Jahr für Jahr werden in Deutschland zirka 300.000 Unternehmungen gegründet; also mehr als 800 pro Tag. Doch nur jedes Zehnte hat Erfolg. Das heißt: Bei rund 270.000 Jungunternehmern und Selbstständigen ist das Scheitern vorprogrammiert. Sind die Gescheiterten stolz auf diese Erfahrung und erzählen anderen davon? Lecken sie ihre Wunden und starten gereift und gestärkt neu durch? Eher selten! Wer hierzulande scheitert, schweigt. Denn Scheitern erzeugt im besten Fall Mitleid und im schlimmsten Fall ein scharlachrotes Brandmal.
Doch nun gibt es seit zwei, drei Jahren einen Trend, der mit diesem Tabu bricht. Die Mexikanerin Leticia Gasca hatte die Geschäftsidee, Kunsthandwerk übers Internet zu verkaufen. Die Umsetzung scheiterte. Zunächst hatte die junge Unternehmerin Hemmungen darüber zu sprechen. Doch dann erzählte sie Freunden von ihrem Scheitern und merkte, wie wichtig es für sie war, diese Erfahrung zu teilen. So entstand die Idee von "FuckUp-Nights" - Treffen, bei denen Menschen die Geschichte ihres Scheiterns erzählen. Der Erfolg war durchschlagend, immer mehr Personen kamen. Die Frauen und Männer, die offen über ihr Scheitern sprachen, erlebten dies als eine Katharsis. Sie befreiten sich von Scham, Angst und Selbstverurteilung und schafften so die Voraussetzungen für einen weiteren Anlauf.
Inzwischen hat der Trend viele Länder erfasst. In zahlreichen Großstädten finden regelmäßig solche "Loser-Treffen" statt: Storytelling, um das Erlebte zu verarbeiten und Misserfolge salonfähig zu machen. Das ist eine wirksame Medizin, um die Schockstarre abzustreifen und wieder aufzustehen.
FuckUp-Nights: Sinnvoll in Unternehmen
Solche Foren sind auch in Unternehmen nötig. Viele Führungskräfte und Projektmanager, aber auch Mitarbeiter, die operative Verantwortung tragen, scheuen sich Risiken einzugehen - aus Angst zu scheitern. Sie wollen nicht am Pranger zu stehen und das Stigma des Losers auf der Stirn zu tragen. Das ist fatal: Wer soll in unserer Gesellschaft und in unseren Unternehmen noch herausfordernde Aufgaben übernehmen und risikobehaftete (Zukunfts-)Entscheidungen treffen, wenn wir eine Kultur tolerieren, die ein Scheitern verurteilt? Was wird dann aus dem Unternehmergeist, der Entdeckerfreude, dem Veränderungswillen, der alles vorantreibt?
Thomas Edison, der Erfinder nicht nur der Glühbirne, erhob "Fehlermachen und Scheitern" zum Prinzip. Als ein Mitarbeiter von ihm nach dem tausendsten Versuch, eine marktreife Glühbirne zu entwickeln, sagte "Wir sind gescheitert", soll Edison erwidert haben: "Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut." Dieses Denken fehlt uns. Wir haben vergessen, wie wertvoll Erfahrungen sein können, die Menschen im Kontext von Misserfolg sammeln.
Sie heben den Reifegrad und verbessern die Performance bei den nachfolgenden Versuchen - wenn die Erfahrungen reflektiert und verarbeitet werden. Vielleicht sollte es auch in den Unternehmen FuckUp-Nights geben, in denen Mitarbeiter freimütig darüber berichten, wie sie zum Beispiel ein Projekt krachend gegen die Wand fuhren oder eine Auftragschance so richtig vergeigten. Das würde nicht nur die Köpfe der Betreffenden, sondern auch die vieler ihrer Kollegen freier machen, die in der ständigen Angst leben: "Das darf mir nicht passieren, sonst...".
Solche Meetings könnten einen Beitrag dazu leisten, dass Fehler als Chance gesehen werden und die Verantwortlichen sich und anderen eingestehen können: "Das ist dumm gelaufen, doch ich habe daraus viel gelernt." In vielen Unternehmen bedeutet ein gescheitertes Projekt aber auch heute noch das Karriereende. Also wird das sich abzeichnende Scheitern so lange verschwiegen, bis die Fehlentwicklung zum Himmel stinkt.
Rückschläge helfen in der Entwicklung
Ein Umdenken ist erforderlich - auch unter den Personalverantwortlichen. Bewirbt sich heute ein gescheiterter Selbstständiger bei ihnen, dann fassen die Personaler ihn, wenn überhaupt, mit Glacéhandschuhen an. Dabei sollten solche Bewerber einen Bonus haben, denn sie haben Eigeninitiative bewiesen und wissen, wie man gewisse Dinge nicht machen sollte, um erfolgreich zu sein.
Eigentlich sollten die Personalverantwortlichen Bewerber, die sich auf eine Position bewerben, die viel Eigeninitiative und -verantwortung erfordert, in Vorstellungsgesprächen stets fragen: "Sind Sie in Ihrem (Berufs-)Leben schon einmal so richtig gescheitert? Was haben Sie daraus gelernt?".
Und wenn auf die erste Frage keine Antwort kommt? Dann sollten sie sich ernsthaft fragen: Ist das der richtige Mitarbeiter für uns? Denn dann hat der Bewerber für die zu besetzende Position wichtige Erfahrungen noch nicht gemacht. Oder er hat sie verdrängt. Oder er lügt. In allen drei Fällen ist er wohl nicht der richtige Kandidat.