"Es war das eindrucksvollste Erlebnis, das ich bis dahin im IT-Umfeld hatte." Noch sechs Jahre später schwärmt Hans Dieter Nase von der Einführung des "Factory Planer" von i2. Als Hauptbereichsleiter für Produktionsplanung und Logistik ist er auch verantwortlich für die Entwicklung der Supply-Chain-Lösung beim Stahlwerk Edelstahl Witten-Krefeld (EWK). Von Januar bis April 1999 hatte Nase die Lösung eingebaut. Drei Mann von i2 und ein eigener Mitarbeiter waren mit der Implementierung beschäftigt. Nur weil die Schnittstelle zum R/3-System Version 3.0f noch programmiert werden musste, zog sich das Projekt länger hin als die ursprünglich angesetzten drei Monate.
Doch das war erst der Anfang. Nach wie vor ist Nase damit beschäftigt, die IT für die Liefer- und Fertigungskette aufzurüsten und weiterzuentwickeln. Eine ganze Serie von mehr oder weniger aufwändigen SCM-Modulen laufen mittlerweile beim EWK. Ins Schwärmen kann der Manager allerdings nicht mehr so recht geraten. So flott wie am Anfang lief es zwischenzeitlich nur noch selten. Die Qualität der Daten und die Datenstruktur erwiesen sich ebenso als Stolpersteine wie das von i2 in Indien vorgefertigte Upgrade, dessen Einführung fünf statt drei Monate beanspruchte. "Wenn ich das Thema heute noch einmal anfangen würde, ließe sich bestimmt ein Jahr einsparen," blickt Nase zurück.
Dauerbaustelle SCM
Einmal SCM, immer SCM. Wer ein Supply-Chain-System implementiert, begibt sich auf eine Dauerbaustelle. Über die Zeit sind interne und immer häufiger externe Prozesse zu verknüpfen, zu kontrollieren und zu verwalten. Im Vertrieb, im Lager und in der Produktion sind neue Abläufe zu formen. "Da ist ständig was zu tun", sagt Christian Glas, Analyst von Pierre Audoin Conseil (PAC). "SCM-Projekte sind immer komplex, und viele Unternehmen stehen erst am Anfang von dem, was sie machen können und was sinnvoll ist."
Dieses brachliegende Potenzial innerhalb der Unternehmen schlägt sich allerdings noch nicht in den Bilanzen der Anbieter nieder. Nach einem heftigen Einbruch des Geschäftes hat sich der SCM-Markt zwar weitgehend konsolidiert, aber von einem Aufschwung kann nicht die Rede sein. In Deutschland wuchs das Geschäft mit SCM-Software und -Services von 2003 bis 2004 um 1,8 Prozent auf rund 168 Millionen Euro, so die Berechnungen von PAC. Auch für 2005 erwartet niemand große Sprünge. Die Analysten von PAC rechnen hierzulande mit einem Anstieg um 4,2 Prozent auf 175 Millionen Euro.
Image-Probleme belasten Spezialisten
Nutznießer dieser Entwicklung ist die SAP AG. Einst hechelten die Walldorfer hinter den SCM-Spezialisten i2 und Manugistics hinterher. Heute preschen sie ihnen davon. Die ehemaligen Stars der Szene belasten nach wie vor sinkende Umsätze und Imageprobleme.
i2 beispielsweise knabbert bis heute an gescheiterten Projekten, die die Runde machten, sowie an internen Querelen. Erst Mitte vergangenen Jahr konnte der Streit mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht beigelegt werden, kurz zuvor wurde ein Zwist mit klagenden Aktionären außergerichtlich beendet. Michael McGrath, seit Februar neuer CEO, soll das Ruder nun herumreißen. Zunächst gab es einen Aderlass: i2 muss weitere 15 Prozent seiner Belegschaft entlassen. Die Einnahmen im Geschäftsjahr 2004 waren gegenüber dem Vorjahr von 495 auf 389 Millionen Dollar gesunken. Mit minus drei Millionen schreibt i2 nach wie vor Verluste.
Auch die jüngsten Zahlen von Manugistics glänzen nicht gerade. Das Unternehmen schrumpft weiter. Für das Ende Februar beendete Geschäftsjahr 2005 meldet das Unternehmen einen Umsatz von 193 Millionen Dollar (2004: 242 Millionen Dollar) sowie einen Nettoverlust von 55 Millionen Dollar. Vor allem außerhalb der USA, wo vier Fünftel der Einnahmen erzielt werden, wird Manugistics kaum noch wahrgenommen. SAP hingegen stabilisierte seinen Umsatz im vergangenen Jahr und nahm weltweit 480 Millionen Euro mit SCM-Lösungen ein, ein Plus von einem Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit erwirtschaftet dieser Bereich bereits ein Fünftel der gesamten SAP-Einnahmen. 60 Prozent entfielen auf das Neugeschäft mit den Lösungen SAP SCM 4.1 und sichern damit zusätzliche Wartungserlöse für die folgenden Jahre. Entscheidende Kundengruppe bleiben die Großunternehmen vor allem in Deutschland. Mit ihrer großen Installationsbasis für ERP können die Walldorfer wesentlich leichter punkten als die Konkurrenz.
Widerstandslos jedoch bekommt SAP das Feld nicht überlassen. Technisch gesehen gelten die Lösungen von i2 der in Deutschland erst seit kurzem tätigen Manhattan Associates als hervorragend. i2 beispielsweise nimmt für sich in Anspruch, auf das Wissen aus rund 10 000 Installation zurückgreifen zu können. SAP hält mit dem Argument 'Integration' dagegen, schließlich müssen die SCM-Anwendungen ans ERP-System angeschlossen werden.
"SCM ist kein Softwareprojekt"
Noch hält sich die Kauflaune der CIOs allerdings allen Anbietern gegenüber zurück. Die Mächtigkeit der Systeme, ihre Komplexität und die hohe Investition schreckt viele Unternehmen davon ab, umzusatteln.
Erschwerend kommt hinzu, dass dem gesamten Thema innerhalb der Unternehmen der falsche Stempel aufgedrückt wird. "Supply-Chain-Management ist kein Softwareprojekt", sagt Gunter Kraft, Vice President Sales Consulting bei i2. Noch hat sich diese Einsicht allerdings zu selten bis in die Führungsetagen herumgesprochen. Dabei gibt es genügend Beispiele, die zeigen, dass hinter erfolgreichen Unternehmen auch eine klare Supply-Chain-Strategie steht, die bis in die höchsten Ebenen Priorität genießt. Dell, Procter & Gamble oder IBM machen es vor. Hier behält der Vorstand die Lieferkette im Blick. "Es ist weniger die IT", bestätigt auch Ulrich Thonemann, Direktor des Seminars für Supply Chain der Uni Köln. "Vielmehr müssen die Unternehmen lernen, ihre internen Abläufe zu strukturieren. Da liegt noch vieles im Argen."
Kapitalkosten gesenkt
"Billig ist es nicht", weiß Hans Dieter Nase. "Aber was wäre gewesen, wenn wir es nicht gemacht hätten?" Mit dem "Factory Planner" verkürzte sich der Planungsrhythmus von einmal pro Woche auf einmal pro Tag. Die Liefertermintreue erhöhte sich von 65 auf 89 Prozent, die Materialbestände in der Produktion schrumpften um 25 Prozent. Hinzu kamen weitere Erleichterungen, beispielsweise mit der Einführung der automatischen Zuordnung des Rohstahls oder der ATP (Available-to-promise)-Funktion. Mit der Auftragsbuchung im Vertrieb (SAP-SD) kann nun ein entsprechender Bedarf automatisch abgeglichen werden. "Damit steht bereits während des Verkaufs der Liefertermin fest", erklärt Nase.
Schließlich verringerte sich auch die Kapitalbelastung des Unternehmens deutlich. "Das in vorgehaltenem Material gebundene Kapital konnte von zirka 107 auf 70 Millionen Euro abgebaut werden", sagt Nase. Und das soll noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: "Wir planen, noch mal 30 Prozent einzusparen." Vor wenigen Monaten hat er außerdem begonnen, ein Vendor-Managed-Inventory (VMI)-Programm aufzusetzen. Der Bedarf ausgewählter Kunden fließt dann direkt in die Planung von EWK, was zu einer automatischen Versorgung anstelle von Belieferung gegen Bestellung führt.
Damit steht Edelstahl Witten-Krefeld heute an dem Punkt, den die Anbieter schon vor Jahren versprachen. Damals hieß das Zauberwort "Collaborative Commerce". Gemeint war die Verknüpfung zwischen Herstellern, Lieferanten und Endkunden. Ganze Firmennetze treten dann in Konkurrenz zueinander. Heute ist das Wort entzaubert, aber das Konzept wird Realität - und könnte den Markt anschubsen. "Gerade in den ersten Monaten dieses Jahres wird diese Diskussion wieder verstärkt geführt", beobachtet Hans Thalbauer, Vice President Solution Management SCM bei SAP. Warum erst jetzt? Jetzt habe sich auch die Technik dahin entwickelt, dass Daten leichter auszutauschen sind.
Zeit zum Verschnaufen bleibt dem CIO nicht, wenn er sich mit SCM auseinandersetzt. "Seit einem Jahr erschlägt einen RFID," beobachtet Professor Ulrich Thonemann. Medienwirksame Projekte wie beispielsweise Metros 'Future Store' oder die Ausstattung von Fußbällen mit den Minifunkern pushen das Thema. Vielleicht sogar stärker, als es so manchem Anbietern lieb ist, denn die Industrie ist gerade erst dabei, Expertenwissen aufzubauen. Die Werbetrommel wird aber schon mal gerührt.
RFID: Viele üben schon
Die Technologie sowie ihre Anwendung stehen allerdings erst am Anfang, darüber herrscht Einigkeit. "Die Unsicherheiten sind zu groß und die Kosten noch relativ hoch", dämpft Thonemann. "Wann die Technologie wirklich einen Mehrwert liefert, ist derzeit die große Frage." Bis jeder Joghurtbecher mit einem eigenen Chip bestückt wird, dürfte es gut und gerne noch fünf bis zehn Jahre dauern.
Wesentlich schneller hingegen wird sich der Einsatz auf Container- beziehungsweise Palettenebene durchsetzen. Hier übt bereits eine Reihe von Unternehmen. Und es sind keineswegs nur die üblichen verdächtigen Vertreter aus dem Handel. Airbus beispielsweise setzt auf RFID-Tags zum Managen seiner teuren Werkzeuge. Außerdem sollen - sofern der A 380 in die Serienproduktion geht - die Container mit den Einzelteilen mit Chips versehen werden, was die Fertigung von vier Fliegern gleichzeitig ermöglicht. Fraport überwacht die Brandklappen des Frankfurter Flughafens und ein Holzfällerbetrieb im Odenwald verfolgt seine gefällten Bäume mit Hilfe der Funkplättchen und senkt die Zahl seiner Verluste.
Seit wenigen Wochen verschickt auch Philips seine Halbleiter aus den Distributionszentren in Asien nur noch RFID-gestützt. Der Konzern kennzeichnet und verfolgt die Wafer-Behälter und Packkartons zwischen der Fertigung in Taiwan und dem Distributionscenter für den asiatisch-pazifischen Raum in Hong Kong. Die Zeit zum Auslesen der Produktinformationen beim Wareneingang konnte um die Hälfte gesenkt werden, um 25 Prozent verkürzte sich die Arbeitszeit, in der die Mitarbeiter sich direkt mit der verpackten Ware im Distributionscenter beschäftigen. Reinhard Kalla, General Manager Identification bei Philips, vergleicht den Einsatz der neuen Funktechnologie derzeit mit denen des Barcodes. "RFID ist eine Technik, die zunächst vor allem die Logistik vereinfachen und stark beschleunigen kann."
Henne-Ei-Problem beim Preis
In Zukunft wird RFID jedoch weit mehr sein. Anbieter verschiedener Couleur wittern hier bereits das große Geschäft. Wie groß es sein wird, lässt sich noch schwer beziffern. Noch ist das Henne-Ei-Problem des RFID-Marktes nicht gelöst: Kaufen die Firmen mehr Chips, werden diese billiger. Also wartet der Produzent. Aber erst wenn die Chips billiger werden, langen die Kunden auch kräftiger zu.
Mit dem Einstieg großer Handelskonzerne dürfte sich die Frage nach genügend Masse bald beantworten. Sind die technischen Hürden genommen, etablieren sich rund um RFID neue Märkte. Im Supply-ChainGeschäft, werden sich vor allem die einschlägigen Systemintegratoren ein großes Stück vom Kuchen abschneiden. Viele Unternehmen müssen beraten und begleitet werden, wie Prozesse und IT an die neuen Anwendungen anzupassen sind. IBM oder SBS treiben schon jetzt die Pilotprojekte voran und bauen ebenso Expertenwissen auf wie Capgemini oder Accenture.
"Es ist gut, erste Pilotprojekte zu fahren, um zu lernen, wie das Ganze funktioniert, und die internen Prozesse zu üben", empfiehlt Ulrich Thonemann. "Aber man sollte jetzt noch nicht allzu großartig investieren."