Interview mit Nicholas Carr

"Google ist der IT-Pionier"

28.03.2008 von Hartmut  Wiehr
Nicholas Carr, Autor von "Does IT Matter?", sorgt mit seinem neuen Buch "The Big Switch" wieder für Furore. Google zeichnet demnach die Entwicklung vor: Bald werden wenige Rechenzentren weltweit die IT der Firmen und Privatpersonen dominieren.

Wie hängt Ihr neues Buch mit dem vor vier Jahren erschienenen ersten Werk "Does IT Matter?" zusammen? Ist es so etwas wie eine Fortsetzung?

Das neue Buch unterscheidet sich sehr stark vom ersten. Es befasst sich mehr mit kulturellen und sozialen Konsequenzen von IT. Doch es gibt natürlich auch eine Verbindung zwischen beiden Büchern: In "Does IT Matter?" untersuchte ich, wie weit die Unternehmens-IT schon durch den Trend zu Commodities gekennzeichnet ist, ob sie schon Standard-Hardware und sogar -software bei sich implementiert und darin der Consumer-Welt folgt, in der sich die IT-Produkte kaum noch unterscheiden.

Eine Ihrer Thesen war, dass Unternehmen, die immer mehr standardisierte Produkte einsetzen, Wettbewerbsvorteile verlieren.

Ja. Im neuen Buch geht es darum, wie diese neuen standardisierten IT-Infrastrukturen allgemein zur Verfügung gestellt werden, ähnlich wie andere Utilities - von salesforce.com über Youtube bis zu Google.

Was veranlasste Sie, ein so breites Themenspektrum aufzugreifen? Was hat sich verändert in der IT-Welt?

Bis vor Kurzem war es so, dass sich die künftige Entwicklung der IT innerhalb der Business-Welt abzeichnete - die Unternehmen hatten das Geld, und sie kauften immer das Allerneueste. Heute ist das ganz anders: Ich glaube, die entscheidenden Veränderungen gehen jetzt von dem aus, was Individuen tun. Ich meine ganz einfach diesen Trend, der mit Web 2.0 umschrieben wird. Das ist ein Consumer-Trend, und viele Leute beschäftigen sich heute nur noch mit Programmen oder Software, die irgendwo in riesigen Rechenzentren installiert sind.

Ihrer Meinung nach hat dieser Trend inzwischen die kleineren Unternehmen erfasst ...

Zumindest in den USA ist das so. Es geht um Unternehmen, die nicht so viel Geld haben, um sich alles selbst anzuschaffen, oder um Schulen und Hochschulen, die mit Google Docs und Ähnlichem arbeiten. Es geht um Software-as-a-Service, die nach tatsächlicher Nutzung oder nach monatlichen Tarifen bezahlt wird, oder um Computer und Browser als Zugang zum Internet - die meisten Jugendlichen halten sich nur noch dort auf, ohne auf ihrem eigenen Rechner viel an Software installiert zu haben.

Erleben wir also gerade einen kulturellen Umbruch?

Exakt. Mein Buch hat den Titel "The Big Switch". Die revolutionären Neuerungen passieren außerhalb der Business-IT.

Aber dahinter stehen doch immer noch große Unternehmen wie Google oder andere, die mit Youtube, Facebook oder Myspace viel Geld machen. Was hat sich da geändert?

Ich behaupte, dass gerade die traditionellen IT-Unternehmen wie Microsoft, SAP, Oracle, HP oder IBM alle in dieses neue Modell investieren, weil sie begriffen haben, dass hier die Innovationen stattfinden. Egal, ob sich dies alles schon bald durchsetzt oder vor den Toren großer Unternehmen Halt macht. Wer anders handelt oder skeptisch bleibt, übersieht die immensen Vorteile dieser Entwicklung: Man muss nicht mehr sein ganzes Geld in eine eigene dezentrale IT reinstecken.

Und all das steht uns unmittelbar bevor?

Nein, keineswegs. Ich spreche von einer lang andauernden Transformation, die sich vielleicht über Jahrzehnte hinziehen wird. Aber die Richtung können wir schon erkennen. Es geht um mehr Alternativen zur klassischen IT, die zu nutzen auch für Unternehmen sinnvoll sein kann. Immer mehr Systeme werden "in the cloud" stehen. Meine These ist: Das ist eine gute Sache. Warum sollte man davor Angst haben?

Werden die Anwender in diesem Modell nicht abhängig von ein paar großen Serviceanbietern?

Sicher braucht man viel Kapital, um die großen Rechenzentren als Mittelpunkt des Cloud Computings zu bauen. Dies wird zu einem weiteren Konsolidierungsprozess bei den Serviceanbietern führen.

Wenige Oligopole werden den Markt bestimmen?

Langfristig ist das sicher richtig. Wir sehen es ja heute schon: Nur ein paar Hersteller dominieren die Märkte.

In Ihrer Argumentation nimmt Google einen besonderen Stellenwert ein. Ist das nicht eine Überbewertung dieses Unternehmens?

Wir wissen nicht, was in der Zukunft mit Google passieren wird. Aber zurzeit ist Google die interessanteste IT-Company, weil sie der Pionier des neuen Modells von IT ist. Und das noch mehr von der technischen Seite aus als unter Business-Gesichtspunkten. Google wird meist nur als dominierende Suchmaschine gesehen, dabei ist das Unternehmen viel mehr: Dort gibt man jedes Jahr mehr als zwei Milliarden Dollar aus, um schnelle, zentralisierte Rechenzentren rund um die Welt zu bauen. Damit errichtet Google im Grunde den größten Computer auf dem Globus.

Google baut sich seine eigene weltweite Infrastruktur.

Richtig. Googles CEO Eric Schmidt hat mehrfach klargestellt, dass Cloud Computing für ihn die Möglichkeit darstellt, mit der eigenen Infrastruktur die Daten vieler Individuen und Unternehmen zu speichern und entsprechende Services anzubieten. Nimmt man weitere Dienstleister hinzu, dann ist das die Zukunft der IT: riesige zentrale Datenspeicher und Rechenzentren. Die historische Parallele dazu ist der Schritt von eigenen Kraftwerken in den Unternehmen zu großen zentralen Energieanbietern.

Was sind die Konsequenzen dieser Entwicklung für die IT-Abteilungen und die Rolle des CIOs?

Vor allem in den größeren Unternehmen wird derzeit ein beträchtlicher Teil des IT-Budgets für den laufenden Betrieb der Infrastruktur ausgegeben. Die entsprechenden Jobs werden meiner Meinung nach weniger werden, die IT-Abteilungen werden schrumpfen. Aber sie werden mehr Bedeutung für das Unternehmen an sich bekommen, für die Einbettung von Informationen in die Geschäftsprozesse. In der Zukunft wird es mehr um die Rolle eines Informations-Brokers gehen, der die externen IT-Dienstleistungen mit den internen verknüpft. Außerdem wird die IT nicht einfacher werden, man denke nur an den Einsatz von komplexen Virtualisierungsszenarien. Hier ist viel Spezialwissen erforderlich. Die IT-Abteilung und die CIOs werden nicht verschwinden, aber ihre Rolle wird sich wandeln.