Die Europäische Kommission möchte die Healthcare-IT in Europa kompatibler gestalten. Welchen Beitrag kann ein internationaler Anbieter dabei leisten?
Arto Ryymin: Wir unterstützen den Vereinheitlichungsprozess, indem wir uns aktiv an einer Vielzahl von internationalen Komitees beteiligen, entweder direkt oder über unsere Kunden. Standardisierung ist keineswegs ein neues Thema. Nehmen wir zum Beispiel die digitale Bildgebung. Durch DICOM haben wir hier ein hohes Maß an Standardisierung erreicht. Für die Dokumentation von Labor-Ergebnissen wird weitgehend HL7 genutzt. Dies kann sozusagen im internationalen Rahmen als Vorbild gelten.
Heute geht es uns vor allem um die Standardisierung im Bereich der klinischen Dokumentation. Der HL7/CDA-Maßstab erscheint uns hier als sehr vielversprechend. Allerdings gibt es in dieser Hinsicht noch eine Menge zu tun. Internationale Projekte, wie die der Europäischen Kommission, helfen dabei weiterzukommen.
Warum ist ein europäischer Standard in der klinischen Dokumentation so schwierig zu etablieren?
Arto Ryymin: Es ist nicht schwierig, es braucht nur Zeit. Es hat allein zwanzig Jahre gedauert, bis der DICOM-Standard wirklich Marktreife erlangt hat. Das heißt nicht, dass es bei HL7/CDA genauso lang dauern muss. Aber wir müssen realisieren, dass die klinische Dokumentation ein komplexer Bereich ist, mit einer Menge nationaler Eigenheiten.
In der Vergangenheit wurde IT vorwiegend für Verwaltungszwecke verwendet. Können Sie benennen, wohin sich die Health-IT entwickeln wird?
Arto Ryymin: Manche sagen, dass Health-IT für das Gesundheitswesen in der Zukunft genauso wichtig sein wird wie Wasser oder Hygiene, Impfstoffe oder elektrischer Strom. Dem stimme ich absolut zu. Speziell in Europa, wo sich ein enormer demographischer Wandel vollzieht. Krankenhäuser werden in schätzungsweise zehn Jahren 20 bis 40 Prozent mehr wirtschaftlichen Erfolg aufweisen müssen und das mit weniger Mitarbeitern. Ohne IT ist das nicht zu schaffen.
Ich denke, momentan geschehen zwei Dinge. Lösungen für das Patientenmanagement werden effizienter, was eine beträchtliche Prozessoptimierung innerhalb der Einrichtungen nach sich zieht. Außerdem gibt es einen Trend hin zu einer Verbesserung der medizinischen Dokumentation und Kommunikation. Genau da liegt die Stärke der nordischen Staaten. Die nächste große Sache sind digitale Lösungen, die der Patient zuhause oder unterwegs selbst bedienen kann, sowie deren Integration in bestehende Health-IT-Netzwerke.
Können Sie uns ein paar Zahlen geben für die Nutzung von Health-IT in Skandinavien?
Arto Ryymin: Wir haben in Finnland eine 99-prozentige Abdeckung mit elektronischen Patientenakten (EPA). Wir sind sehr weit fortgeschritten in der Online-Kommunikation und Zusammenarbeit. Alle Labore und radiologischen Einrichtungen sind digitalisiert. Die Ärzte bearbeiten 75 % aller Überweisungen und Aufnahmen elektronisch. Natürlich gibt es auch andere europäische Länder, die sehr gut sind. Ich denke, Europa kann in dieser Hinsicht stolz auf sich sein. In den USA beispielsweise arbeiten weniger als 20 % aller Krankenhäuser mit elektronischen Patientenakten.
Wie profitieren Krankenhäuser von IT-Lösungen?
Arto Ryymin: Im Bereich der Prozessoptimierung ist es einfach, die Ergebisse zu messen. Wir haben zum Beispiel einen Kunden in Deutschland, der durch die Einführung elektronischer Behandlungspfade einen 5- bis 10-prozentigen Rückgang der durchschnittlichen Patientenverweildauer verzeichnet. Für sein Krankenhaus bedeutet das mehr als 500.000 Euro Einsparungen pro Jahr.
Qualität der Behandlung schwierig zu messen
Ein schwedischer Kunde aus dem Bereich Hauskrankenpflege sah einen 20-prozentigen Effizienzanstieg. Was die Qualität der Behandlung betrifft, sind die Leistungen dagegen schwieriger zu messen. Aber ich habe gar keine Zweifel, dass eine EPA viel dazu beiträgt, die Versorgung der Patienten zu verbessern. Die 99-prozentige Verbreitung in Finnland erscheint mir als ein klarer Beweis dafür.
Das Health-IT-Geschäft von Tieto zielt europaweit auf Kunden. Abgesehen von Skandinavien sind Deutschland und die Niederlande die Kernmärkte. Wie einfach oder schwierig ist es, Health-IT zu "internationalisieren"?
Arto Ryymin: Internationalisierung geschieht Schritt für Schritt. Dabei geht es nicht zuletzt um die Entwicklung von Maßstäben. Vor 20 Jahren nutzten wir unsere eigenen Compiler und teilweise unser eigenes Betriebssystem für unsere Lösungen. Heutzutage sind technische Plattformen international komplett standardisiert. Der DICOM-Standard wird eine ähnliche treibende Kraft entfalten. EPAs werden folgen, allerdings wird das seine Zeit dauern. Internationalisierung ist einfacher mit Zusatz-Services. Zum Beispiel haben wir derzeit unsere erweiterten mobilen Gesundheits-Services internationalisiert. Diese Instrumente wurden in den nordischen Staaten entwickelt. Im Herbst 2008 haben wir diese in Deutschland vorgestellt und werden dies auch in anderen Ländern tun.
Im Übrigen sind mobile Gesundheitsdienste ein weiterer Bereich, in dem Kunden direkt Leistungen messen können. Ein mobiler Erinnerungs-Service hat einem unserer Kunden geholfen, 10.000 Patienten im Jahr mehr zu betreuen. Und ein Internet-basierter Service namens ER@home hilft einem anderen Kunden, die durchschnittliche Wartezeit für Patienten beim Notdienst von 1,5 Stunden auf weniger als eine halbe Stunde zu reduzieren.
Wo sehen Sie die zukünftigen übergreifenden Herausforderungen im Health-IT-Bereich?
Arto Ryymin: Wir müssen als Gesellschaft noch mehr Investitionen und Aufwand in Health-IT stecken - Bereiche, in denen wir wirklich über Leben und Tod sprechen. Wir sollten auch eine völlig integrierte Echtzeitversorgung erreichen; Qualität und Effizienz der Services und Lösungen sollten sich sichtbar verbessern. Und letztendlich müssen wir verstehen, dass nachhaltige Resultate in diesem komplexen Bereich nur erzielt werden, wenn spezialisierte und engagierte Firmen und Fachpersonal gewillt sind, die vollständige Verantwortung für diese Lösungen zu übernehmen.
Dieses Interview wurde uns zur Verfügung gestellt von HealthTechWire.