Angefangen hatte es mit einem kleinen Online-Shop für Bücher. Dann wurde das Sortiment immer größer, über Musik und Filme bis hin zu Kinderspielzeug, Bekleidung oder Drogerieartikeln. Inzwischen gibt es fast nichts mehr, was es nicht auch bei Amazon gibt. Und das zu marktkämpferischen Preisen, kostenlosem Versand und Sonderaktionen zu Weihnachten, Valentinstag und anderen Festtagen. Alles nicht zur Freude der traditionellen Ladengeschäfte.
Wie verschiedene internationale Medien von der amerikanischen New York Times bis zum italienischen Corriere della Sera melden, scheint es bei Amazon beschlossene Sache zu sein, den Retail-Wettkampf durch die Eröffnung eigener Läden auf eine neue Stufe zu heben.
Die Rede ist von einer geplanten Boutique im oberen Preissegment in Seattle im US-Bundesstaat Washington. In Seattle möchte Amazon angeblich den klassischen Verkauf über den Ladentisch mit dem E-Reader Kindle und der in Planung befindlichen eigenen Buchreihe "Amazon Exclusives" testen.
Als Online-Händler noch steuerfrei
Als Online-Retailer muss Amazon bisher in einigen Bundesstaaten keine Verkaufssteuern zahlen, wie sie im stationären Handel üblich sind. Darüber hat es in den USA massiven Streit gegeben, und Amazon steht unter Druck – nicht nur von der Konkurrenz, die von ungesetzlichen Vorteilen für den Online-Händler spricht, sondern auch von den Bundesstaaten, die gerne mehr Steuern einnehmen würden.
Beobachter glauben deshalb, dass es Amazon auch auf Deals mit den Behörden abgesehen hat: Eröffnung von weiteren Versandzentren und von einigen "echten" Läden mit neuem Verkaufspersonal (= beides Beiträge zur Senkung der lokalen Arbeitslosigkeit) gegen gleichzeitige Gewährung von temporären Steuerbefreiungen für die Versandzentren und Läden (= Konkurrenzvorteil für Amazon).
Amazon-Strategie: Wachstum um jeden Preis
Die neuen Wachstumspläne wären auch ein Mittel gegen den Einbruch von über 50 Prozent bei den Gewinnen, den der Konzern im letzten Quartal hinnehmen musste. Die bisherige Strategie setzt auf die Gewinnung von Marktanteilen fast um jeden Preis: Das bedeutet Wiedereinlage der Gewinne in das Unternehmen oder Produktion und Verkauf unter Herstellungs- oder Einkaufskosten, um möglichst viele Kunden an das Unternehmen zu binden.
Die Strategie ist bisher aufgegangen: Viele Menschen, die etwas einkaufen wollen, erkundigen sich erst einmal woanders, darunter auch in den klassischen Ladengeschäften, um dann anschließend auf das kostengünstigere Angebot von Amazon zurückzugreifen.
Weitere Kriegserklärung an die Konkurrenz
Wenn Amazon jetzt auch noch den umgekehrten Channel – eigene Geschäfte vor Ort – eröffnet, käme das einer weiteren Kriegserklärung an die traditionelle Konkurrenz gleich. Die tut sich zum großen Teil schon jetzt ausgesprochen schwer mit den ihr aufgezwungenen doppelten Verkaufsangeboten per Laden und Internet. Und manche wie Media Markt haben den Eintritt in den Online-Handel fast komplett verschlafen.
Wie ernst es Amazon allerdings meint, bleibt unklar. Es gibt bisher keine offiziellen Kommentare. Auch unsere schriftliche Anfrage an Amazon Deutschland blieb unbeantwortet.
Als Apple vor elf Jahren damit anfing, eigene Stores zu eröffnen, hielten viele Marktbeobachter das für Phantastereien. Von Analystenseite gab es fast nur negative Stellungnahmen. Gekommen ist es ganz anders. Die Stores haben wesentlich zum Erfolg der Apple-Produkte beigetragen.
Amazon: Boutiquen, Showrooms oder Warenhäuser
Allerdings handelt es sich im Fall von Apple nur um einige kleinere Geräte. Und die Läden fallen nur an ausgesuchten Stellen protzig aus, wie zum Beispiel an der Fifth Avenue in New York. Amazon hat aber sehr viel zu verkaufen. Man bräuchte also riesige Warenhäuser für die komplette Produktpalette. Oder es geht doch in Richtung Showroom für den Kindle und zum Anschauen einiger Vorzeigewaren. Inklusive Bezahlen vor Ort und kostenlosem Versand bis am nächsten Tag nach Hause.