Jörg Bajohr hat einen guten Schlaf. Im Wachzustand ist der O2-Manager eloquent und kompetent; er wirkt sympathisch, körperlich topfit. Das ist auch gut so, denn Bajohr arbeitet seit einigen Wochen als Service Management Director bei O2, früher Viag Interkom. Um den Job zu bekommen, musste er ein Assessment durchlaufen. Dazu zählten neben fachlichen Tests auch Fragen wie "Schlafen Sie regelmäßig, trinken Sie Alkohol, haben Sie Beschwerden?". Herzinfarktkandidaten kann man für so eine aufregende Position kaum gebrauchen. "Der Alex hat gesagt, wir müssen neu strukturieren und dafür jetzt das Assessment machen", sagt Bajohr. Mit Alex meint er seinen Chef, CIO Alexander Röder. In dem angelsächsisch geprägten Unternehmen (O2 gehört zur britischen MMO2-Gruppe) siezt man sich und nennt sich beim Vornamen.
Nach der Euphorie die Konsolidierung
Als Röder im November 2001 bei der damaligen Viag seinen Posten antrat, fand er ein sehr heterogenes Team vor. "Ich hatte keine Kenntnisse vom Potenzial der Mitarbeiter." Zudem galt es, fünf neue Direktorenstellen zu besetzen. "Wir hatten 21 interne Bewerber; 13 haben wir ins Assessment geschickt", so Röder. Unter dem Motto "richtiger Mann am richtigen Platz" wurde die gesamte Führungsriege gescannt. Am 1. April sei man mit 82 Managern gestartet, die die Bewertungsrunde bestanden hatten.
Derzeit bedienen sich vor allem IT-Abteilungen dieses Auswahlverfahrens. In der Hochphase der IT- und Internet-Euphorie wurde eifrig eingestellt. Jetzt wird konsolidiert. Für diese pikante, Unruhe stiftende Maßnahme ist die Hilfe externer Berater gefragt. Bei der Unternehmensberatung Egon Zehnder heißt der Service, der hier bereits einen Großteil des Geschäfts ausmacht, Management Appraisal (Abschätzung). Tilman Gerhardt, Partner bei Zehnder, berichtet: "Wir hatten noch nie so viele Appraisals wie im letzten Jahr; das hat sich mehr als verdoppelt."
Auch Knud Norden, IT-Vorstand und CIO von RWE Systems, fand bei seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren eine qualitativ diffuse Mannschaft vor und ließ seine IT-Leader durchchecken. "Das haben wir im großen Stil gemacht: zuerst in einem Bereich mit Kirschbaum (Kesag), München, dann im ganzen Konzern mit Zehnder." Jürgen G. Seitz von Kesag: "Jede dritte Position war eine Fehlbesetzung." Für die Geschäftsführer, die anschließend hören mussten, dass sie keine mehr sind und vielleicht nie welche waren, sei das natürlich eine "herbe Botschaft" gewesen, so Seitz.
Ärgern hilft nicht
Gestandene Manager, die einem Unternehmen bereits seit Jahren angehören, sind oft verärgert über die Idee, sich und die eigene Leistung auf den Prüfstand stellen zu müssen. "Kokolores" sei bei O2 die spontane Reaktion vieler Manager gewesen, räumt Röder ein. Doch der Schwabe diskutierte hier nicht: "Wer nicht mitmachte, hatte keine Chance." Nach dem Assessment stand fest: Für die fünf neuen Direktorenposten eigneten sich nur drei der vier früheren Top-Leute. Zwei rückten von der darunter liegenden Ebene auf, Viag-Mann Rüdiger Siebler nahm zum 31. März seinen Hut. Einen neuen Job hatte er im Juni noch nicht. "Nach zehn Jahren mit Führungsverantwortung mache ich jetzt erst mal richtig Urlaub."
In der Branche ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Assessments auch genutzt werden, um ungeliebte Führungskräfte rauszukicken. Oft gebe es gar "Geheimtreffen", in denen man die Vorgabe erhält, soundso viel Prozent des Personals "auszusortieren", verrät ein Berater, der sich aber ausdrücklich nicht auf O2 oder RWE bezieht.
Bei RWE Systems begann nach dem Assessment das große Stühlerücken. Norden: "Es hat Neubesetzungen, Bestätigungen und Trennungen gegeben. Ein Assessment ist nur gut, wenn man auch die Konsequenzen zieht, sobald man weiß, der ist ein Star, der eine Flasche." Dass einige Manager sich später gerichtlich wehren wollten, wird bei RWE nicht bestätigt. Man habe sich gütlich, wenn auch nicht ganz billig getrennt, so Norden.
Einen Anspruch auf Ehrlichkeit in den Tiefeninterviews hat der Arbeitgeber übrigens nicht. Helmut P. Krause, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München: "Auch die biologische Konstitution geht den Arbeitgeber nichts an." Wer die Antwort heikler Fragen verweigert, dem dürfe zumindest aus diesem Grunde nicht gekündigt werden. Krause: "Ich kann nur jedem raten, freiwillig mitzumachen. Klagen ist schwierig, vor allem nach dem Assessment." Zweifel an einem Verfahren, demzufolge einige kurze Tests und PC-Simulationen für langjährige Führungskräfte das berufliche Aus bedeuten können, seien zwar berechtigt; ein Manager müsse es jedoch aushalten, dass seine Fähigkeiten hinterfragt werden.