Der IT-Krimi des Jahres 2005 verlieh dem Handel eine ungewohnte Aufmerksamkeit in der Softwarebranche. Das Übernahmegezerre zwischen SAP und Oracle um den Retail-Spezialisten Retec zeigte die Begehrlichkeiten der IT-Anbieter an diesen Kunden. "Das Segment Handel ist nach unserer Auffassung im Wandel", sagte SAP-Chef Henning Kagermann. Da will man um (fast) jeden Preis mit dabei sein. Schon das Übernahmeangebot der Walldorfer hielten Experten für nicht rentabel. Dennoch toppte Oracle die Offerte - und machte den Stich. An Rückzug denkt Kagermann deshalb allerdings lange nicht.
Derweil ächzt der Einzelhandel hierzulande unter immensem Kostendruck. Discounter wie Aldi und Saturn Media prägen die Konkurrenz. Sie haben einen Wettbewerb entfacht, der sich über den Preis entscheidet, unter dem aber die Qualität nicht leiden darf. Selbst die weltgrößte Warenhauskette Wal-Mart hat den Einstieg in den deutschen Markt bislang teuer bezahlt, weil sie die hiesige Situation unterschätzte.
Umsätze im Keller
Hinzu kommt die Zurückhaltung der Konsumenten, die nicht zuletzt auch die Umsätze der MDAX-Retailer in den Keller schickt. So setzte Karstadt-Quelle 2004 mit 11,4 Milliarden Euro knapp sieben Prozent weniger um als im Jahr zuvor. Beim Brillenspezialisten Fielmann sackten die Einnahmen sogar um mehr als ein Fünftel auf 642 Millionen Euro ab. Gleichwohl gibt es nach Ansicht von Ulrich Engelhardt, Geschäftsführer der Itellium Systems & Services GmbH und CIO der Karstadt-Quelle AG, Bedarf an Neuerungen im IT-Bereich. "Viele Handelsunternehmen nutzen klassischerweise proprietäre Warenwirtschaftssysteme", weiß er. "Wenn sie über Veränderungen nachdenken, dann über standardisierte Lösungen."
Die Betonung liegt auf dem Wörtchen "wenn". Karstadt stieg, die schwierige Wirtschaftslage bereits vor Augen, erst vor drei Jahren auf mySAP Retail um. Auch Fielmann plant für die Zukunft mit der Technologie aus Walldorf. So richtet der Brillenproduzent derzeit ein Managementinformationssystem für die Vertriebssteuerung auf den Ebenen Niederlassung und Region ein, bei dem als Front-End das Modul SAP Business Warehouse aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten der Data Propagation zum Einsatz kommt. Auch die Integration der bestehenden IT-Landschaft, die im Back-Office-Bereich aus mySAP Retail und in der Materialflusssteuerung aus einem proprietären System besteht, soll auf SAP-Basis erfolgen. "Wir wollen uns anschauen, ob das mit Hilfe von SAP XI funktionieren kann", erklärt Fielmann-CIO Peter K. Albrecht.
Sonderfall Chemiegroßhandel
Anders die Situation bei Celesio. Nach einer ausgiebigen Einkaufstour quer durch Europa versucht der Pharmagroßhändler, die eigene Warenwirtschaft durch den Enterprise Legacy Integrator (ELI), einem Produkt der Software AG, zu integrieren. Die Details des zurzeit wohl wichtigsten IT-Projektes der Stuttgarter beschreibt ein Referenzbericht der Software AG. Demnach integriert Celesio sein eigenentwickeltes Warenwirtschaftssystem GAIN mit Hilfe von ELI in die neue serviceorientierte IT-Architektur des Konzerns. Die Bestandsanalyse und die Logistik, zwei wesentliche Wettbewerbsfaktoren im Pharmahandel, sollen verbessert werden. Das Projekt startete zeitgleich in Belgien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. "Technisch überzeugte ELI unter anderem durch seine hohe Performance und die komfortable, GUI-gestützte Wrapping-Funktionalität", sagt Joachim Bartel, Geschäftsführer der Gehe Informatik Services GmbH, der IT-Tochter von Celesio.
Neben Standardisierung und Integration ist bei den MDAX-Retailern inzwischen auch Outsourcing angesagt. Rund ein Prozent vom Handelsumsatz investiert die Branche typischerweise in ihre IT. Weit weniger als etwa der Bankensektor, der sich schon lange vor den Anfragen der IT-Outsourcer kaum retten kann. Allerdings entdecken diese nun auch im Handel potenzielle Kunden. Den Anfang machte im September 2004 der IT-Dienstleister Atos Origin. Die Franzosen vereinbarten mit Itellium, den Bereich Infrastruktur für die nächsten acht Jahre zu betreuen. Der neue Eigentümer übernimmt 900 Mitarbeiter, zwei Karstadt-Rechenzentren in Essen und Nürnberg sowie den Endgeräte-Support und Teile der Anwendungsbetreuung. "Anders als bei Banken haben die IT-Dienstleister den Handel bislang nicht als ertragsstark erachtet", sagt Itellium-Chef Engelhardt. "Das scheint sich nun zu ändern."