Internationale Projekte steuern

Graustufen im Wella-Standard

03.06.2002 von Horst Ellermann
CIO Hans-Jürgen Hoffmann vereinheitlicht die IT von Wella. Seine Projektleiter predigen in aller Welt die neuen SAP-Templates. Die Landesgeschäftsführer behalten dabei jedoch ihre Freiheiten.

Die drei IT-Friseure ruckeln unruhig in ihren Sesseln. CIO Hans-Jürgen Hoffmann lobt noch einmal, dass er mit Meinhard Hoffmann aus Rio und Ulrich Katte aus Bangkok zusammensitzen konnte. Dann hastet er zum Termin mit einem Kollegen aus Mexiko. Katte muss auch los, zurück nach Thailand. "Bei dem hektischen Projektgeschäft freue ich mich manchmal auf den Flieger", sagt der Projektleiter aus Fernost. "Stimmt", bestätigt Hoffmann, sein Pendant in Brasilien: "Keine Handys - das ist der einzige Moment, in dem ich wirklich Ruhe habe."

Dass die zwei IT-Verantwortlichen ihren Meilenstand hochtoupieren, ist Teil der Strategie ihres Arbeitgebers. Wella produziert in 17 Ländern, hat 48 Tochtergesellschaften und lässt in weiteren 104 Ländern vertreiben. Knapp 80 Prozent des Geschäfts wickelt der Schönheitskonzern im Ausland ab. Im Geschäftsjahr 2001 konnten die Darmstädter mit 3,2 Milliarden Euro knapp 13 Prozent mehr Umsatz verbuchen als im Vorjahr. 17.210 Mitarbeiter massieren global Wella in die Kopfhaut. Internationaler ist nur die UNO.

Hans-Jürgen Hoffmann und seine Mitarbeiter stellt das vor eine schwierige Aufgabe. Sie müssen in der ganzen Welt immer wieder neue Unternehmen in eine IT integrieren, die ohnehin nicht homogen ist. "Vor zehn Jahren konnte bei uns noch jeder machen, was er wollte", sagt der CIO, der seit Ende 1999 bei Wella ist. Dass 20 bis 30 Systeme für das Enterprise Ressource Planning (ERP) schwer zu managen und zu pflegen sind, musste Wella genauso schmerzhaft erfahren wie andere Konzerne. Mittlerweile gibt es einen klaren Vorstandsbeschluss: Wenn ERP, dann SAP. Hoffmann lässt zwar testen, ob die kleineren Gesellschaften ihre Prozesse auch in einfacheren Systemen abbilden können. "Wir setzen auch eine Branchenlösung von Navision ein", sagt der CIO. Aber ansonsten rät der Darmstädter IT-Salon den Töchtern des Hauses einen einheitlichen SAP-Schnitt. Ende letzten Jahres hat sich Wella denn auch für MySAP.com entschieden. Einzelne Produkte wie das E-Procurement laufen bereits seit Mai 2001; das Data Warehouse ist seit Mai 2002 im Einsatz, der E-Shop arbeitet in einem Pilotprojekt.

Freiheiten trotz Vorstandsbeschluss

Doch ein zentralistischer Vorstandsbeschluss zu SAP schafft in einem weltweiten Konzern noch lange keine IT-Harmonie. Die SAP-Systeme müssen auch übereinstimmend konfiguriert werden. "Standardisierung bedeutet für uns eine Vereinheitlichung der Geschäftsprozesse und eine einheitliche Konfiguration der SAP-Systeme. Das ist unser Template-Ansatz", so Hoffmann. In der Regel hätten alle Niederlassungen und Tochter-gesellschaften ihre vorhergehende Software mit allen Funktionalitäten in SAP R/3 abgebildet. Nur im Finanzbereich mussten die IT-Chefs vor Ort sich an Standards halten. Ansonsten hat Wella den Landesgesellschaften viele Freiheiten eingeräumt. "Wir sind auf Konsens ausgerichtet", verkündet Hoffmann - bevor er leise anfügt: "Was nicht heißt, dass wir nicht die Befugnisse hätten."

Um einen Konsens zu erzielen, schickt der CIO seine Mitarbeiter reichlich auf Reisen. Derzeit laufen zwischen 30 und 40 IT-Projekte weltweit, acht davon beschäftigen sich mit ERP. Eins heißt SWAP (SAP Wella in Asia Pacific) - Hoffmanns Modell für den internationalen Einsatz eines Template für Sales and Distribution. Acht Landesgesellschaften von Thailand bis Neuseeland führen gemeinsam einen Prototypen aus Deutschland ein. Ein externer Rechenzentrumsbetreiber in Singapur hostet das Projekt. Alle Landesgesellschaften sind über ein sicheres virtuelles Privatnetz (VPN) miteinander verbunden; Bangkok bildet die Projektzentrale. Nach dem Kick-off im Juni 2001 hat Thailand Anfang Januar als erste Landesgesellschaft live geschaltet. Neuseeland ist vor kurzem gefolgt; bis Ende Dezember sollen auch die anderen fertig sein. "Wir liegen in der Zeit und im Budget-Rahmen", sagt Projektleiter Ulrich Katte.

Keinen Stolz brechen

Ein wesentlicher Grund, warum SWAP die Zeitvorgaben einzuhalten scheint, liegt in der Phase vor dem Kick-off. Projektleiter Katte ist zu allen Geschäftsführern geflogen und hat erst sich und dann das Template vorgestellt. "Ich bin gewarnt worden", sagt der Mann aus Bangkok: "Je weiter weg, umso weniger wollen die Gesellschaften vom Headquarter wissen." Um keine Fronten aufzubauen, trat der Projektleiter deshalb zunächst als Berater auf und half seinen Gesprächspartnern bei der Provider-Wahl, beim Hardware-Kauf oder mit methodischem Wissen zum Projektmanagement. "Das sind Geschäftsführer mit Freiheitsgraden", ergänzt Hans-Jürgen Hoffmann: "Wir schreiben ihnen vor, bei einem Release-Wechsel unseren Standard einzuführen. Aber wann sie wechseln, bestimmen sie selbst." Wer eigene IT-Lösungen gefunden habe und sein Geschäft erfolgreich führt, sei nicht immer begeistert über Ideen aus der Zentrale. "Stolz sind sie alle", sagt Meinhard Hoffmann über die lateinamerikanischen Geschäftsführer. "Stolz sind die Asiaten auch, sie zeigen es nur nicht so", entgegnet Katte.

Überzeugungsrundflüge wie der von Katte werden von der Amerikanerin Jaclyn Kostner, Autorin und Gründerin des Beratungshauses Bridge the Distance, deshalb auch als eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von internationalen Projekten genannt. Bevor ein virtuelles Team die Arbeit über mehrere tausend Kilometer hinweg beginnt, müsse ein Vertrauensverhältnis aufgebaut sein.

Teams entstehen nicht am Telefon

Die Darmstädter und ihre Töchter haben das beherzigt. 16 Teilnehmer aus 13 verschiedenen Nationen kamen zum Kick-off nach Bangkok. Die Gesellschaften haben jeweils zwei Vertreter entsandt, in der Regel einen Mitarbeiter aus der IT und einen aus der Fachabteilung. Außer Australien und Neuseeland haben alle unterschiedliche Muttersprachen eingebracht. "Wir hatten Glück, dass wir in den anderen Ländern immer ein Pärchen gefunden haben, das Englisch konnte", sagt Projektleiter Katte. Meinhard Hoffmann aus Rio lehnt sich an dieser Stelle entspannt zurück. In dem Team, das er gerade zusammenschweißen soll, spielt Sprache nur eine untergeordnete Rolle.

Bei SWAP sind die Ländervertreter nach dem Kick-off-Meeting nicht wieder auseinander gelaufen. Sie arbeiten immer noch nach dem On-off-Prinzip. Das heißt, sie verbringen 14 Tage am zentralen Projektstandort Bangkok und dann eine Woche zu Hause, um die dort angefallene Arbeit zu erledigen. Die Kollegen aus Neuseeland müssen dafür jedes Mal fünf Zeitzonen überspringen. Das Feedback durch die Mitstreiter empfinden sie dennoch als hilfreich für das Customizing. "Die sind wirklich physisch ein Team", so Hans-Jürgen Hoffmann. "Die haben die gleiche Denke. Das schaffen Sie nicht am Telefon."

Um das in Europa erworbene Know-how nach Asien und Lateinamerika zu bringen, sei es notwendig, dass dieselben Leute auch in den dortigen Ländern vor Ort arbeiten. Im Angebot des Beratungshauses KPMG für die SAP-Standardisierung in Lateinamerika schlagen die Reisekosten mit 15 Prozent des Gesamt-Budgets zu Buche. Projektleiter Meinhard Hoffmann stört das wenig: "Wir sparen durch den Wissenstransfer, weil wir so die Ausbildungszeit verkürzen."