Der Nachholbedarf für den Einsatz von IT in deutschen Krankenhäusern und in den Praxen der niedergelassenen Ärzte ist groß. Bei der Hardware-Ausstattung ist jahrzehntelang zu wenig getan worden: Es mangelt an vielen Geräten, und die bestehende Ausrüstung ist noch dazu meistens veraltet. Die Software ist häufig unausgereift und wenig benutzerfreundlich, und viele Programme sind nicht in der Lage, untereinander Daten auszutauschen. Bei dieser Bestandsaufnahme muss man noch nicht einmal den katastrophalen Schneckengang bei der Einführung der schon seit langem versprochenen elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ansprechen.
Beim Einsatz von Gesundheits-IT sind in Deutschland insgesamt nur wenig Fortschritte auszumachen. Eine international angelegte, sehr fundierte Untersuchung des Technologie- und Outsourcing-Dienstleisters Accenture hat dies nun bestätigt: "Vor allem die mangelnde Vernetzung des Gesundheitswesens hindert Ärzte daran, Gesundheitsinformationen auszutauschen und von den Vorteilen der IT zu profitieren."
Accenture ist der Ansicht, dass die Grundlagen für die Vernetzung des Gesundheitswesens durchaus vorhanden seien. In Deutschland erfassen demnach bereits rund drei Viertel (76 Prozent) aller befragten niedergelassenen und Krankenhausärzte gleichermaßen Daten über die Behandlung ihrer Patienten. Doch nur rund einer von vier befragten Krankenhausärzten gibt seine Behandlungsdaten an andere Gesundheitseinrichtungen weiter. Bei den niedergelassenen Ärzten in Deutschland beträgt der Anteil sogar nur 12 Prozent.
Große Chance
Sebastian Krolop, Leiter Management Consulting Health bei Accenture Deutschland, verweist auf den volkswirtschaftlichen Schaden, der durch die mangelhafte Vernetzung zwischen den Ärzten entsteht: "Durch die Nicht-Kommunikation im Gesundheitswesen gehen enorme Potenziale verloren. In der intelligenten Vernetzung des Gesundheitswesens mit Hilfe von moderner IT liegt eine große Chance, das deutsche Gesundheitssystem leistungsfähiger zu gestalten und gleichzeitig Kosten zu sparen."
Die Accenture-Studie "Vernetztes Gesundheitswesen: Der Weg zu einer integrierten Gesundheitsversorgung" basiert auf einem vergleichsweise sehr großen Datenmaterial: 160 Interviews mit Gesundheitsexperten aus Politik, Praxis und Wissenschaft, einer Umfrage unter 3700 Ärzten und der Analyse aktueller Fachliteratur mit zehn Fallbeispielen in den acht Ländern Australien, Deutschland, England, Frankreich, Kanada, Singapur, Spanien und den USA. Sie kann deshalb durchaus als repräsentativ gelten.
3 Stadien auf dem Weg zur Vernetzung
Accenture sieht drei verschiedene Stadien auf dem Weg zu einer Vernetzung des Gesundheitswesens: Nutzung von IT im Gesundheitswesen, Austausch von Gesundheitsinformationen und "Insight Driven Healthcare" (Nutzung von Gesundheitsinformationen zur Verbesserung von Qualität und Kosten im Gesundheitswesen). Die Entwicklungen in diesen drei Bereichen werden vorsichtig optimistisch als „zwiespältig, aber ausbaufähig" beschrieben.
Im einzelnen diagnostiziert die Accenture-Studie: Die meisten Ärzte in der Primärversorgung würden grundlegende Computersysteme verwenden, "die jedoch häufig überholt und auf die Praxisverwaltung beschränkt sind". Patienten- oder Klinikmanagementsysteme seien erst selten anzutreffen.
Über den Austausch von Gesundheitsinformationen im Zusammenhang mit der Einführung der eGK heißt es lapidar: "Experten sind optimistisch, dass das Smartcard-System in Deutschland irgendwann die Grundlage für eine intensivere Nutzung von IT im Gesundheitswesen darstellen wird." Dies werde vor allem dann geschehen, "wenn Patienten an das System glauben und sich für die freiwilligen Komponenten entscheiden, die ein größeres Potenzial für die Förderung eines stärkeren Austauschs von Gesundheitsinformationen bieten."
Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit "ziemlich begrenzt"
Die Nutzung von Gesundheitsinformationen zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sieht Accenture als "ziemlich begrenzt". Experten würden jedoch eine neue Innovationswelle im Gesundheitswesen prognostizieren, die dadurch unterstützt werde, dass bis zum Jahr 2015 in 75 Prozent der Privathaushalte und Unternehmen in Deutschland ein Breitbandzugang zum Internet vorhanden sein wird. Man geht bei Accenture offenbar davon aus, dass sich diese Entwicklung automatisch positiv auf das Gesundheitswesen auswirken wird. Man wird sehen, ob das mehr als ein frommer Wunsch bleiben wird.
Bei Accenture sind durchaus auch pessimistische Töne zu hören. So schreiben die Marktforscher: "Noch sind in Deutschland prozessuale und technische Standards für ein vernetztes Gesundheitswesen bloße Zukunftsmusik. Auf dem Weg zur Umsetzung müssen Hürden überwunden werden." Die wichtigsten seien die mit rund 80 Millionen Bürgern "enorme Größe des Landes", oftmals übertriebene Datenschutzbedenken der Ärzte und die "vielen Beteiligten im Gesundheitsmarkt". "Viele Beteiligte" ist eine eher vornehme Umschreibung des harten Konkurrenz- und Interessenskampfs im deutschen Gesundheitswesen, der viele notwendige Reformen bisher verhindert hat.
Schleppende Umsetzung der IT-Vernetzung
In der Studie nennt Accenture sechs Faktoren, die für die erfolgreiche Umsetzung eines vernetzten Gesundheitswesens entscheidend seien: "eine klare Zielsetzung, die Strategie, die technische Infrastruktur, Kooperation der Beteiligten, gutes Veränderungsmanagement und eine fortlaufende Integration".
Die verschiedenen Länderanalysen haben ergeben, dass Spanien bisher bei der technischen Infrastruktur und bei Kooperationen führend ist, während Singapur laut Accenture über die überzeugendste Zielsetzung verfügt. England und Australien sind beim Veränderungsmanagement vorbildlich, und Deutschland und die USA würden die beste Integration der Interessentengruppen aufweisen. Accenture bilanziert: "Was allerdings die Umsetzung dieser Treiber angeht, liegt Deutschland gemeinsam mit Frankreich auf dem letzten Platz."