Die deutschen Industriebetriebe suchen angesichts des schärferen internationalen Wettbewerbes nach Möglichkeiten, sich am Weltmarkt zu behaupten. Dabei setzen sie immer mehr auf die Integration von Produkten und Dienstleistungen. Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von hybrider Wertschöpfung. Was kennzeichnet diesen Ansatz?
Gudergan: Hybride Produkte bieten Kunden einen echten Mehrwert, der das Angebot eines Unternehmens über das Produkt hinaus einzigartig macht. Besonders durchschlagende Effekte erzielt man mit diesem Ansatz im Logistik-Bereich, wo rasche Verfügbarkeit einem Produkt einen enormen Mehrwert verleihen kann. Nehmen Sie beispielsweise den Bereich Frischobst und -gemüse oder Frischfisch: Die Erwartungen der Konsumenten an die tägliche Verfügbarkeit einer großen Auswahl dieser Produkte lässt sich nur durch eine nahtlose Integration von logistischen und informatorischen Prozessen erreichen. Dahinter stecken eine Menge innovativer Technologien und Lösungsansätze, die alle beteiligten Partner und den Kunden miteinander integrieren.
Es geht um die vorausschauende Steuerung von Prozessen
Das heißt im Falle der Lebensmittel geht es um Einhaltung enger Terminvorgaben und der Kühlkette?
Gudergan: Ja, es geht bei diesen Vorgängen um die rasche Verfügbarkeit und die Qualitätssicherung von Produkten. Aber es geht noch um mehr, wie sich am Beispiel der erneuerbaren Energien sehr gut aufzeigen lässt: Alternative Energieträger wie Wind oder Sonne sind meist dort ausreichend vorhanden, wo weniger Menschen anzutreffen sind, etwa an der Nordsee, in den Bergen oder in Spanien. Fallen aber an einem Gerät Komponenten aus, wird die Stromproduktion unterbrochen, was zu wirtschaftlichen Einbußen führt. Um dies zu verhindern, müssen Hersteller und Betreiber dieser Anlagen sehr eng zusammen arbeiten, dabei können Konzepte der hybriden Wertschöpfung helfen: So sind Windräder etwa mit Diagnoseboxen ausgestattet, die Informationen über Zustand und Funktion der einzelnen Komponenten liefern. Werden die Informationen intelligent ausgewertet, können Ersatzteile wie auch ein Reparaturteam bereits geordert werden bevor das Gerät ausfällt - ein typischer Fall präventiver Wartung. Es geht also bei hybriden Produkten gerade in der Logistik um die vorausschauende Steuerung von Prozessen.
Besteht der Hauptnutzen hybrider Produkte folglich in Kosten- und Effizienzvorteilen?
Gudergan: Diese Effekte gibt es. Aber der übergeordnete Vorteil liegt darin, dass Unternehmen sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und den Rest kompetenten Dienstleistern überlassen können. Produkte werden nämlich zunehmend komplexer und sind von Einzelpersonen gar nicht mehr beherrschbar. So reduziert sich das Gesamtrisiko für das Unternehmen und es kann seine Kapazitäten besser auslasten.
Die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Wie lässt sich die zunehmende Komplexität kontrollieren?
Gudergan: Wir versuchen im Rahmen von Forschungen, Modelle für die Praxis zu entwickeln, um Leistungen und Leistungssysteme - wie wir hybride Produkte bezeichnen - handelbar zu machen. Ziel dieser Modelle ist es, Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus entwickeln wir Standards für die Informations-Vermittlung und Leistungsbeschreibung, um eine enge, effiziente Zusammenarbeit zwischen den Partnern in der hybriden Wirtschaft zu ermöglichen. Dabei beschäftigen uns Fragen wie: Wie kann die Dienstleistung beschrieben werden? Wie lassen sich Menge und Qualitätsniveau festlegen? Für all diese Fragen haben wir zusammen mit großen Industriekonzernen wie BASF und Airbus Standards - beispielsweise die DIN Standards PAS 1018 und 1019 - entwickelt, die Unternehmen eine Hilfestellung beim Einkauf, aber auch im Vertrieb bieten.
Welche Technologien stecken hinter hybriden Produkten im Logistik-Bereich?
Gudergan: Es handelt sich um Technologien, die Handelsgüter intelligenter werden lassen. Dazu gehören an erster Stelle Autoidenttechnologien wie RFID*, das Güter intelligent macht: Ein Paket mit RFID-Chip weiß wo es war, welche Temperatur es zu welchem Zeitpunkt hatte, wie lange es unterwegs war usw. Mithilfe dieser Technologie lassen sich logistische Abläufe in Zukunft gut kontrollieren.
RFID ist eigentliche eine alte Technik. Wieso hat sie gerade jetzt ihr Comeback?
Gudergan: Bei der Verwendung von RFID stellte sich lange Zeit die Frage nach dem Nutzen, was für viele Unternehmen eine große Hürde bedeutete. Inzwischen gibt es verlässliche Verfahren, den monetären Nutzen von RFID zu ermitteln - wobei das Nutzenpotenzial vor allem im Bereich der Logistikprozesse, After Sales und Instandhaltung liegt. Erst das die Abschätzung des Nutzens und die notwendigen Bewertungsverfahren haben der Technologie ihre augenblickliche Popularität verschafft.
Komplettlösungen werden eine dominante Rolle spielen
Wie stellen sich deutsche Unternehmen den Herausforderungen der hybriden Wertschöpfung?
Gudergan: Die deutschen Unternehmen sind am Markt der hybriden Wertschöpfung hervorragend positioniert. Ich denke da etwa an den Hersteller Claas, der Erntefahrzeuge produziert und die Geräte so intelligent mit IT verknüpft hat, dass sein eigentliches Produkt nun ein umfassendes Erntesystem ist. Ein Lohnunternehmen kann dieses System mieten oder kaufen und einem Landwirt Ernteleistung anbieten, die pro Kilo oder nach eingesetzter Zeit verpreist wird. Wie wir aus einer aktuellen KVD-Studie** wissen, verstehen die deutschen Unternehmen Kundenorientierung als eines ihrer wichtigsten Ziele. Daher werden Komplettlösungen und die Betreuung entlang des Lebenszyklus in Zukunft eine dominante Rolle spielen
*(Radio Frequency Identification)
** Kundendienst-Verband Deutschland e.V.
Aktuelle Themen aus Forschung und Praxis zur hybriden Wertschöpfung stehen auf der Tagesordnung des 12. Aachener Dienstleistungsforums, das am 2. und 3. September in Aachen stattfindet.