IT-Manager wetten

Hamburg: Verwaltung neu denken

21.08.2019 von Christian Pfromm
Christian Pfromm wettet, dass im Jahr 2024 in Hamburg die Hälfte aller Behördengänge digital abgewickelt wird.
Christian Pfromm ist CDO der Freien und Hansestadt Hamburg.
Foto: Stadt Hamburg

Während manche mit der Digitalisierung einhergehenden technologischen Neuerungen mit viel Getöse ihren Platz in der Gesellschaft suchen, schleichen sich andere fast unbemerkt in sämtliche Facetten unseres Alltags. Ins Flugzeug kommen wir ohne Papier dank Online-Check-in und Boarding-Pass auf dem Smartphone; unsere Bankgeschäfte und Einkäufe erledigen wir rund um die Uhr online, und intelligente Sprachassistenten begleiten uns wie selbstverständlich durch den Tag.

Auch unser Kommunikationsverhalten hat sich durch die Digitalisierung verändert. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf die jüngeren Generationen, deren bevorzugtes Kommunikationsmedium Messenger-Dienste sind und nicht mehr das klassische Telefonat.

Die Digitalisierung hat unsere Gewohnheiten bereits wesentlich geprägt, aber auch unsere Erwartungshaltung verändert. Je mehr die digitale Durchdringung des Alltags voranschreitet, desto höher wird der Anspruch, dass Digitalisierung das Leben leichter macht und mehr Zeit für die "schönen Dinge" im Leben ermöglicht.

Verwaltungshandeln wirkt sich auf fast alle Lebensbereiche von Bürgerinnen und Bürgern aus. Verwaltung muss darauf reagieren, wie sich ihr Verantwortungsbereich in einer digitalisierten Welt verändert. Hamburg hat sich vorgenommen, das Innovationspotenzial neuer Technologien zu nutzen, um in allen Bereichen der Stadt die Lebensqualität und die wirtschaftliche Attraktivität weiter zu verbessern.

Digitalprojekte in Hamburg

Bei der Mobilität geht es zum Beispiel um einen verlässlichen, sicheren, effizienten und umweltfreundlichen Verkehr und wie wir ihn mit digitalen Mitteln unterstützen können. Um dieses Ziel zu erreichen, leisten zahlreiche Projekte ihren Beitrag. Dies reicht von einer geplanten neun Kilometer langen Teststrecke in Hamburgs City für automatisiertes und vernetztes Fahren über On-Demand-Shuttles als Ergänzung zum ÖPNV bis hin zur automatisierten Verkehrsmengen­erfassung in Echtzeit, um eine aktuelle Verkehrslage sowie tageszeitabhängige Verkehrsplanungsdaten ableiten zu können.

Hier geht es einerseits um Systeme, die uns helfen, städtische Prozesse effizienter abzubilden und alle Beteiligten besser zu vernetzen. Etwa indem wir im Projekt "Roads" alle Akteure, die sich mit Straßenbaumaßnahmen beschäftigen, um einen interaktiven Touchtisch versammeln und so das Baustellen-Management verbessern.

Andererseits sind auch hier die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger Ausgangspunkt für digitale Lösungen. So sollen Kunden künftig mit dem neuen Check-in/Be-out-Verfahren einfach und schnell über die entsprechende App in Bus und Bahn einchecken und losfahren können. Die erforderliche Fahrberechtigung erhält der Kunde automatisch auf sein Smartphone.

Über die Sender (Beacons) und die App werden die tatsächlich unternommenen Fahrten bis zum folgenden Morgen ermittelt und der jeweils günstigste Preis abgerechnet. In der gleichen App wird dann auch eine gemeinsame Plattform für ÖPNV, Stadträder, Carsharing-Angebote und On-Demand-Shuttles abgebildet, um den Verzicht auf das eigene Auto leichter zu machen. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortführen, ob im Bereich Kultur, Stadtentwicklung, Gesundheit, Wirtschaft oder Bildung.

Organisatorisch bauen wir bei Digitalisierungsvorhaben in Hamburg auf eine zentrale Steuerung und eine dezentrale Umsetzung. Die Senatskanzlei als zentrale Stelle hält die Fäden in der Hand, gibt auch mal die Richtung vor und gestaltet einen übergreifenden Wissens- und Erfahrungstransfer, so dass die erforderlichen Veränderungsprozesse in der jeweiligen Ressortverantwortung - und auch ressortübergreifend - umgesetzt werden können.

Diese Erwartungshaltung endet nicht an den Eingangspforten der öffentlichen Verwaltung. Im Gegenteil, Bürgerinnen und Bürger erwarten genau wie Unternehmen, dass auch die Verwaltung diese Optionen für ihr Dienstleistungsangebot nutzt - wie es in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens selbstverständlich ist. Sie möchten nicht mehr "aufs Amt" gehen oder für Leistungen, die ihnen rechtlich zustehen, bergeweise Formulare und Anträge ausfüllen müssen.

Verwaltung muss sich ändern

Auch sind die Bürgerinnen und Bürger zu Recht irritiert, dass sie bereits vorliegende Daten an verschiedenen Stellen mehrfach angeben oder gar Informationen von einem Amt zum anderen transportieren müssen. Auch wenn Hamburg im bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz bei der Digitalisierung der Verwaltung einnimmt, müssen wir erkennen, dass die Potenziale digitaler Dienstleistungsangebote in diesem Bereich aktuell nicht ausgeschöpft werden. Verwaltung muss "einfacher" werden.

Die öffentliche Verwaltung hat erkannt, dass sie in diesem Bereich etwas ändern muss. Sonst laufen wir Gefahr, dass im Kopf der Bürger das Bild verstaubter Amtsstuben und umständlicher sowie nicht nachvollziehbarer Verwaltungsverfahren haften bleibt. In der Wirtschaft spräche man von Imageverlust, in der öffentlichen Verwaltung geht es eher um Themen wie Verlässlichkeit, Vertrauen, den sorgsamen Umgang mit Steuergeldern und auch um die Notwendigkeit, Verwaltung in einer digitalen Welt zeitgemäß aufzustellen, um langfristig ihre Glaubwürdigkeit und Legitimation abzusichern.

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Ansprüchen gerecht werden

Dazu müssen wir nicht an der Speerspitze der technologischen Möglichkeiten stehen und jedem Trend folgen. Wir brauchen zeitgemäße IT und einen gewandelten Blick auf das, was wir jenseits der Technik ändern wollen. Wenn wir unsere Dienste nach der momentanen behördlichen Prozesslogik digital abbilden, werden diese in den meisten Fällen nicht die Ansprüche an nutzerfreundliche Online-Services erfüllen. Damit unsere Angebote den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger entsprechen, müssen wir sie als unsere Kunden in den Mittelpunkt unserer Überlegungen rücken. Und wir müssen unsere internen Prozesse daran anpassen.

Mit diesem Ziel vor Augen können moderne Online-Services gelingen. Und wenn wir dabei gleichzeitig unsere internen Prozesse besser gestalten können, umso besser.

Warum ist das so herausfordernd, obwohl es sich theoretisch so einfach beschreiben lässt? Prozesse, die sich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausrichten, halten sich in der Regel nicht an die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche der Organisation. Eltern kennen dieses Phänomen, müssen sie zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes verschiedene Stellen von Verwaltung aufsuchen, um die Geburt anzuzeigen und Kindergeld zu beantragen.

Eine wichtige Antwort auf diese Herausforderungen heißt in Hamburg "DigitalFirst". Und man könnte ergänzen: "UserFirst". Mit dem Vorhaben DigitalFirst werden die Hamburger Behörden bei der digitalen Transformation ihrer Verwaltungsdienstleistungen organisatorisch und technisch von zentraler Stelle unterstützt. Ausgehend von vier Leitlinien werden Online-Services mit Hilfe neuer Methoden wie Design Thinking prozessual neu gedacht, technisch auf Basis einer modularen Plattformlösung abgebildet und damit ganzheitlich konsequent neu konzipiert und umgesetzt.

Mit Hilfe von vier Leitlinien werden alle bereits bestehenden Online-Services und neue Verwaltungsdienstleistungen überarbeitet beziehungsweise neu konzipiert.

1. Digitale Kommunikation: Wir bieten in Hamburg zukünftig alle Dienstleistungen der Verwaltungen vorrangig digital an. Was online möglich ist, soll auch online zugänglich sein, gleichermaßen für die Bürgerinnen und Bürger wie für Unternehmen. Verwaltungsleistungen werden somit grundsätzlich orts- und zeitunabhängig angeboten, der "Gang zum Amt" ist nicht mehr erforderlich. Für Unternehmen steht künftig ausschließlich der elektronische Weg offen.

2. Vermeidung von Mehrfacheingaben nach dem Once-only-Prinzip: Bereits in der Verwaltung vorhandene Daten müssen nicht erneut in Online-Formulare eingetragen werden, sondern können automatisch ergänzt werden. Dabei haben die Bürgerinnen und Bürger jederzeit die Transparenz über die Verwendung ihrer Daten und können nachvollziehen, ob, wie und in welchen Verfahren die Verwaltung die bei ihr gespeicherten Daten verwendet.

3. Automatisierung: In Anbetracht des zu erwartenden demografischen Wandels muss die Verwaltung danach streben, immer mehr Prozesse zu automatisieren und auch Entscheidungen stärker als heute maschinell ­unterstützt herbeizuführen. Vorgangsbearbeitung, Entscheidungsfindung und -übermittlung sollen in Standardfällen auf Seiten der Verwaltung möglichst automatisiert erfolgen. Um Einzel- und Sonderfälle kümmern sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir durch die Automatisierung weitgehend entlasten.

4. Proaktives Verwaltungshandeln: Soweit möglich, werden die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger proaktiv und antragslos erledigt, so dass im besten Fall keine gesonderte Antragsstellung für eine Dienstleistung notwendig ist. Zum Beispiel muss erwogen werden, ob im Falle der in Hamburg gesetzlich garantierten Grundbetreuung eines Kindes ab dem ersten Lebensjahr in einer Kindertagesstätte auf einen Antrag von Seiten der Eltern verzichtet werden kann.

Neue Arbeitsmethoden sollen uns ermöglichen, über Jahre oder Jahrzehnte eingeübte Prozesse - von den Bürgerinnen und Bürgern aus - konsequent neu zu denken. Wir nutzen dafür in erster Linie Workshops, die nach der Methode des Design Thinking vorgehen. Dazu arbeiten Projekt- und IT-Spezialisten, Fachleute der Verwaltung und Vertreterinnen und Vertreter der Bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern zusammen. Gemeinsam wird die zu digitalisierende Dienstleistung "neu gedacht".

Da die bisherigen Prozesse auf organisatorischen und rechtlichen Vorgaben basieren, gilt es zunächst, die damit einhergehenden - oft vermeintlichen - Restriktionen bewusst auszuklammern. Je nachdem, worin diese Restriktionen bestehen, können sie, im Anschluss betrachtet, wichtige Impulse und konkrete Hinweise auf Bedarfe bei der Anpassung der Rechtssetzung geben.

In der Entwicklung wenden wir agile Methoden an, die uns helfen, schneller zu werden und Fehlentscheidungen rascher zu erkennen. Ziel sind hier rasche Ergebnisse, die sukzessive ausgebaut werden. Die Zeiten von langwierigen Konzeptphasen und ebenso langatmigen Entwicklungsphasen sind damit auch in der Verwaltung passé.

Neue Service-Infrastruktur

Alle neuen Online-Services laufen auf einer neu entwickelten und modular aufgebauten Plattform. Diese sogenannte Online-Service-Infrastruktur (OSI) ist anpassungs- und erweiterungsfähig und gewährleistet so eine hochgradige Integra­tionsfähigkeit und Interoperabilität. Die neue Plattform soll den unterschiedlichen Anforderungen von Online-Services im Hinblick auf die erforderlichen Vertrauensniveaus gerecht werden und entsprechende Authentifizierungsmethoden anbieten. So garantieren wir für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen den sicheren Zugang zu unseren Online-Diensten.

Am Beispiel von Prototypen wurde der DigitalFirst-Prozess geschärft und angepasst. Bewusst durfte bei der Entwicklung ausprobiert werden.

Um dies zu unterstützen, wurde eine für die Verwaltung unüblich hierarchieschwache Organisationsstruktur gewählt, die allerdings mit einem kurzen Weg in die oberste Leitungsebene ausgestattet ist. Die Erkenntnisse aus der Entwicklung der Prototypen fließen in den Basisprozess ein, der entsprechend angepasst wird und somit, auch unüblich für die Verwaltung, einen iterativen Entwicklungsprozess ermöglicht.

Ziel ist es, mit DigitalFirst einen Prozess zu entwickeln, der die Behörden befähigt, Online-Services gemeinsam mit der Senatskanzlei und dem städtischen IT-Dienstleister perspektivisch "industriell" zu entwickeln, produktiv zu setzen und betreiben zu lassen. Im besten Fall wirkt sich DigitalFirst nicht nur in Hamburg strukturgebend aus. Mit dem Onlinezugangsgesetz werden verstärkt Kooperationen zur Umsetzung zwischen den Ländern notwendig, hier kann das Vorgehen von DigitalFirst als Blaupause wertvolle Synergieeffekte liefern.

Ob Verwaltungsdienstleistungen als Online-Services oder die Projekte aus der digitalen Stadt, ihnen allen ist eines gemein: Ihr Erfolg hängt davon ab, ob und wie die Angebote genutzt werden. Wir sind davon überzeugt, dass der Grundgedanke von DigitalFirst, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt jeglicher Überlegungen zu rücken, der zentrale Ansatz für alle Bereiche von Verwaltung ist. So unterschiedlich die Themen der Verwaltung auch sind - alle Bereiche sind aufgefordert und dafür verantwortlich, die Chancen der Digitalisierung für ihre Zwecke und im Rahmen ihrer Fachlichkeit zu erkennen und adäquat umzusetzen.

Es fällt mir kein Bereich in der Hamburger Verwaltung ein, für den Digitalisierung keine Rolle spielen wird. Bei aller Innovationsfreude bleibt zu berücksichtigen, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern dort zum Zuge kommt, wo sie einen echten Mehrwert erzeugt. Wenn wir diesen Weg weiterverfolgen, wird sich das Ergebnis positiv auf die Wahrnehmung von Verwaltung und auf die Beziehung zu den Bürgerinnen und Bürgern auswirken.

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