Die mageren Jahre sind vorbei, die Zeichen im IT-Services-Markt stehen wieder auf Wachstum. 2006, so eine Prognose des Marktforschers Tech Consult, werden deutsche Unternehmen 20,6 Milliarden Euro für ITK-Services ausgeben. Im Vergleich zum Vorjahr ein kräftiges Plus von 5,9 Prozent. Anders als in den vergangenen Jahren stehen mittlerweile für fast alle Teilsegmente, also auch für die Bereiche Beratung und Implementierung, die Zeichen auf Grün:Tech Consult prognostiziert für das IT-Consulting einen Zuwachs von 3,5 Prozent von 2005 zu 2006, für die Implementierung und Systemintegration sogar 4,1 Prozent
Bisher hatte allein der Bereich Outsourcing mit Zuwachszahlen von vier und mehr Prozent glänzen können. Die anderen Bereiche stagnierten oder schrumpften. Nach dem Ende des Dot-Com-Booms waren IT-Consulting und Implementierungsgeschäft samt Honorarsätzen unter Druck geraten. Ein Prozess, der nach Einschätzung vieler Analysten im vergangenen Jahr seinen Höhepunkt erreicht hat.
Nun ist die Trendwende offenbar geschafft. Zwar sind die Tage der großen Implementierungsprojekte unwiederbringlich vorbei, doch jetzt beginnen die Anwenderunternehmen damit, ihre bestehenden IT-Landschaften auf Vordermann zu bringen. „Die Firmen haben über Jahre hinweg sehr wenig in ihre IT investiert“, sagt Heinz Streicher, Senior Consultant bei Lünendonk. „Jetzt beginnen sie damit, die IT-Budgets wieder hochzufahren. Der Druck ist einfach zu groß geworden.“
Konsolidierung ist das große Thema
Der große Treiber ist – zumindest derzeit noch – die Software: Dem Branchenverband Bitkom zufolge soll hierzulande dieser in den nächsten zwei Jahren um je 5,5 Prozent zulegen. „Beim Gros der Anwender ist Konsolidierung nach wie vor das große Thema“,sagt Heiko Miertzsch, Analyst bei Tech Consult. „Auch die Standardisierung steht bei vielen immer noch ganz am Anfang.“
Glück für die Anbieter: Die Bereitschaft des Managements, externe IT-Berater hinzuzuziehen, ist immer noch hoch. In einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Managementforschung (DGMF) gaben fast alle (98 Prozent) der befragten Top-Manager an, dass sie in IT-Fragen durchaus für die Dienste von IT-Consultants offen seien.
Allerdings hat sich der IT-Services-Markt seit den Tagen des Dot-Com-Booms dramatisch verändert. Treiber und Akteure sind heute andere als vor vier Jahren. Die wohl deutlichste Verschiebung zeigt sich in der stetig wachsenden Bedeutung des Outsourcing- Geschäfts. Je nachdem, wie die verschiedenen Analysten den Markt aufteilen, liegt die Vergabe von Aufgaben und Prozessen an Dritte schon heute mit dem klassischen Projektgeschäft gleichauf, manchen Analysten zufolge hat sie es längst überholt.
Ein Grund: Die Firmen wollen sparen. „Viele Anwenderunternehmen haben in den vergangenen Jahren Investitionskosten gescheut und Teile der IT lieber an externe Dienstleister abgegeben“, so Heinz Streicher von Lünendonk.
Die Prozesse verlassen das Haus
Und die Bedeutung des Outsourcing wird weiter steigen. Längst geht es nicht mehr nur darum, sein Rechenzentrum auszulagern. Die Anwender entdecken das strategische Potenzial des Geschäfts: „Outsourcing kann auch dabei helfen, interne Prozesse zu transformieren“, sagt Andreas Burau von der Experton Group, einem Team ehemaliger Mitarbeiter der von Gartner aufgekauften Meta Group. Die Notwendigkeit, die internen Abläufe an externe Schnittstellen anzupassen, bringt frischen Wind in die IT-Abteilungen.
Zum Teil weht der Wind so stark, dass er die Prozesse ganz aus dem Unternehmen hinausbläst: Dem bisher zarten Pflänzchen Business Process Outsourcing (BPO) werden für die nächsten Jahre deutlich zweistellige Zuwachsraten vorhergesagt. Für die klassischen IT-Service-Themen Beratung und Implementierung bedeutet das nicht das Ende. Sie werden immer öfter im Paket mit Outsourcing angeboten und nachgefragt.
Hier haben vor allem die großen Akteure im Markt die Nase vorn. Sie weiten ihre Portfolios immer weiter aus und sprengen zunehmend die Grenzen zwischen Projekt- und Services-Geschäft. Eine Herausforderung für kleinere und mittlere Anbieter, denn der Outsourcing-Boom knabbert an ihrem traditionellen Beratungs- und Implementierungsgeschäft.
ERP hat seinen Zenith überschritten
Verschiebungen gibt es aber nicht nur bei den Geschäftsmodellen der Dienstleister, sondern auch bei den Inhalten. Beispiel Beratermarkt: „In den vergangenen zehn Jahren war das Implementierungsgeschäft ein wichtiger Impuls für das IT-Consulting“, sagt Nicole France, leitende Analystin bei Gartner.
Die Anbieter sangen das Hohelied von ERP und Co. – und die Firmen griffen beherzt zu. „Speziell dieser Markt hat einen hohen Sättigungsgrad erreicht“, so France. Branchen wie die herstellende Industrie sind fast komplett versorgt. In der Folge wird den Anbietern das klassische Beratungs-und Implementierungsgeschäft langfristig wegbrechen.
„Sicherlich wird es noch Restrukturierungsprojekte geben, die die Effizienz steigern oder andere Applikationen ersetzen sollen.“ Doch diese würden künftig die Ausnahme sein, nicht die Regel. Freilich können ERP-Berater momentan noch gut von den Unternehmensanwendungen leben. Der DGMF zufolge wird derzeit immer noch der Löwenanteil der Beratungsbudgets für ERP ausgegeben: pro Jahr immerhin 3,3 Milliarden Euro.
Die derzeit zweitwichtigsten IT-Beratungsthemen Enterprise Application Integration sowie Finanz- und Risikomanagement können gerade einmal gemeinsam dieses Volumen aufbringen.
Ohne Business Case läuft nichts
Allerdings hat das Thema Enterprise Ressource Planning seinen Zenith überschritten. In der DGMF-Studie verwiesen die befragten Anwenderfirmen das Thema ERP beim Stichwort Budgeterhöhung auf den letzten Platz. Mehr als ein Drittel will sein ERP-Budget einschränken. Stattdessen sollen die Gelder vor allem in die Bereiche IT-Sicherheit, Mobile Business und Supply Chain Management fließen.
Wie stark die geplante Kürzung der ERP-Budgets tatsächlich ausfällt, ist allerdings offen: Zum einen ist die Ankündigung nicht neu. Zum anderen vereinnahmt ERP immer mehr früher eigenständige Themen wie das Customer Relationship Management, Finanzen oder das Supply-Chain-Management. Die Folge: „Nach der Konsolidierung ist vor der Konsolidierung“, wie es Heiko Miertzsch von Tech Consult ausdrückt.
Für die Anbieter brechen insgesamt also bessere Zeiten an, die aber nach ganz anderen Qualifikationen verlangen. So wachen die Firmen inzwischen mit Argusaugen darüber, ob, wann und wie sich Investitionen in die IT rechnen. „Es kann ja durchaus sein, dass drei Jungs aus der IT-Abteilung das Konzept der Service-orientierten Architektur (SOA) ganz super finden“, sagt Nicole France.
„Aber sie entscheiden nicht über die großen Budgets. Die Entscheidung fällt im Vorstand. Und der fragt: Was bringt uns SOA? Hilft es uns dabei, dass wir uns schneller und besser an neue Anforderungen im Markt anpassen können? Der Profit steht im Mittelpunkt.“
Das Geschäft des Kunden verstehen
In vielen Firmen, so France, sei es mittlerweile Usus, von IT-Anbietern gleich einen detaillierten Business Case zu verlangen, bevor überhaupt entschieden wird, ob ein IT-Projekt gestartet wird oder nicht. „Nicht nur deshalb ist es absolut notwendig, das Geschäft des Kunden zu verstehen.“
Vertikale Spezialisierung, kurz Branchen- Know-how, ist für viele IT-Anbieter der Schlüssel nicht nur zum Überleben, sondern zum Erfolg. Bei der Auswahl von IT-Beratern spielen Prozess- und Branchenkompetenz des Anbieters die zweit- beziehungsweise drittwichtigste Rolle, wie die Studie des DGMG zeigt.
Wichtiger ist den Anwendern nur noch die Nachhaltigkeit der Beratungsleistung. „In Zeiten des Booms haben viele Anbieter eine Strategie der De-Fokussierung betrieben“, sagt Andreas Burau von der Experton Group. „Jetzt müssen sie sich wieder stärker spezialisieren.“
Die Geschäftsprozesse sind mittlerweile der Ausgangspunkt von IT-Projekten – nicht ihr Ende. Es sind die Anbieter, mit deren Hilfe beispielsweise die Energieversorger oder Banken gesetzliche Bestimmungen umsetzen wollen und müssen. Der hochregulierte Banken- und Versicherungssektor ist mit einem Anteil von 27 Prozent nach der Industrie zweitgrößter Umsatzbringer für Deutschlands IT-Berater und Systemintegratoren.
Anbieter positionieren sich neu
Die Entwicklung hat auch Folgen für die Preisgestaltung. Momentan dominieren traditionelle Vergütungsregelungen, wie Berlecons Chef-Analyst Torsten Wichmann berichtet: „Erfolgsbasierte Vergütungsmodelle kommen nur in sieben bis zehn Prozent der IT-Projekte zum Einsatz.“ Allerdings erarbeiten immer mehr Firmen Alternativen, bis hin zur Kopplung der Vergütung an den Umsatz.
Entsprechend müssen die Anbieter die Geschäftsmodelle ihrer Kunden verstanden haben. „Viele IT-Anbieter haben auf die Entwicklung bereits reagiert“, sagt Wichmann. „Durch Neuausrichtung, Einsparungs- und Konsolidierungsmaßnahmen haben sie sich an die Marktlage angepasst.“
Dabei konnten kleinere Anbieter dank geringerer Größe flexibler reagieren und vorbauen. Bei einer Anbieterumfrage von Lünendonk gaben die kleinen bis mittelgroßen IT-Berater und Systemintegratoren an, dass sie zwischen 2005 und 2010 mit jährlichen Umsatzzuwächsen von durchschnittlich 9,6 Prozent rechnen. Die Top Ten der Branche schätzen ihr Umsatzplus für denselben Zeitraum auf 8,3 Prozent.
Die Davids unter den Anbietern haben allerdings gar keine andere Wahl, als sich zu differenzieren und zu spezialisieren: „Im Bereich Anwendungsentwicklung und Integration müssen Unternehmen, die hier mit Standardpaketen auf den Markt kommen, langfristig mit ernsthafter Konkurrenz aus den Billiglohnländern rechnen“, sagt Heiko Miertzsch von Tech Consult.
Offshore-Anbieter kommen nur für wenige in Frage
Im Moment zumindest müssen sich die Anbieter allerdings noch nicht davor fürchten, vom Dumping-Angebot eines indischen Anbieters ausgebootet zu werden. „Offshore-Anbieter kommen zurzeit nur für wenige deutsche Anwenderunternehmen in Frage.
Das sind in der Regel Großunternehmen, die einen gewissen Grad an Standardisierung und Qualität der internen IT und Prozesse erreicht haben. Der durchschnittliche Mittelständler sollte davon die Finger lassen“, stellt Tech Consults Heiko Miertzsch klipp und klar fest.
Noch haben die Platzhirsche also gute Karten. „Ein Spezifikum des deutschen Markts ist seine regionale Fragmentierung“, sagt Gartner-Analystin France. Anders als in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA gebe es hier zu Lande kaum zentralisierte Strukturen. „Lokale und regionale Beziehungen spielen hier eine wichtige Rolle. Ausländische Anbieter müssen das verstehen.“ Und eine Menge Bares mitbringen: „Wer hier als ausländischer Dienstleister die kritische Masse erreichen will, muss kräftig investieren.“
Dabei ist das Marktpotenzial durchaus verlockend. Vor allem der Mittelstand steht im Zentrum der Begehrlichkeiten. Andreas Burau von der Experton Group sieht vor allem im Segment der Anwender, die zwischen 50 und 500 Millionen Euro umsetzen, also dem gehobenen Mittelstand, noch Potenzial. „Hier gibt es beispielsweise in den Bereichen Standardsoftware und Security noch einigen Nachholbedarf“, so Burau.
Das wissen auch die ganz großen Anbieter und versuchen bei den Mittelständlern zu punkten. Viele von denen haben allerdings
noch Berührungsängste vor Geschäften mit den Riesen. „Das ist durchaus verständlich“, findet Nicole France. „Schließlich wollen die Anwender auf Augenhöhe mit dem Anbieter arbeiten.“
Beide Modelle überleben
Das hat meistens die Folge, dass mittelständische Firmen mit mittelständischen Dienstleistern arbeiten. Die zehn größten IT-Beratungs- und Systemintegratoren Deutschlands vereinen derzeit nur gut ein Drittel des gesamten Marktvolumens von fast 14 Milliarden Euro auf sich. Der Rest wird von den vielen hundert kleineren und mittleren Anbietern abgedeckt.
Angesichts der Herausforderungen, die die Anbieter zu meistern haben, wird der Markt nach Einschätzung der meisten Beobachter von weiterer Konsolidierung allerdings nicht verschont bleiben. Sie wird aber nicht zwangsläufig nur die kleineren und mittleren Dienstleister betreffen. „Ich denke“, so Andreas Burau von der Experton Group, „dass beide Modelle, die Spezialisierung und die Generalisierung, überleben werden. Nicht jedoch die Position zwischen den Stühlen.“