HP sorgt derzeit für mächtig Wirbel in der IT-Welt. Dabei waren es lediglich Absichten für die kommenden zwölf bis 18 Monate, die Konzernchef Léo Apotheker am 18. August verkündete. Aber diese Pläne haben es in sich: Von der Sparte Personal Systems Group (PSG) will sich HP offenbar trennen.
Der Weltmarktführer werde sich wegen zu kleiner Gewinnmargen aus der PC-Produktion verabschieden. Zugleich begräbt HP offenbar seine Ambitionen im Smartphone- und Tablet-Bereich und überlässt das Feld Apple, Google und Microsoft. Eigene WebOS-Hardware wie den erst vor zwei Monaten vorgestellten Tablet-Rechner TouchPad will HP künftig nicht mehr herstellen. Nach Alternativen für das WebOS-Betriebssystem solle gesucht werden, hieß es zunächst. Inzwischen sickerte durch, dass zumindest die WebOS-Software strategisch und technologisch weiterentwickelt werden soll. Offiziell bestätigt ist dies aber nicht. Fest steht allerdings, dass HP-Ware wie das TouchPad derzeit zu Spottpreisen zu bekommen ist.
Außerdem soll der von Branchenkennern auf rund zehn Milliarden US-Dollar geschätzte Kauf des britischen Datenanalysespezialisten Autonomy den radikalen Umbau zum Software- und Serviceunternehmen krönen.
An der Börse plumpste der Wert der HP-Aktie nach diesen Bekanntmachungen erst einmal mächtig nach unten, ohne sich seither wirklich zu erholen. Apotheker begann eilig Beschwichtigungsarbeit und sprach von einem Spin-off als bevorzugter Lösung fürs PC-Geschäft. Seither herrscht vor allem Konfusion an der Nachrichtenfront. So kündigte HP Anfang September an, sieben neue All-in-One-PCs auf den Markt zu bringen - wohlgemerkt kaum drei Wochen nach Bekanntwerden der Neuausrichtung. Ein kommunikativer Eiertanz, der Fragen aufwirft: Welche Folgen haben oder hätten die Vorhaben nun für HP, den IT-Markt, die Wettbewerber und die Anwender?
HPs Enterprise-Kunden seien von den Ankündigungen wenig betroffen, sagt Heinz-Hermann Adam, Vorsitzender des HP-Benutzergruppen-Netzwerkes Connect Deutschland. "Sollte HP das PC-Business abstoßen, werden dadurch sicher Ressourcen frei, die in Enterprise-Technologie investiert werden", so Adam. Dies werde von den Connect-Mitgliedern begrüßt.
Die Einschätzungen aus den Analystenhäusern klingen alles in allem nicht euphorisch. "Meine Schlussfolgerung ist, dass dieser Schritt für HP zu einer langfristigen Rentabilität führen wird", sagt zwar Ronald Paschen, Partner bei der Outsourcing-Beratung TPI Deutschland GmbH. Bei Apothekers Ankündigungen fehlt dem Analysten indes die konkrete Vision, welche Geldbringer neben größeren Outsourcing-Deals und Software für Geschäftsprozesse "außer ein paar Druckern" am Ende übrig bleiben. TPI geht sogar davon aus, dass die Umbauten bei HP noch weiter gehen könnten als bisher bekannt. Der eigene Vor-Ort-Support bei Firmenkunden sei für ein Großunternehmen wie HP nicht mehr lukrativ und von Wettbewerbern wie IBM oder T-System deshalb längst ausgelagert worden.
Nicht HP bewegt den Markt, sondern der Markt HP
"Es ist klar geworden, dass nicht HP den Markt bewegt, sondern der Markt HP", erläutert Paschen. Der anvisierte Rückzug aus der Rechnerherstellung werfe die Frage auf, wer dieses Geschäft überhaupt noch mit zufriedenstellenden Erträgen betreiben könne. "Alle Anbieter geraten zunehmend unter Druck", stellt auch Gartner-Analyst Ranjit Atwal fest.
Paschen vermutet, dass Dell angesichts zuletzt schwacher Quartalszahlen und niedriger Zuwächse beim Rechnerverkauf einen ähnlichen Weg wie HP einschlagen könnte: konsequenter Umbau in Richtung Software und Services sowie Spezialisierung auf Großkunden. Auf dem PC-Markt blieben dann nur die großen asiatischen Firmen übrig.
Der angedachte Abschied HPs von WebOS ist aus Sicht TPIs und Gartners nur konsequent. Der Versuch, Apples Übermacht auf Basis einer Kombination aus Endgeräten und Betriebssystemen anzugreifen, sei schlichtweg an fehlenden Apps gescheitert. "Die Musik spielt immer bei den Anwendungen", sagt Paschen. Ranjit Atwal von Gartner unterstreicht das: "Eine Hardwarestrategie wird bei Smartphones und Tablets nicht erfolgreich sein."
Andere Analysten untermauern diese Sicht. "HP war der vierte Gaul in einem Drei-Pferde-Rennen", resümiert Ezra Gottheil, Analyst bei Technology Business Research. Enteilt bei Smartphones und Tablets scheinen Apple und Android - mit Microsoft als hartnäckigem Verfolger. Nach der Ankündigung der Übernahme von Motorola Mobility durch Google seien indes Anbieter wie HTC, LG und Samsung auf der Suche nach einer Alternative zu Android, so Wafa Moussavi-Amin, Geschäftsführer IDC Deutschland und Schweiz. Da hätte HP jetzt gut als Lizenzgeber auftreten können. "Doch HP hat WebOS erst einmal aufs Abstellgleis geschoben und dem Betriebssystem damit den Todesstoß versetzt", kritisiert der Analyst.
Anwender sehen HPs möglichen Tablet-Ausstieg gelassen. Für Lufthansa etwa spielten vor allem iOS und Android-Plattformen eine wesentliche Rolle, kommentiert lakonisch Thomas Endres, CIO der Deutschen Lufthansa AG: "Die Entscheidung von HP kommt aus unserer Sicht nicht unerwartet, hat aber keinerlei Einfluss auf die Mobility-Strategie und -Projekte bei Lufthansa."
Druck von der Wall Street
Das offenbar auch auf Druck der Wall Street geplante Abstoßen des für satte 31 Prozent des HP-Konzernumsatzes verantwortlichen PC-Geschäfts erinnert Analysten zwar an den Verkauf der IBM-PC-Sparte an Lenovo vor einigen Jahren. Tenor ist aber auch, dass die Situation dafür schwieriger geworden sei.
Moussavi-Amin erwartet nun ein schnelles Abwandern der besten PSG-Mitarbeiter. HP drohten in den kommenden Monaten schwere Einbußen insbesondere bei den Geschäftskunden. "Schafft es HP nicht, hier schnell eine Lösung zu finden, werden Großunternehmen, die von ihren Lieferanten klare Produkt-Roadmaps, ein stabiles Image und eine garantierte langfristige Verfügbarkeit für die Geräte fordern, zweifellos der HP-Konkurrenz den Vorzug geben", argwöhnt der IDC-Deutschland-Chef.
Aus Sicht von IDC Europe gäbe HP mit PSG die Macht aus der Hand, seinen Kunden Support und Service für die eigene Produktfamilie aufzudrücken. Firmenkunden eröffne das eine gute Gelegenheit, hart über diese Kostenstellen zu verhandeln. Für HP sei entscheidend, inwieweit man sich auf Basis von Autonomy als starker Cloud-Service-Anbieter profilieren könne.
Den Autonomy-Deal wertet John McCarthy von Forrester Research zwar als prinzipiell sinnvollen Ausbau von HPs Analytics-Portfolio. Allerdings kauften Konkurrenten wie IBM, Accenture und Deloitte beinahe wöchentlich Softwarefirmen auf. Soll heißen: Der bisherige Hardware-Riese stürzt sich mit vollem Gewicht in einen Software-Kampf, für den sich Wettbewerber längst mit aller Macht rüsten.
Ist HP zu spät?
Den Angriff auf Software-Riesen wie Oracle und SAP und Service-Giganten wie IBM im Enterprise-Geschäft stuft auch Scott Tiazkun von Pierre Audoin Consultants (PAC) als riskant ein: "Sich selbst in einen Unternehmensanbieter zu verwandeln ist eine attraktive Idee, aber immer noch ein großes Glücksspiel." Womöglich sei HP schlicht zehn Jahre zu spät dran.
Was aber, wenn HP am Ende doch nicht verkauft? "Wenn das der Fall wäre, hat HP mit seinem Versuch, die Wall Street zu beruhigen, der PSG-Sparte wohl ernsthaften Schaden zugefügt und ihre künftige Rentabilität damit aufs Spiel gesetzt", so IDC-Analyst Moussavi-Amin. Samsung dementierte inzwischen Kaufabsichten, Acer und Asus fehlt offenbar das Geld. Womöglich scheitert ein Teil der HP-Pläne schlicht daran, dass niemand die Rechnerproduktion kaufen will.