Umwerfen kann diesen Mann kaum etwas, so wie es aussieht. Hans-Peter Kastner steht zwischen Hunderten von Kästen mit Bierflaschen, Mineralwasser und Säften - stolz, strahlend, fester Händedruck. Zu erzählen hat der groß und kräftig gebaute Kastner so einiges in seinem Getränkemarkt am Stuttgarter Stadtrand: Im Kampf gegen das Plastik in seinem kleinen Unternehmen hat er mit einem offenen Brief an seine Kunden nicht nur die Nachbarn wachgerüttelt. Sein frustriert formulierter Facebook-Eintrag ist inzwischen mehr als 3,2 Millionen Mal gelesen worden. Tausende Nachrichten habe er auf sein Handy bekommen, erzählt Kastner. "Es gibt Anfragen aus den USA und der Schweiz. Ich soll Vorträge halten."
Der 41-Jähriges sagt: "Ich habe die Schnauze voll von Plastik. Ich will den Umweltschutz vorantreiben und eine Lawine in meiner Branche auslösen." Sein Plan ist einfach und gewagt - und er könnte ihn im schlechtesten Fall in die Pleite führen. Ihn und seine Familie, die in dem Getränkemarkt mit anpackt und Kisten stemmt. Kastner hat seine Kunden aufgerufen, keine Plastikflaschen und Dosen mehr zu kaufen, sondern auf umweltfreundlichere Mehrwegflaschen aus Glas zu setzen. Zwei DIN-A4-Seiten. Sie hängen auch am Eingang des Getränkemarktes.
Flaschenentsorger für die Discounter
Nicht nur der Wille zum Umweltschutz hat ihn zu dem Schritt veranlasst. Kastner hat auch keine Lust mehr, der Flaschenentsorger für die Discounter zu sein. In nur zwölf Wochen sammelte sein Team zuletzt 52 Säcke mit je 200 Flaschen - das sind 10.400 Einweg-Flaschen und -Dosen der Kunden. "Das ist brutal viel für einen Betrieb unserer Größe", ärgert sich Kastner. Das Foto der Säcke veröffentlichte er in den sozialen Medien - ein beeindruckender Nackenschlag, mit dem er auch gegen die Pflicht protestieren wollte, Plastik-Leergut der Discounter lagern und entsorgen zu müssen.
Nun will Kastner auch den nächsten Schritt gehen: Von August an wird er voll und ganz auf Plastik in seinem Markt verzichten. "Die meisten Kunden geben mir Recht und unterstützen mich", sagt Kastner. Und auch andere Fachhändler aus seiner Branche seien überzeugt von seinem Weg. "Aber die meisten trauen sich noch nicht wegen der Kunden und der mächtigen Konzerne. Dabei haben wir nur gemeinsam Erfolg." Zöge die Industrie an einem Strang, hätte der Verbraucher keine Wahl mehr.
Einweg-Plastikflaschen dominieren den Markt
Das dürfte allerdings nicht einfach werden. Denn Einweg-Plastikflaschen sind inzwischen das dominierende Packmittel bei Getränken. Laut Deutscher Umwelthilfe haben sie einen Gesamtanteil von rund 52 Prozent. Pro Jahr werden 16,4 Milliarden Plastikflaschen verbraucht, das sind stündlich 1,9 Millionen Einweg-Plastikflaschen oder fast 200 Einweg-Plastikflaschen pro Kopf und Jahr. Das ist nicht alles: Im vergangenen Jahr wurden laut Fachverband Forum Getränkedose rund 3,51 Milliarden Getränkedosen in Deutschland konsumiert. Tendenz deutlich steigend.
Unternehmer Kastner hat sich aber nicht aus einer Laune gegen das Plastik entschieden und er hat den Schritt ganz genau geplant. Durch die Analyse von Kassenbons weiß er, wie schwer es ihn treffen könnte, wenn Käufer von Plastikflaschen den Markt wechseln und dann auch den Schnaps oder die Bierflaschen beim Konkurrenten kaufen. "Plastik macht derzeit einen Umsatzanteil von 30 Prozent aus, aber ich kann hier und dort auf Glas wechseln", rechnet Kastner vor.
Drohender Umsatzverlust
Er geht von einem Umsatzverlust von bis zu fünf Prozent aus. "Ich werde Kunden verlieren, aber vielleicht gewinne ich auch den einen oder anderen neuen dazu." Abhalten lassen möchte er sich nicht: "Man kann nicht ökologisch denken, wenn man immer nur betriebswirtschaftlich denkt."
Der Branchenverband unterstützt seine Entscheidung: "Das ist absolut nachvollziehbar", sagt der Bundesvorsitzende des Verbands des Deutschen Getränkefachgroßhandels (GFGH), Günther Guder. Kastner treffe "absolut den Nerv der Zeit". "Wir sehen schon seit drei bis vier Jahren eine steigende Tendenz beim Verbraucher, nach Glas-Mehrweg zu fragen." Aus Sicht des Handels sei dies ein "heißes" Thema. "Wir stehen deshalb klar auf seiner Seite", sagt Guder.
Auch Kastners Kritik an den Lagerungskosten sei verständlich: "Viele Leute haben keine Lust, sich am Automaten des Discounters anzustellen. Dann kommen sie zum Getränkehändler, stellen ihm die anderswo gekauften Plastikflaschen auf den Tisch und er muss sie zurücknehmen." Dadurch habe er hohe Handlungs- und Entsorgungskosten am Hals und bleibe auf diesen Zusatzkosten sitzen.
Allerdings folgten Händler meistens den Wünschen der Verbraucher. Wichtig sei es daher, diese ins Boot zu holen. Außerdem verursache der Transport hohe Emissionen. "Wichtig wäre also auch, dass der Händler möglichst viele Produkte von regionalen Anbietern verkauft", meint Guder. (dpa/rs)