Erster Expertenbericht

Google-Denkfabrik für Selbstregulierung des Web

16.08.2010 von Johannes Klostermeier
Nur seine Produkte vorzustellen, reicht nicht mehr. Deshalb hat Google die Denkfabrik "Internet & Gesellschaft Collaboratory" mit 35 Vordenkern aus Wissenschaft, Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen ins Leben gerufen. Jetzt wurde der erste Expertenbericht vorgestellt.

Google Deutschland hat im März dieses Jahres eine eigene Denkfabrik gegründet. Sie nennt sich „Internet & Gesellschaft Collaboratory" und soll eigenen Angaben zufolge eine „unabhängige und offene Community of Practice" sein. Mitglieder sind derzeit 35 Experten für internetpolitische Fragen aus allen gesellschaftlichen Bereichen wie etwa Markus Beckedahl (netzpolitik.org), Pavel Richter (Wikimedia Deutschland) und Professor Wolfgang Kleinwächter (Internet Politik und Regulierung, Universität Aarhus).

Digitale Technologien und das Internet seien der Motor für Innovation und Entwicklung der Gesellschaft, heißt es. Gleichzeitig stelle die digitale Revolution Bürger und Staat aber auch vor grundlegend neue Herausforderungen und verlange eine Anpassung der politischen und sozialen Rahmenbedingungen. Martin Löhe, Politikwissenschaftler beim Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme (Fokus) und Mitglied des Collaboratory-Lenkungskreises sagt dazu: „Die Netzbürger wollen an der Debatte und der Gestaltung der Digitalen Gesellschaft in Deutschland teilnehmen: Wir sollten ihre Kenntnisse und Meinungen nutzbar machen. Mit dem „Collaboratory" wollen wir dazu einen Beitrag leisten und eine Plattform, eine offene Community of Practice schaffen."

Die wechselnden Teilnehmer des Expertenkreises sollen die Entwicklung der digitalen Welt beobachten und Vorschläge machen, wie diese Prozesse am besten gestaltet werden können. Daneben sollen sie Beiträge zu politischen Fragen leisten, indem sie wiederum die Meinungen anderer Experten aus dem Netz in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Die Debatte über die Ergebnisse und über künftige Themenschwerpunkte kann man auch auf Youtube verfolgen. Moderiert und betrieben wird der Kanal von Politik-Digital.de auf www.youtube.com/Collaboratory.

In ihrem ersten Bericht "Innovationskultur in der digitalen Gesellschaft" (PDF zum Download) stellen die Experten zunächst einmal ein Stimmungsbild zur Internet-Innovationskultur und zu den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten von Entscheidungsträgern vor. Die Ergebnisse des Berichts basieren auf einer Umfrage von über 530 anderen Experten und Netzbürgern und beruhen auf der Grundlage von 2300 qualitativen Statements.

Ergebnisse des Expertenkreises gibt es zum Thema Internet-Governance und Standardisierung: Das „Collaboratory" befürwortet eine regional-global gemischte Selbstregulierung des Internets und hält diese Strategie auch am ehesten für umsetzbar. Ausgehend von global gültigen Mindeststandards sollten diese Raum für kulturelle, nationale und gruppenspezifische Besonderheiten lassen. Bei der Setzung von Standards wurden sowohl marktliberale als auch staatlich-regulatorische Ansätze vertreten. Insgesamt zeigte sich jedoch eine Präferenz für die bislang als erfolgreich empfundene Selbstregulierung des Internets.

Das Internet muss auch weiterhin anonym genutzt werden können

Beim Thema Datenschutz und Arbeitsumfeld sieht eine große Mehrheit der Befragten die Digitalisierung und Bündelung persönlicher Daten im Internet als kritisch an. Die anonyme Nutzung des Internets wird mehrheitlich als unverzichtbares Grundprinzip des Internet eingestuft. Die Privatwirtschaft und staatliche Stellen werden zu Datensparsamkeit aufgefordert. Im Zweifelsfall müsse der Grundsatz „pro Privatsphäre" gelten. Vom Grundsatz her fordern die Befragten ein Opt-in-Verfahren für den Datenschutz. Der Staat müsse hierzu einen Regelungsrahmen schaffen und seinen Bürgern Werkzeuge an die Hand geben, damit diese auf den Missbrauch ihrer Daten reagieren können.

Unabhängige Experten will Google in seiner neuen Denkfabrik miteinander vernetzen.
Foto: Pixelio/Hofschlaeger

In der Arbeitswelt empfiehlt der Expertenkreis, Internet- und IT-Innovationen stärker zu fördern. Zugleich sollten zum Schutz der Arbeitnehmer vor übermäßiger Überwachung die gesetzlichen Regelwerke weiter ausgearbeitet und weitere innerbetriebliche Prüfungen und Vereinbarungen zum Arbeitnehmerdatenschutz geprüft werden.

Mehrheitlich schreiben die Befragten dem Internet sowie internet-basierten Innovationen positive Effekte auf die Chancengleichheit in der Gesellschaft zu. Deshalb müssten die Medienkompetenz gestärkt und Zugangshürden abgebaut, um der digitalen Spaltung zu begegnen, damit alle Bevölkerungsteile gleichermaßen an der Wissensgesellschaft teilhaben können. Die Befragten empfehlen Bildungsinitiativen zur Vermittlung von Medienkompetenz sowie den Auf- und Ausbau von Fortbildungsangeboten. Zudem müsse der Zugang zum Internet in die Berechnungsgrundlage für die ALG-II-Sätze einfließen.

Traditionelle Schwachpunkte der demokratischen Gesellschaftsordnung könnten in der Online-Welt abgebaut werden. Neue Formen der Kommunikation im Netz könnten dabei Schwächen der Massenmedien als demokratische Kontrollinstanz ausgleichen und Teilhabe und Engagement der Bürger erleichtern. Die befragten Experten empfehlen, E-Demokratie und E-Partizipation durch Online-Beteiligungsplattformen zu stärken. Innovative Ansätze sollten in Pilotversuchen erprobt und bei Erfolg schneller verbreitet werden. Staatliche Institutionen sollten öffentliche Informationen leichter zugänglich machen.

Rund zwei Drittel der Befragten halten mit Blick auf die Innovationskraft des Internet eine Veränderung des bestehenden Rechtsrahmens zum geistigen Eigentum für erforderlich. Zentrale Bedeutung habe dabei das Urheber- und Patentrecht. Der Schutz geistiger Leistungen stufen die Befragten dabei als sehr wichtig ein. Dennoch leide das aktuelle Urheberrecht unter Ausgewogenheit, zugunsten der Verwertungsindustrie und zulasten von Urhebern und Internetnutzern.

Die Experten fordern ein neues Urheberrechtsgesetz

Statt einer Reform fordern die Befragten ein von Grund auf neues Urheberrechtsgesetz. Vor- und Nachteile zusätzlicher Pauschalsysteme oder Urheberrechtsschranken müssten in der Öffentlichkeit stärker diskutiert werden. Alle mit öffentlichen Mitteln entstandenen Werke und Daten sollten von Beginn an gemeinfrei sein.

Der Lenkungsausschuss der neuen Google-Deutschland-Denkfabrik hofft, dass sich weitere Interessierte an der Debatte beteiligen und so dabei mithelfen, die neue Diskussionsplattform zu etablieren, heißt es abschließend.