Die großen europäischen Lkw-Hersteller hatten 14 Jahre lang ihre Preise abgesprochen, die EU-Kommission brummte ihnen fast vier Milliarden Euro Bußgeld auf. Jetzt verklagen Spediteure in ganz Deutschland das Lkw-Kartell auf Schadenersatz - und das könnte richtig teuer werden. Das mit Abstand größte Verfahren beginnt am Donnerstag kommender Woche vor dem Landgericht München.
Die Klage ist 18.000 Seiten dick, es geht um 827 Millionen Euro Schadenersatz für 85.000 angeblich überteuerten Lastwagen. Erster Erfolg: Neue Bäume auf der Insel Rügen. "Da die Klagen notwendigerweise in Papierform eingereicht wurden, haben wir als Ausgleich Waldaktien beim Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. gekauft", teilte die Klägerin mit: die Firma Financialright claims.
Sie arbeitet mit dem Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) und der US-Kanzlei Hausfeld zusammen und hat sich inzwischen die Ansprüche von mehr als 7.000 Unternehmen mit rund 200.000 Lastwagen abtreten lassen. In einer zweiten Klage in München fordert sie eine weitere halbe Milliarde Euro, eine dritte Klage ist in Vorbereitung.
Hat die Klage Erfolg, behält Financialright rund 30 Prozent der Entschädigung als Provision. Dafür haben die meist mittelständischen Spediteure keinen Aufwand und kein Kostenrisiko - "höchstens, dass sie umsonst in den Keller gegangen sind, um die Kaufunterlagen zu holen", sagt BGL-Sprecher Martin Bulheller.
Bei der 37. Zivilkammer von Richterin Gesa Lutz in München haben sich inzwischen gut 110 Klagen gegen das Kartell aufgetürmt - weit mehr als irgendwo sonst. Viele tausend Spediteure, die Deutsche-Bahn-Tochter Schenker und die Bundeswehr hoffen, durch ihr Urteil Geld zurückzubekommen von MAN, Daimler, DAF, Iveco und Volvo/Renault - und zwar schneller als anderswo.
Zweifel, ob ein Schaden entstanden ist
Alle anderen Gerichte schauen sich in einem ersten Verfahren zuerst einmal grundsätzlich an, ob den Lkw-Käufern überhaupt ein Schaden entstanden sein könnte. Nein, entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf. Ja, urteilte das Oberlandesgericht Stuttgart - aber was das für einen Lkw-Käufer in Euro und Cent bedeutet, wird erst später in neuen Verfahren geklärt werden. Das Münchner Gericht erledigt als einziges in Deutschland gleich beide Fragen in einem Aufwasch.
"Der Prozess kostet viele Millionen, und obwohl das Landgericht München vergleichsweise schnell arbeitet, wird er einige Jahre dauern", sagt Hausfeld-Anwalt Alex Petrasincu. Richterin Lutz hatte bereits in einem ersten, kleineren Lkw-Verfahren klar gemacht, dass Forderungen "ins Blaue" nicht reichen. Die Kläger müssten schon konkret nachweisen, dass ein für 110.000 Euro gekaufter Lastwagen nur 100.000 Euro gekostet hätte, wenn die Hersteller sich nicht über Preise ausgetauscht hätten.
Nachweis schwierig
"Fast kein Lkw ist gleich wie der andere", sagt Bulheller: "Größe, Motor, Sattelzug, Kipper oder Tanklastzug, sieben verschiedene Hersteller, da gibt es tausend Kombinationsmöglichkeiten." Und ein Flottenbetreiber mit 1.000 Lastwagen bekomme natürlich ganz andere Preise als ein Familienbetrieb, der alle zwei Jahre einen Lastwagen kaufe. Und wenn alle Hersteller von 1997 bis 2011 die Preise überhöht haben - wie soll man da heute feststellen, wie der Preis ohne Kartell gewesen wäre?
Der von den Klägern als Gutachter beauftragte Frankfurter Wirtschaftsprofessor Roman Inders hat die Lkw in Schadensklassen eingeteilt. Laut Inders habe das Kartell zu Preisaufschlägen geführt; "in der Spitze deutlich über 10 Prozent", sagt Anwalt Petrasincu.
Das bestreiten die Hersteller entschieden. Die ausgetauschten Bruttolistenpreise hätten im Vertrieb praktisch keine Rolle gespielt, die Käufer individuell ausgehandelte Preise gezahlt, sagt MAN-Sprecher Sacha Klingner. Die EU-Kommission habe ausdrücklich nichts zu den Auswirkungen des Kartells auf den Markt festgestellt. "Wir werden uns gegen unberechtigte Ansprüche entschieden zur Wehr setzen", sagt Daimler-Sprecherin Uta Leitner.
Die Hersteller bezweifeln auch, ob Financialright überhaupt klagen darf, denn Financialright wurde ja auf keinen Fall geschädigt. Diese Frage dürfte beim Prozessauftakt am Donnerstag in München im Mittelpunkt stehen. Das Ergebnis wird auch tausende VW-Fahrer interessieren, die ihr Ansprüche im Dieselskandal an die Firma Myright abgetreten haben. Über die Zulässigkeit dieser VW-Sammelklagen hat ebenfalls noch kein Gericht entschieden. (dpa/rs)