Mobiles Arbeiten

Gesucht: virtueller Ersatz für den Flurfunk

18.10.2016 von Christiane Pütter
Die IT demokratisiert das Arbeitsleben. Warum das nicht ohne Schmerz geht und welche Rolle der Flurfunk für die Karriere spielt, erläutert Stephan Kaiser, Professor für Personalmanagement und Organisation an der Universität der Bundeswehr München.
  • Laut einer aktuellen "Future Workforce Study" sind neun von zehn Beschäftigten mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden
  • Für Remote Worker kann es karriereschädigend sein, nicht mitzubekommen, dass etwa bestimmte Abteilungsleiter nicht mehr zusammen in die Kantine gehen
  • Gut jeder dritte Deutsche geht zur Arbeit, "um die Rechnungen zu bezahlen"
Dr. Stephan Kaiser ist Professor für Personalmanagement und Organisation an der Bundeswehr-Universität München.
Foto: Dr. Stephan Kaiser

Da ist vom Fachkräftemangel die Rede oder von der Generation Z, die alles anders machen wird. Vom akademischen Prekariat mit seinen ständig befristeten Verträgen und von den altmodischen Deutschen, die in der Komfortzone hocken bleiben. Arbeiten in Deutschland - das Unternehmen Dell fügt der Diskussion eine neue Facette hinzu mit einem Papier namens "Future Workforce Study - Studie zu den Arbeitskräften von morgen Deutschland 2016".

Der Marktforscher Penn Schoen Berland (PSB) hat im Auftrag von Dell rund 400 deutsche Arbeitnehmer befragt. Fazit: Neun von zehn Deutschen (genauer: 89 Prozent) sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Stephan Kaiser, Professor für Personalmanagement und Organisation an der Universität der Bundeswehr München, sieht dennoch Diskussionsbedarf. Kaiser war bei der Vorstellung der Studie in München als Gast geladen.

Zunächst ein paar Ergebnisse der Studie: Mobile Mitarbeiter zeigen sich mit 94 Prozent überdurchschnittlich oft zufrieden. Werden alle Befragten zusammengenommen, nennen sie als Hauptgründe für ihre Zufriedenheit die Beziehung zu den Kollegen (33 Prozent) und den Inhalt der Arbeit (26 Prozent).

Die Arbeitshaltung der Deutschen lässt sich in zwei grundverschiedenen Statements darstellen. 65 Prozent der Befragten erklären den Job zum "zentralen Bestandteil der persönlichen Identität". Die anderen 35 Prozent erklären, sie gingen zur Arbeit, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Die Wissenschaft kennt dafür zwei Begriffe, erklärt Kaiser: Integrierer und Segmentierer. Für Letztere prägte der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel in den 1990er-Jahren den Begriff der "freizeitorientierten Schonhaltung".

Microsoft diskutiert mit Studenten über gute Arbeit
"Was ist gute Arbeit?"
Microsoft lud in die Technische Universität München zu einer Diskussion über gute Arbeit. Auf dem Podium: Daniel Krauss (Flixbus), Dominik Kenzler (Dark Horse Innovation), Studentin Jennifer Herrmann, Blogger Markus Herrmann, Thorsten Hübschen (Microsoft) und Moderator Christian Helten ("jetzt.de")
Daniel Krauss, CIO und Gründer
Mit auf dem Podium saß Daniel Krauss (hier vorne im Bild), Gründer und CIO von Flixbus. Der 31-Jährige ist gern am Bahnhof und redet mit den Busfahrern. Insofern sei er ein "untypischer CIO". Für ihn keine Frage des Alters, sondern der Persönlichkeit, sagte er gegenüber cio.de nach der Diskussion.
Jennifer Herrmann, Studentin
Die junge Studentin Jennifer Herrmann akzeptiert keine Klischees über die "Generation Y". Sie sagt: "Es gibt auch Studenten, die wollen einen Nine-to-Five-Job!" Für sie selbst gilt das offenbar nicht: Herrmann leitet an der Uni ein Projekt-Team zum Aufbau einer kollaborativen Lern-Plattform.
Thorsten Hübschen, Microsoft
Thorsten Hübschen verantwortet das Office Geschäft bei Microsoft Deutschland. Er musste nach der Diskussion noch viele Fragen beantworten.
Diskussion
Trotz des frühlingshaften Wetters nahmen sich einige Studenten (und ein paar nicht mehr ganz so junge Mitarbeiter der TU) die Zeit für die Diskussionsveranstaltung.

Stichwort 1990-er Jahre: Für Kaiser sind die jetzt diskutierten Themen nicht grundlegend neu. Er spricht von einem anhaltenden Megatrend: die Demokratisierung zieht ins Arbeitsleben ein. Neu daran ist dieser Tage, wie sehr die Informationstechnologie das Ganze unterstützt.

Kaiser nennt hier das Lean Management aus den 1990er-Jahren, das bereits Prinzipien wie Dezentralisierung und Empowerment vertrat. IT mache solche Prinzipien in der Praxis möglich. Das bezieht sich zum Beispiel auf das Teilen und Verbreiten von Wissen in Unternehmen, wo Führungskräfte früher Herrschaftswissen hüteten. Und auf Daten-Management, das Sachbearbeitern Entscheidungen ermöglicht, die einst mittleren Managern vorbehalten waren.

Einen weiteren Motor erkennt Kaiser in Methoden wie Scrum, die aus der Software-Entwicklung kommen und sich in anderen Teilen des Unternehmens ausbreiten. Der Professor weiß, dass sich manches deutsche Traditionsunternehmen mit gewachsenen hierarchischen Strukturen in puncto Agilität schwer tut. So fürchten mittlere Manager und bisherige Projektleiter um ihre Position. "Ganz ohne Schmerz wird es nicht gehen", sagt Kaiser. Das sei für Unternehmen ein klassisches Change-Thema.

Stichwort Schmerz: Bei allen Vorteilen mobiler Arbeit zeigt die Studie auch Nachteile auf. So erklären 88 Prozent der Befragten, die persönliche Interaktion mit den Kollegen sei notwendig, um eine produktive und professionelle Arbeitsumgebung zu pflegen. In der Diskussion um die Analyse fiel das Stichwort der "digitalen Isolation", in die mobile Worker geraten können.

Wissenschaftlich noch nicht erforscht ist der sogenannte Flurfunk. Wer von zu Hause oder unterwegs aus arbeitet, sieht nicht, dass bestimmte Abteilungsleiter nicht mehr zusammen in die Kantine gehen oder dass Führungskraft X in der Kaffeeküche neuerdings immer so still ist. Es kann karriereschädigend sein, solche Informationen nicht mitzubekommen, weiß Kaiser. "Es müsste einen virtuellen Ersatz für den Flurfunk geben", überlegt er.

Der Chef als Gegenstand des Flurfunks

Aus der Gesprächsrunde bei der Vorstellung der Studie kommt die Idee auf, es sei Aufgabe der Führungskräfte, solche Defizite auszugleichen. Eine anwesende Betriebsrätin widerspricht. Es sind ja gerade die Führungskräfte, die diesen Flurfunk entweder gar nicht mitkriegen - oder nicht kapieren, dass sie selbst Gegenstand des Flurfunks sind, so ihre These.

Eines immerhin scheint festzustehen: Arbeiten alle Mitglieder eines Teams remote, ist das Thema überflüssig, ebenso, wenn alle vor Ort arbeiten. Die Unternehmenspraxis wird aber vermutlich zunehmend gemischte Teams sehen. Personalmanagement-Professor Kaiser jedenfalls nimmt das Stichwort "Flurfunk" als potenzielle Forschungsfrage mit ins Büro.