet er: "Erstaunlicherweise war in der DDR die Diskussion unter Mitarbeitern und mit dem Management direkter und kritischer", erinnert er sich.
Wroblowskis Credo heißt Standardisierung
Seit 2001 ist Wroblowski CIO beim Mischkonzern Linde. Überzeugen liegt ihm noch immer mehr als Anordnen: "Nicht jede strategische Entwicklungsrichtung in der IT findet ungeteilte Zustimmung", hat er erfahren. Die Liste der Projekte, die Wroblowski bei Linde angeschoben hat, ist lang: Der 44-Jährige hat die globale Standardisierung auf SAP/R3 initiiert und in einigen Gesellschaften abgeschlossen. Lotus Notes ist konzernweit ausgerollt, ein Corporate Network verbindet die 800 Standorte des Konzerns, und die Anzahl der Rechenzentren soll von 15 auf fünf reduziert werden. Eine Matrix-Organisation in der IT mit dem IT-Board als Entscheidungsgremium ist etabliert, eine IT-Strategie für die mittelfristige Entwicklung von IT-Anwendungen, -Infrastruktur und -Organisation festgelegt.
Nachholbedarf in der Organisation
"Es gab hier einen gewissen Nachholbedarf in Bezug auf die IT-Organisation", formuliert der CIO vorsichtig. "Wenn es nicht nötig gewesen wäre, hätte ich nicht so viele Projekte auf einmal angefangen, sondern wäre die Veränderungen in kleinen Schritten angegangen." Denn Wroblowski ist der erste Linde-CIO. "Es ist eine besonders reizvolle Aufgabe, die IT-Strategie eines globalen Konzerns mitbestimmen zu können", sagt er, "weil es noch keine ausgetretenen Pfade und deswegen einen großen Gestaltungsspielraum gibt."
Dabei hatte er nicht nur ein entsprechendes Budget zur Verfügung, sondern war sich auch der Unterstützung seines Vorstands gewiss. "Es gibt wohl kein anderes DAX-30-Unternehmen, das in den letzten Jahren so umfassend in IT investiert hat", sagt der CIO. Sein aktuelles IT-Budget liegt bei über 400 Millionen Euro.
In einem umfassenden Diskussionsprozess mit Business und IT-Management wurde eine IT-Strategie aus der Geschäftsstrategie abgeleitet und schriftlich fixiert. Dabei hat er bewusst auf externe Berater verzichtet: "Letztlich war die Diskussion ausgesprochen fruchtbar", sagt er. "Die nun formulierte Strategie ist von den Beteiligten gemeinsam erarbeitet und wird von allen mitgetragen." Der Linde-CIO ist Vorsitzender des IT-Boards, dem die rund 20 wichtigsten IT-Manager des Konzerns angehören, und er ist Mitglied der Steering-Komitees aller wichtigen Projekte, die jeweils mit Geschäftsführern, Bereichsvorständen und lokalen IT-Managern besetzt sind. Mit seinem kleinen Stab von 15 Leuten legt er die IT-Strategie des Konzerns fest und verantwortet die Konzernprojekte.
Ab Januar nächsten Jahres aber gibt es eine grundlegende Veränderung: Dann geht die Linde Infrastruktur Service (LIS) als neuer interner Geschäftsbereich an den Start, in dem alle Aktivitäten im IT-Infrastruktur-Bereich inklusive der Telefonie weltweit gebündelt werden sollen. "Das ist eine klare Zentralisierung. Wir lösen alle geschäftsneutralen IT-Services wie Netzwerkanbindungen, Lotus- oder ERP-Standards aus den lokalen Business-Units heraus und fassen die gesamte Technik sowie alle Experten, die Infrastruktur-Services erbringen, weltweit zusammen", sagt Wroblowski.
Wettbewerbsvorteil durch Individualität
Die geschäftsbereichsspezifische IT wie etwa die Vertriebssoftware für bestimmte Produkte wie Gabelstapler oder Technische Gase und der Anwendungs-Support bleibt in den operativen Einheiten: "Wir wollen mit IT-Lösungen, die auf die individuellen Anforderungen der Geschäftsbereiche abgestimmt sind, einen Wettbewerbsvorteil generieren. Dafür brauchen wir in diesem Bereich die Nähe zum operativen Geschäft", sagt der CIO. Im ersten Schritt soll der neue Unternehmensbereich mit 230 Mitarbeitern ein Leistungsvolumen von 150 Millionen Euro im Jahr erbringen.
Wahrscheinlich wird Wroblowski sein Büro in der Konzernzentrale in Wiesbaden dann noch seltener zu sehen bekommen. Schon jetzt ist er einen Großteil seiner Arbeitszeit auf Reisen. "Mein Terminkalender ist zwar immer voll", sagt Wroblowski, "aber die Nähe zum Anwender und zu meinen IT-Kollegen in den lokalen Gesellschaften ist sehr wichtig."
Die ständige Bewegung ist es auch, die den IT-Chef an seiner Arbeit reizt. "Stillstand, Status quo, verwalten, auf der Stelle stehen - das wäre nichts für mich", sagt er. "Mich begeistern die Herausforderung und die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Dass die Linde-IT sich so rasant bewegt, ist genau meine Kragenweite." Inzwischen zeigen die auch von Vorstandschef Wolfgang Reitzle unterstützten Investitionen in die IT Wirkung. "Der Erfolg unserer Anstrengungen wird langsam sichtbar - das macht natürlich auch zufrieden."
Der Drahtseilakt der Globalisierung
Sein erstes internationales Projekt zu Beginn seiner Karriere - als europäischer IT-Leiter bei Lafarge Braas - verlief nicht ganz so reibungslos: "Nach etwa einem Jahr als europäischer IT-Leiter habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, alles hinzuschmeißen", sagt Wroblowski. Engländer, Franzosen und Italiener als Deutscher unter einen Hut zu bringen sei ihm anfänglich nicht leicht gefallen: "Multikulti und globales Weltbürgertum sind mir nicht in die Wiege gelegt, in der DDR konnten wir nur begrenzt internationale Erfahrungen sammeln - das habe ich mir hart erarbeiten müssen." Aber schließlich war doch der Projektdurchbruch geschafft. "Das war ein positives Schlüsselerlebnis." Heute ist das internationale Parkett für den CIO Alltag: "Inzwischen macht mir das Spaß, und ich fühle mich in dieser Rolle vollkommen wohl."
Seine Berufswahl im Bereich Informationstechnologie stand für Wroblowski immer fest. Schon als Jugendlicher hat er mit elektronischen Bauteilen experimentiert, Platinen geätzt und Transistoren, Kondensatoren und Widerstände gelötet. 1980 begann er das Informatik-Studium an der Universität Dresden, das Diplom folgte 1984. Neben seiner Arbeit bei den VEB Automatisierungsanlagen Cottbus begann er seine "außerplanmäßige Aspirantur", sprich Promotion. Noch unter DDR-Bedingungen begonnen, hat er die Arbeit nach der Wende fortgesetzt. Der Linde-CIO: "In den Wende-Wirren ist die Arbeit dann einige Zeit liegen geblieben. Bis März 1992 waren alle alten DDR-Regelungen gefallen - ich habe den Doktor-Titel zu 100 Prozent nach BRD-Recht erhalten." Nach dem DDR-Studium war das für den Mann aus dem Osten der Schlüssel für jene Internationalität, die er sich schon viel früher gewünscht hatte.