Manche Pleiten tun nicht nur den Mitarbeitern weh, deren Arbeitsplatz gefährdet ist. Die Nachricht vom Aus der traditionsreichen Nürnberger Grundig AG haben hierzulande viele mit Wehmut vernommen, schließlich hat die Firma als einst führendes High-Tech-Unternehmen die deutsche Nachkriegsgeschichte geprägt. Doch da seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Juli 2003 alle Unternehmensteile einen Käufer gefunden haben, hellt sich die Stimmung wieder auf. Am Standort Nürnberg jedenfalls wird weiter fleißig gearbeitet - und die IT hat alle Hände voll zu tun, um den Betrieb am Laufen zu halten.
Zwar stand mit der Pleite des einst 38 000 Mitarbeiter zählenden Unterhaltungselektronik-Riesen auch die Existenz der IT in Frage. Gleichzeitig aber musste das Funktionieren der Systeme zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein, damit alle Geschäftsprozesse aufrechterhalten werden konnten. Denn es zählt zur obersten Pflicht des Insolvenzverwalters, im Sinne der Gläubiger so viel Profit wie möglich herauszuholen. Die unterbrechungsfreie Weiterführung war unter den gegebenen Umständen nicht einfach, wie Gerhard Regn, Ex-CIO des fränkischen Unternehmens, schildert: "Einerseits mussten wir schmerzhafte Einschnitte beim Personal vornehmen und um 50 Prozent reduzieren, gleichzeitig waren wir gefordert, neben der Aufrechterhaltung der bestehenden Systeme für den Geschäftsbetrieb auch noch zusätzliche Services für die Abspaltung von Unternehmensteilen sowie neue Funktionen für die Insolvenzverwaltung einzuführen."
Es liegt wohl auch am zügigen Verkauf der einzelnen Unternehmensbereiche, dass die zerschlagene Grundig-Organisation und vor allem die IT mit einer erstaunlichen Kontinuität weiterarbeiteten. Im Herbst 2003 wurde zunächst die Grundig Entertainment Network verkauft. Im zweiten Schritt ging die Automobilsparte Car Intermedia Networks an den weltgrößten Automobilzulieferer Delphi. Im Januar 2004 wechselte die Grundig Business Systems zur Induc AG, und der wichtigste Bereich Grundig Home Intermedia Systems ging an das türkisch-britische Konsortium Alba/Beko. Im Mai schließlich folgte als Letztes die Satellitensparte, die per Management-Buy-out eigenständig wurde.
Die Aufspaltung war bereits zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens absehbar. Entsprechend kamen Regn und Insolvenzverwalter Siegfried Beck überein, dass auch ein Fortbestand der IT als interner Shared-Services-Dienstleister für eine Gesamtorganisation nach bisherigem Muster ausgeschlossen war und eine alternative Lösung gefunden werden sollte. Gemeinsam mit Beck und dem Grundig-Vorstand legte Regn die Marschroute fest. Für die IT sollte ein Käufer gefunden werden, der drei Dinge zusichern musste: eine Standortgarantie für Nürnberg, die Übernahme möglichst aller Mitarbeiter, und drittens sollten die Dienstleistungen für die nun externen Kunden wie bisher erbracht werden, um einen kontinuierlichen Übergang zu ermöglichen.
Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen zeichneten sich komplexe Vertragskonstrukte ab: Es galt, Regelungen mit dem Insolvenzverwalter, den Mitarbeitern und schließlich den neuen Kunden zu finden. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Suche nach einem übernahmewilligen IT-Dienstleister, denn dieser musste die Bedingungen akzeptieren, ohne dass man ihm einen langfristigen Outsourcing-Vertrag in Aussicht stellen konnte. Einige etablierte Anbieter wie IBM oder Hewlett-Packard hätten denn auch gleich abgewinkt, so Regn. "Ich habe mich deshalb bei der weiteren Suche auf Dienstleister konzentriert, die entweder ein Interesse daran hatten, den Namen Grundig auf die Referenzliste zu bekommen, oder die unser Know-how und unsere Infrastruktur übernehmen wollten." Schließlich wurden mit vier Interessenten ernsthafte Verhandlungen geführt.
Thales IS bietet gegen Lufthansa Systems
Lufthansa Systems (LHS) und Thales IS waren bis zuletzt im Rennen, allerdings erwiesen sich einige Konditionen der LHS für Grundig als inakzeptabel. So sollte es beispielsweise nur befristete Arbeitsverträge mit zunächst 24, dann 36 Monaten geben. Auch die Standortgarantie wäre nur über 36 Monate gelaufen, wobei von vornherein eine Verlagerung des Rechenzentrums nach München geplant war. Somit fiel die Entscheidung schließlich für Thales - nicht zuletzt, weil der Dienstleister in der Lage war, die Organisation zunächst unverändert zu übernehmen. Die Franzosen planen, den Standort Nürnberg als Zentrum für ihre Outsourcing-Aktivitäten in Deutschland auszubauen.
Unter dem neuen Dach setzt Regn, jetzt für Thales als Leiter Service Delivery Outsourcing in Deutschland tätig, auf strategische Kontinuität. Die Grundstruktur des bisherigen Zentralbereichs Informationstechnologie der alten Grundig AG bleibt vorerst im Wesentlichen bestehen. Sie setzte sich zusammen aus den fünf Bereichen Controlling, Security, Infrastruktur, SAP Application und Engineering Data Management. Letzteres wurde jedoch zum 1. März komplett an Delphi/CIS transferiert, weil dort der Bereich Car Audio über eine sehr große Entwicklungsmannschaft mit hohem Support-Bedarf verfügt, während die anderen Einzelfirmen kaum mehr Entwicklungsarbeitsplätze haben.
Wichtigstes Asset der Grundig IT war und ist das SAP-R/3-System - hinsichtlich der Unterstützung aller wesentlichen Prozesse wie auch der personellen Ausstattung. Im Rahmen der Neuausrichtung der IT auf separate Geschäftsbereiche muss Regns Mannschaft hier den größten Aufwand betreiben. Als Hauptproblem hat sich dabei die vorhandene Datenstruktur erwiesen. Unter dem einheitlichen Konzerndach der Grundig AG war als oberste Hierarchieebene lediglich ein Mandant notwendig, darunter waren verschiedene Buchungskreise angelegt. "Wir mussten nach der Zerschlagung des Unternehmens ein Mandanten-Split-Projekt starten, bei dem die Buchungskreise der einzelnen Bereiche herausgetrennt und in neue Mandanten überführen werden."
Dabei geht es weniger um Datensicherheit als vielmehr um das Separieren bisher gemeinsam genutzter Grunddaten wie Materialstamm, Bauteilebezeichnungen oder Kreditoren und Debitoren. Erst mit der neuen Mandantenstruktur können die Einzelunternehmen auch nach und nach eigene Strukturen einführen.
Offene Fragen gab es bis zuletzt noch um die konkrete technische Durchführung. Ein von SAP angebotenes Verfahren erschien in der bisherigen Form als ungeeignet. SAP sah vor, einen oder mehrere Mandanten aus einem bestehenden herauszulösen und auf eine andere, externe Hardwareplattform zu übertragen. Nach Gesprächen erklärten sich die Walldorfer bereit, auch das von Grundig bevorzugte Splitting-Verfahren auf Basis der bestehenden Systemumgebung zu unterstützen. Die Beibehaltung der vorhandenen SAP-Hardware ist Regn vor allem wegen ihrer ungewöhnlich hohen Stabilität sehr wichtig: Die auf zwei Rechenzentren verteilte Cluster-Lösung mit HP-Alpha-Maschinen und dem True-64-Unix-System glänzte in den vergangenen 15 Monaten mit 100 Prozent Verfügbarkeit - ein Wert, von dem viele Organisationen nur träumen.
In Frage kam für den Split auch eine alternative Lösung des im thüringischen Thale ansässige Dienstleisters Thebis, der mit der Thebis Conversion Workbench ein eigenes Verfahren zur Mandantenmigration anbietet. Dabei werden die Daten zunächst kopiert und dann im Quellmandanten gelöscht. Nach Regns Ansicht hat das SAP-Verfahren den Vorteil, dass die Datenbank logisch aktualisiert würde, ohne vom Datenvolumen her stark anzuwachsen. Dieser Aspekt ist wesentlich, weil sich die auf Oracle laufende SAP-Datenbank bei Grundig mit einer enormen Größe von 1,4 Terabyte bereits nahe am Limit der Hardwareressourcen bewegt. Vom Aufwand her veranschlagt Regn für den Mandanten-Split 400 Manntage, die sich die Grundig-IT und der externe Anbieter, der den Zuschlag erhält, teilen sollen.
Von 2000 auf 700 SAP-Nutzer
Hier denkt Regn aber bereits an die Zukunft. Wenn die Bildung kleinerer Mandanten erfolgreich abgeschlossen ist, kann er sich eine Plattformmigration auf kleinere, kostengünstigere Systeme vorstellen. Mit dem Rückgang der SAP-Anwenderzahl von einst 2000 auf 700 steht nämlich letzten Endes auch die Existenzberechtigung des großen HP-Systems in Frage.
Noch beschäftigen sich die einzelnen Grundig-Nachfolgeunternehmen mit den Nachwehen der Insolvenz, jeder Geschäftsbereich ist vorrangig um das eigene Fortbestehen bemüht. Verständlich, dass unter diesen Bedingungen keine IT-Projekte in Angriff genommen werden. Doch Regn ist guter Dinge, dass es mit den Grundig-Nachfolgern wieder bergauf geht - er rechnet damit, dass sein Unternehmen bereits im zweiten Halbjahr wieder mit Planungen für neue Geschäftslösungen beauftragt wird.