Mal endet es mit lautstarkem Protest der Nutzer, mal kommt der Tod still und leise - immer aber gehört das Scheitern bei Google zum Konzept. Kaum ein Konzern hat das Prinzip Versuch und Irrtum, derart zur Strategie erhoben wie der US-Internet-Riese. Ob das soziale Netzwerk Orkut, das Gesundheitsportal Health oder die Plattform Google TV, die Liste gescheiterter oder eingestellter Online-Dienste ist lang.
In der Fernsehwelt - immerhin - gelingt Google jetzt ein Comeback: Im zweiten Quartal dieses Jahres will der chinesische Hersteller TPV, der das TV-Geschäft des niederländischen Elektronikkonzerns Philips fortführt, erste Fernseher mit Google-Software auf den Markt bringen.
Den Neustart ins Wohnzimmer dürfte sich Google-Chef Larry Page aber anders vorgestellt haben: Denn TPV nutzt für seine künftigen Flachbildriesen mit Web-Zugang - kurz SmartTV genannt - nicht etwa Googles gescheiterte TV-Plattform. Stattdessen ebnet ausgerechnet das ursprünglich für Smartphones entwickelte Betriebssystem Android den Fernsehern den Weg ins Web. Und es erschließt den Zuschauern zugleich den Zugriff auf Abertausende bisher für Smartphone und Tablet-Computer programmierte Apps.
Was zunächst befremdlich klingt - Handysoftware für artfremde Technik zu nutzen - 'wird immer beliebter. Philips' TV-Sparte ist längst nicht mehr das einzige Unternehmen, das Googles in der Basisversion frei verfügbare Software an die eigenen Bedürfnisse anpasst. So folgte der chinesische Elektronikkonzern Huawei gerade erst dem Beispiel des Startups Ouya und kündigte eine weitere Spielekonsole an, die auf Android basiert.
Auch die Fotoriesen Nikon und Samsung produzieren Kameras, die das Betriebssystem nutzen. Samsung verkauft zudem Kühlschränke mit integriertem Touch-Computer, bei dem Android-Software den Zugriff auf digitale Kochbücher und Apps zum Verwalten der Einkäufe ermöglicht. Auch der Navigationsgerätehersteller Garmin hat mit dem Monterra einen androidbasierten, digitalen Wanderführer im Programm. Selbst Handelsriese Amazon vertreibt mit seinem E-Book-Lesegerät Kindle Fire eine Produktlinie, in der Google-Software den Takt vorgibt.
Damit schickt sich Google an, nicht mehr nur die Computerwelt zu dominieren, sondern auch ganz neue Techniksparten. Es ist ein atemberaubender Durchmarsch: Voraussichtlich schon 2015 wird Android nach Hochrechnung des Marktforschers Gartner in knapp jedem zweiten aller weltweit rund 2,6 Milliarden verkauften PCs und Mobilgeräte stecken. 2012 noch lag Android bei nur 23 Prozent.
Erfolgsgeschichte mit Schönheitsfehlern
Doch diese auf den ersten Blick beeindruckende Erfolgsgeschichte hat ein paar Schönheitsfehler. Einer davon ist ausgerechnet die Welle neuer Android-Geräte fernab des Kerngeschäftes. Denn weil die Hersteller die Basisversion des Betriebssystems nach Gusto umstricken dürfen, können sie auch entscheiden, welche von Googles Diensten der Anwender dabei nutzen kann - oder eben auch nicht.
Das ist für den Internet-Konzern brisant. Denn natürlich hat Google sein Betriebssystem nicht aus Altruismus freigegeben. Vielmehr wollen die Kalifornier so möglichst viele potenzielle Menschen erreichen: Sie sollen die Such- und E-Mail-Dienste nutzen und dem Web-Riesen so Informationen über ihre Interessen offenbaren, sie sollen sich all jene Online-Anzeigen ansehen, mit denen Google Jahr für Jahr Milliarden Dollar umsetzt. Genau das aber gelingt häufig nur eingeschränkt oder auch gar nicht mehr, wenn externe Entwickler Android nach eigenem Geschmack modifizieren.
Besonders radikal gehen die Entwickler des Kindle Fire zu Werke. Dort arbeitet Android komplett im Verborgenen, denn Amazon hat dem E-Book-Reader kurzerhand eine eigene Bedienoberfläche verpasst. Die sperrt nicht nur die meisten Dienste von Google aus, sondern verhindert auch den Zugriff auf dessen App-Laden, den Play Store. Das schmerzt, denn der Internet-Konzern verdient über die Provisionen an allen Verkäufen kräftig mit.
Ähnlich, wenn auch nicht ganz so radikal, gehen die Spieleentwickler von Ouya und Huawei zu Werke. Die haben ihren Daddel-Kisten ebenfalls eigene Benutzeroberflächen verpasst. Aber immerhin können die Besitzer auch auf die darunter liegende Android-Plattform umschalten. Der direkte Zugang zum Play Store ist dem Nutzer aber auch bei der Ouya-Box verbaut.
Und auch im Falle der Philips-Fernseher begrenzt der Hersteller den allzu direkten Zugriff von Google auf die vermarktbare Datenquelle Fernsehzuschauer. Zwar kann der TV-Besitzer Googles Suche nutzen oder sich beim Play Store anmelden, um neue Apps auf seinen Bildschirmriesen zu laden. Doch die für Googles Anzeigengeschäft so interessanten Sehgewohnheiten der Zuschauer übermitteln die SmartTVs nicht an den Internet-Konzern. "Es werden keine Informationen zum Fernsehverhalten über die Android-App-Plattform weitergegeben", versichert Volker Blume, der technische Produktmanager Philips TV bei TP Vision. Es gebe eine klare Trennung zwischen der Wiedergabe des klassischen TV-Programms und Googles App-Bereich.
"Der Kontrollverlust ist der Preis, den Google dafür zahlen muss, dass es seine Software möglichst schnell und auf möglichst viele Geräte bringen will", sagt Annette Zimmermann, Analystin für Mobil- und Unterhaltungselektronik bei Gartner.
Wachstumsfeld Auto
Mehr Reichweite und mehr Kontrolle - das verträgt sich nicht. So entscheiden sich die Kalifornier im Zweifel für das Wachstum. Wobei sich die Zahl von 48 Prozent Marktanteil schon 2015 imposanter liest, als die Realität vermutlich aussehen wird.
Denn schon jetzt ist die Android-Welt in eine Vielzahl von Versionen fragmentiert. Die erschweren es Programmierern zunehmend, ihre Apps auf allen Geräten zum Laufen zu bringen - sehr zum Verdruss vieler Kunden, die schon jetzt auf älteren Geräten viele beliebte Programme nicht mehr nutzen können. "Und das Problem potenziert sich noch, wenn Android nun auch immer häufiger fern des Mobilfunks zum Einsatz kommt", sagt Gartner-Expertin Zimmermann.
Das gilt auch für das jüngste Wachstumsfeld, das die Informationstechnikbranche gerade erschließen will: Autos. Zwar haben Hersteller wie Daimler, BMW oder Audi mittlerweile der ersten Liga ihrer Unterhaltungs- und Navigationssysteme beigebracht, Musik vom Smartphone des Fahrers abzurufen oder eingehende SMS- und E-Mails vorzulesen.
Kaum ein Autobauer aber ging so weit wie Renault. Die Franzosen haben mit R-Link ein Multimediasystem entwickelt, das auf Android basiert. Doch auch dem sieht der Nutzer nicht mehr die Google-Verwandtschaft an. Zudem verhindert Renault den Durchgriff auf die Google-Dienste sowie den Play Store.
Die Antwort des Suchriesen heißt Open Automotive Alliance (OAA) – ein Bündnis unter anderem mit Audi, General Motors, Honda und Hyundai, deren Start die Partner ebenfalls auf der CES verkündet haben. Das Ziel: eine gemeinsame Plattform zu entwickeln, die Android und die zugehörigen Apps in die Unterhaltungssysteme der Fahrzeuge integrieren soll.
Wirklich neu ist die Idee nicht. Ausgerechnet Googles Rivale Microsoft hatte Gleiches vor Jahren mit seiner Windows for Automotive-Plattform versucht und dafür unter anderem Ford und Fiat als Partner gewonnen. Zum Renner aber hat sich das Auto-Windows nicht entwickelt.
Gut möglich - und bei Google wohl strategisch längst einkalkuliert - ist, dass auch die OAA über kurz oder lang das Schicksal so vieler anderer Konzernprojekte ereilt: versucht und gescheitert.
(Quelle: Wirtschaftswoche)