Zwar durften bisher nur wenige seit Ende Juni das neue soziale Netzwerk Google+ ein bisschen ausprobieren, und neue Zugänge werden seitdem nicht mehr gewährt. Aber das tut dem Hype um die zwar nicht gerade lang ersehnte, dafür aber umso lieber diskutierte Facebook-Alternative offenbar keinen Abbruch. Dazu mag auch beitragen, dass die vielen Kommentatoren Google+ schon jetzt als das bessere Facebook ansehen, und das, obwohl viele Einzelheiten noch gar nicht bekannt sind.
"Lohnt der Wahn? Ich glaube ja!" meint etwa Czyslanski-Blogger Michael Kausch, der zu den ersten gehörte, die einen Blick auf Google+ ergattern durften. Vieles sei "altbekannt", anderes wirke "seriöser" als bei Facebook, manches - "die Tatsache, dass man nun auch fett und schräg posten kann" - scheine gar "revolutionär". Wirklich "fein", so Kausch, seien die Kreise, bei Google "Circles" genannt, in denen man seine Kontakte und Aktivitäten getrennt voneinander verwalten kann - etwa nach "Arbeit" und "Freizeit".
"Man steht zu unterschiedlichen Leuten in unterschiedlichen Beziehungen", erläuterte der für Software-Entwicklung zuständige Google-Manager Vic Gundotra jüngst im Firmenblog. Im richtigen Leben teile man das eine mit Freunden von der Uni, anderes mit den Eltern - "und fast nichts mit dem Chef", argumentierte er. "Das Problem ist, dass heute jeder im Web den Stempel "Freund" aufgedrückt bekommt und das Teilen von Inhalten unter diesem Freundschaftsbrei leidet."
Gundotra spielte damit zweifellos auf Facebook an. Das weltgrößte soziale Netzwerk hatte zuletzt unter anderem mit versehentlichen und absichtlichen Massenparty-Aufrufen seiner Nutzer in Deutschland und Kritik an der Datenschutzpolitik für Negativschlagzeilen gesorgt. Mit rund 750 Millionen Nutzern weltweit hat Facebook aber bereits eine kritische Masse erreicht, die auch einen einst starken Konkurrenten wie MySpace dahinsiechen lässt.
Mit Google+ - dessen für Google-Verhältnisse ungewöhnlich ansprechendes Design übrigens Macintosh-Urvater Andy Hertzfeld zu verdanken ist - lassen sich sogenannte "Circles" (zu deutsch Kreise) von Nutzern anlegen, etwa für den Austausch mit Familienmitgliedern oder den Arbeitskollegen.
Ein Dienst aus mehreren Bausteinen: Google+
Der Dienst besteht aus mehreren Bausteinen. Bei "+Sparks" trägt man seine Interessen ein und bekommt dann einen Strom an Web-Inhalten zu dem Thema. Mit der Videoplattform YouTube und einem Dienst wie Google News kann der Internet-Konzern hier aus dem Vollen schöpfen. Will man etwas zu dem Thema beitragen, erreicht man die Google-Nutzer mit denselben Hobbys. Die Funktion von Facebooks "Like"-Button übernimmt dabei die kürzlich gestartete Google-Alternative "+1", die jetzt auch international verfügbar ist. Sowohl für Google+ als auch für +1 benötigt der Nutzer ein Google-Profil (für Google-Apps-Konten gibt es bislang leider noch keine Profile).
Bei "+Hangouts" sind Videochats in größerer Gruppe möglich oder eine Unterhaltung per Text. Ein weiterer zentraler Baustein heißt "+Mobil". Man kann jedes Mal, wenn man etwas bei Google+ einträgt, seinen Standort angeben. Und um das Teilen von Fotos von unterwegs zu erleichtern, gibt es die Funktion "+Sofort-Upload": "Mit Eurer Erlaubnis fügt Google+ eure Fotos gleich nach der Aufnahme zu einem privaten Album in der Cloud hinzu und macht sie für alle eure Geräte verfügbar." Von dort kann man sie mit ausgewählten Menschen teilen.
Jeder potenzielle Facebook-Killer hat eine mächtige Aufgabe vor sich, schreibt Alys Woodwards im IDC-Netzwerk, weil Facebook einen großen zeitlichen Vorsprung sowie die Kleinigkeit von mehr als 500 Millionen Nutzern habe, die es von einer Alternative zu überzeugen gelte. Zudem sei es eine möglicherweise unmöglich zu bewältigende Herausforderung, neue Funktionen zu finden, die es bei Facebook nicht gibt (wie das Videoconferencing-Tool), trotzdem aber "stupid and simple" zu bleiben.
Facebook, schreibt Woodwards im IDC-Blog, habe damals diese Probleme nicht gehabt, um den früheren Platzhirsch Myspace zu toppen, allenfalls die Bräsig- und Beharrlichkeit der Anwender sei zu überwinden gewesen.
Die Fachwelt nimmt Google+ dankbar auf: "Das bessere Facebook" titelt die Chip. Das Hamburger Abendblatt freut sich und keilt zugleich gegen Facebook: "Mit Google+ keine versehentlichen Partys mehr". Die Fachzeitschrift w&v lässt sich darüber aus, "warum Google+ überzeugt". Die Kollegen von der US-amerikanischen PCWorld finden gleich neun Gründe für den Wechsel von Facebook zu Google+. Und der WDR behauptet keck: "Google verbessert Facebook".
Kritik an Facebook
Das große Wohlwollen gegenüber Google+ hängt wohl auch mit der Kritik an der Datenkrake Facebook zusammen, die erst jüngst mit der Gesichtserkennung erneut in negative Schlagzeilen geraten ist. IDC-Analystin Alys Woodwards bremst die Euphorie dennoch: "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen", meint sie in ihrem Blog und erinnert an 2005, als Google seinen Online-Mail-Service Googlemail startete.
Damals sei ein Aufschrei durchs Internet gegangen, weil Google die Mails mit Schlüsselwörtern durchsucht, um passende Werbung platzieren zu können. Nichts anderes macht im Prinzip Facebook. Weder Google noch Facebook sollten übereinander lästern, wenn es um Privatsphäre im Netz geht, so Woodwards. Beide sammeln und nutzen private Daten, um Umsätze zu generieren.
Die Hamburger Rechtsanwältin Nina Diercks setzt sich in ihrem Blog Social-Media-Recht mit den Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen von Google+ auseinander, um das Firmenmotto "Don’t be evil" zu hinterfragen. "Kurz und knapp", schreibt sie: "Damit fühlt man sich doch schon wesentlich wohler als bei denen von Facebook". Die Inhalt- und Verhaltensrichtlinien von Google+ seien letztlich nicht zu beanstanden. Zwar lässt sich auch Google von seinen Nutzern "die notwendigen, nicht-ausschließlichen und weltweiten, zeitlich unbegrenzten Rechte" an den eingestellten Inhalten einräumen.
Anders als Facebook verpflichtet sich Google aber, "diese Inhalte ausschließlich zum Zweck der Erbringung des jeweiligen Dienstes und lediglich in dem dafür nötigen Umfang zu nutzen". Google, schließt Diercks daraus, erhalte damit also nicht das Recht, jedes Bild und jeden Text selbst verwenden zu dürfen.
Zudem lassen die Nutzungsbestimmungen von Google+ den Nutzern die Verfügungsgewalt darüber, wofür die von ihnen eingestellten Inhalte verwendet werden dürfen. "Auf Druck der Community" gebe es zwar auch bei Facebook mittlerweile Wahlmöglichkeiten, jedoch nur eingeschränkt und sehr versteckt. "Um es mit Google zu sagen, soweit: +1", so das Resümee der Fachanwältin, die auch die Datenschutzbestimmungen von Google+ besser bewertet als die von Facebook. Zwar arbeiteten beide Netzwerke mit "opt-out"-Optionen - man muss also einzelne Funktionen ausschalten. Beim "opt-in" müsste man umgekehrt der Nutzung einzelner Funktionen aktiv zustimmen. Dafür seien bei Google+ aber die "Einstellungsmöglichkeiten zum Schutz der eigenen Daten klar gegliedert und insgesamt sehr übersichtlich".
Datenschutz bei Google+ besser als bei Facebook
Das Fazit der Rechtsanwältin fällt denn auch - trotz Kritik an vielen Details - insgesamt positiv aus: "Im Gegensatz zu Zuckerbergs ‚Privatssphäre war gestern’ bietet Google+ eine ganze Menge (Möglichkeiten zum) Datenschutz". Auch der Schutz des geistigen Eigentums habe einen weitaus höheren Stellenwert, so Diercks: "Und das könnte am langen Ende zum USP werden."
IDC-Analystin Alys Woodwards empfiehlt Unternehmen, den Markt der sozialen Netzwerke vorerst nur zu beobachten. Zeit und Geld sollten nur dann investiert werden, wenn neue Angebote wie Google+ eine kritische Masse erreicht hätten. Die Entscheidung für eine Teilnahme hänge daran, ob die eigenen Kunden massenhaft in diesem neuen Netzwerk aktiv sind, sowie daran, ob die Plattform sich direkt für die Kommunikation mit den Kunden eigne.
Es sei keineswegs ausgemacht, dass die nun mit viel Vorschusslorbeeren gestartete Plattform Google+ auch wirklich erfolgreich sein werde. Tatsächlich habe Google in genau diesem Markt auch schon Niederlagen einstecken müssen. Wer glaube, in Google+ bereits den legitimen Nachfolger von Facebook oder Twitter erkennen zu können, sollte auf der Hut sein.
Google+ läuft vorerst lediglich im Testbetrieb mit einer kleinen Schar an Nutzern. "Das Projekt kann momentan nur auf Einladung genutzt werden", schrieb Gundotra. Wann es für die Allgemeinheit freigeschaltet wird, ist unklar. Für Branchenkenner wie Dave Winer oder Henry Blodget ist Google+ ohnehin "too little, too late" - ob sie Recht behalten, muss sich zeigen.
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