"In den ersten zwei Tagen nach Erscheinen unserer Stellenanzeige besuchten fast 500 Personen unsere Webseite", erzählt Hans-Joachim Neher, Geschäftsführer der DCS Dialog-Computer-Software GmbH in Darmstadt. Die Google Analytics-Daten zeigten außerdem, dass viele Besucher länger als eine Viertelstunde auf der Webseite verweilten.
Umso überraschter war Neher, als er die Bewerbungen als "Assistent(-in) der Geschäftsführung" sichtete. Von den über 100 Bewerbern, fast ausschließlich Frauen, ging höchstens ein Viertel auf den Text der Stellenanzeige ein. "Bei vielleicht einem Dutzend der Bewerbungen merkte man, dass unsere Webseite überhaupt besucht wurde."
In allen Bewerbungsratgebern steht: "Nehmen Sie im Anschreiben Bezug auf die Stellenanzeige. Zeigen Sie, dass Sie sich über das Unternehmen informiert haben." Trotzdem tut dies das Gros der Bewerber nicht. Meist versenden sie an alle Unternehmen weitgehend dasselbe Standard-Anschreiben. "Und dann jammern sie, dass sie nur Absagen erhalten", kritisiert Meera Gandbhir von der Personalberatung Conciliat in Stuttgart. "Wer sich so wenig Mühe gibt, erhält zu Recht eine Absage."
Checken und prüfen
Nicht oft genug kann betont werden, dass Sie als Stellensucher ausreichend Zeit und Energie auf das Formulieren des Anschreibens verwenden sollten. "Das gilt insbesondere für wirklich attraktive Stellen, auf die sich viele Personen bewerben", betont Bernadette Imkamp, Leiterin Personalbetreuung und -marketing bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall. "Mit dem Anschreiben können sich Bewerber positiv von Mitbewerbern abheben, die einen ebenso qualifizierten Lebenslauf haben."
Wer sich positiv abheben möchte, muss zunächst die Grundanforderungen erfüllen. Das ist oft nicht der Fall, kritisiert Markus Vogel, Personalauswahlexperte beim Bildungsdienstleister Provadis, Frankfurt. Firmenvertreter seien immer wieder erstaunt, wie oft sogar die Anschreiben von Akademikern vor Rechtschreibfehlern strotzten. In auffallend vielen Bewerbungen befänden sich sogar noch die Namen "fremder Unternehmen und Ansprechpartner". Deshalb wiederholt Vogel einen Rat, den jeder Bewerber verinnerlicht haben sollte: "Lassen Sie das Anschreiben nach dem Verfassen noch einen Tag liegen und lesen Sie es dann erneut Korrektur, am besten lassen Sie es vor dem Versenden noch von Freunden oder Verwandten gegenlesen."
Floskeln vermeiden
Firmenvertreter merken auch negativ an, dass die meisten Bewerber im Anschreiben nur die Floskeln aus den Stellenanzeigen wiederholen. Stehen darin zum Beispiel die Vokabeln "teamfähig" und "kommunikativ", dann findet man sie auch in den Anschreiben. Nur wenige Bewerber übersetzen die Begriffe und beziehen sie auf die angestrebte Position. Zum Beispiel mit einer Aussage wie: "Es fällt mir leicht, Menschen zu kontaktieren" - eine Aussage "mit der zum Beispiel viele Bewerber um eine Stelle im Verkauf und Service punkten würden", weiß Kommunikationsexperte Ingo Vogel aus Esslingen. Der Autor des Buches "So reden Sie sich an die Spitze" empfiehlt Stellensuchern konkret zu werden, wenn es darum geht, was Sie für eine Stelle qualifiziert.
Ähnlich äußert sich Julia Laas, Leiterin Personalmarketing bei der Allianz Versicherungsgruppe. Als "wenig zielführend" erachtet sie eine Aussage wie: "Mich interessiert die Arbeit in Versicherungen." "Denn mich interessiert auch vieles", sagt sie. "Deshalb mache ich es aber nicht zu meinem Beruf." Stärker würde Laas interessieren, was genau den Bewerber an der Arbeit für ein Versicherungsunternehmen reizt und warum er sich für die Allianz entschied.
Dosiert Selbstvertrauen zeigen
Zu viel Konkretion kann auch schaden. Das war bei einer jungen Frau der Fall, die sich bei Neher als "Assistentin der Geschäftsführung" bewarb. Sie schrieb im Anschreiben: "Ich habe auf der Startseite Ihrer Webseite zwei Rechtschreibfehler entdeckt. Welche? Das sage ich Ihnen im Vorstellungsgespräch." "Die Frau müssen wir einladen", war die spontane Reaktion von Neher. Denn der neue Mitarbeiter sollte auch fit in Sachen Rechtschreibung sein. Zudem strahlte diese "kecke Formulierung" Selbstbewusstsein aus. Als Neher die Frau im Vorstellungsgespräch nach den Rechtschreibfehlern fragte, zeigte sich, dass diese gar keine waren. Damit war das Vorstellungsgespräch "gelaufen".
Personalberaterin Meera Gandbhir rät Bewerbern daher: "Lehnen Sie sich mit Ihren Selbstaussagen nicht zu weit aus dem Fenster. Spätestens im Vorstellungsgespräch merken die Personalverantwortlichen, ob sie tatsächlich so fit, kommunikativ und selbstsicher sind, wie behauptet."