Europas grösstes High-Tech-Vorhaben ist gleichzeitig das derzeit größte Satellitenprojekt der Welt: Vier europäische Unternehmen machen sich bei der Entwicklung des Satellitensystems Galileo daran, mit der politischen Rückendeckung der Europäischen Union ein wichtiges amerikanisches Monopol aufzubrechen. Das Ortungssystem, für das die EU 1,1 Milliarden Euro ausgibt, soll ein Alternativlieferant von Positionsangaben werden, wie sie derzeit nur das Global Positioning System (GPS) liefert.
Wenn das komplette System installiert ist, werden 30 Satelliten in drei Umlaufbahnen in 23000 Metern Höhe eine lückenlose Abdeckung der Erde garantieren. Netzbetreiber können die so gewonnenen Daten nutzen, um Mobiltelefone zu Navigationsgeräten zu erweitern. Auch Logistiker, die ihre Lkw-Flotten steuern, oder Eigner von Fangschiffen, die Fischschwärme verfolgen, sollen zu den Kunden gehören.
Ein in Ottobrunn bei München angesiedeltes Konsortium hat die Aufgabe, die Satelliten zu entwickeln: Galileo Industries wurde im Jahr 2000 von den großen europäischen Raumfahrtfirmen gegründet. EADS ist mit 43 Prozent der Anteile größter Einzelaktionär. Weitere Eigner sind die französischen Alcatel Space und der Italienischen Alenia Spazio mit je 21,5 Prozent, 14 Prozent hält die spanische Galileo Sistemas y Servicios.
Im Herbst soll nun - fast vier Jahre nach der Firmengründung - die Erprobungsphase mit dem Bau des ersten von vier Testsatelliten beginnen. Galileo Industries in die Spur zu bringen kostete viel Zeit. Die schwierige Koordination der internationalen Partner hat schon jetzt dafür gesorgt, dass die Satellitenplanung ein Jahr in Verzug ist. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wie heikel Albrecht Dieterles Job ist. Er ist bei Galileo Industries für Information Management und Security zuständig und muss als politisch sensibler Mittler die sichere Kommunikation zwischen den Partnern organisieren, die ihre Souveränität schätzen und über historisch gewachsene Informationssysteme verfügen.
Internetbasierter Datenraum
In den letzten Monaten hat Dieterle eine Groupware-Lösung aufgebaut, die unter anderem ein Mail- und Ablagesystem für die interne Kommunikation beinhaltet, sodass die Zentralen in München und Rom bruchlos miteinander arbeiten können. Das hielt ihn seit November 2003 in Atem. Im Februar dieses Jahres startete dann die Pilotphase. Nachdem sie im Mai beendet war, läuft das System nun produktiv. "Damit haben wir einen wichtigen Meilenstein erreicht", sagt Dieterle.
Parallel dazu ist ein internetbasierter Datenraum als Schaltzentrale für die Entwicklungsprojekte von Galileo entstanden. Muttergesellschaften, Partner, Lieferanten und die ESA als wichtigster Kunde des Unternehmens nutzen den so genannten "Brainloop Secure Dataroom" für den Dokumentenaustausch. Dazu brauchen die derzeit 90 Anwender nur einen Browser. "Jeder Projektteilnehmer an unseren Standorten nimmt von jedem beliebigen Arbeitsplatz aus ohne besondere Softwareinstallation am Austausch komplexer, vertraulicher Geschäftsdokumente und Projektinformationen teil", sagt Dieterle. "Eine der bereits bei den Partnern vorhandene Lösung zu vervielfältigen wäre wegen des hohen Schulungs- und Betriebsaufwand unverhältnismäßig gewesen."
Austausch unter Konkurrenten
Leicht war es nicht, die Regeln für den Projektraum aufzustellen: In einigen Bereichen kooperieren die Galileo-Eigner, in anderen sind Unternehmen wie Acatel Space oder EADS nach wie vor Konkurrenten. Dieterle musste also nicht nur dafür sorgen, dass kein externer Industriespion im Datenraum sein Unwesen treibt. Er musste vielmehr auch gewährleisten, dass die internen Partner sich beim Austausch von Projektinformationen gegenseitig nicht zu tief in die Karten schauen. Alle vier Unternehmen bringen sensibles technisches Know-how in die Zusammenarbeit ein, wollen aber natürlich nicht gleichzeitig wichtige Betriebsgeheimnisse preisgeben, wo nur Schnittstellenspezifikationen ausgetauscht werden müssen.
Alle Dokumente, die im Rahmen des Datenraumes ausgetauscht werden, sind deshalb vollständig und durchgängig verschlüsselt. Nur ein Teil wird jeweils für bestimmte Nutzer freigeschaltet. Dazu laden die jeweiligen Projektverantwortlichen Externe in ihre virtuellen Arbeitsgruppen ein und vergeben die Nutzerrechte. "Es ist ein Kompromiss zwischen Flexibilität und Sicherheit", sagt Dieterle über die Lösung, die viel Sicherheit gewährt, aber nicht militärischen Sicherheitsanforderungen genügen würde. Auch sie fallen im Rahmen der Satellitenentwicklung an, als geheim klassifizierte Informationen werden sie aber nicht über das Netzwerk ausgetauscht. Sie erreichen die Adressaten nach wie vor durch spezialisierte Kuriere.
Der Datenraum wird von der Brainloop AG aus München in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom als ASP-Lösung betrieben. Der Dienst läuft physisch in einem Hochsicherheitszentrum in Kiel. Dass Galileo hier auf Auslagerung setzt, ist kein Zufall, sondern Strategie. Galileo Industries verfolgt das "totale Outsourcing", wie Dieterle sagt. Die Standorte München und Rom werden von einer dreiköpfigen Minimannschaft betreut, während sich die IT-Dienstleister nicht nur um den Projektraum, sondern um den gesamten Betrieb und die Anlagen von Galileo Industries kümmern.
Aus diesem Grund stört Dieterle auch nicht, dass Galileo als Unternehmen vor einer rasanten Entwicklung steht, wenn sich die Hoffnungen der EU erfüllen. Durch neue, satellitengestützte Dienste sollen der Europäischen Kommission zufolge neue Märkte mit 100 000 Arbeitsplätzen entstehen, etliche davon bei Galileo Industries. "Für uns macht es technisch keinen Unterschied, ob wir 90 oder 900 Nutzer haben", sagt Dieterle. "Nur das Lizenzmanagement, das wird natürlich dann komplizierter."