Interim-Manager

Helden auf Zeit

28.01.2002
Interims-CIOs springen ein, wenn es in einem Unternehmen brennt. Schnell müssen sie die internen Kritiker überzeugen, Problemlösungen erarbeiten und umsetzen. Der Chefsessel auf Zeit ist oft ein heißer Stuhl – geeignet für erfahrene CIOs, die neue Aufgaben suchen.

Das Kürzel CIO steht bei Volker Kirschbaum für "Chaos is over". Wenn der Executive Consultant oder seine Mitarbeiter als Interims-CIOs in ein Unternehmen gerufen werden, herrscht dort oft bereits höchste Not. So auch1998, als er mit einer schnellen Eingreiftruppe zu Babcock Borsig kam: Viele Client-Rechner bei dem Oberhausener Energieanlagen- und Schiffbauer waren veraltet, es gab rund 1600 Software-Programme von 300 Herstellern, der Wildwuchs war immens, die Innovationsrate gering.

Also startete der Manager eine Konzeptionsphase mit Bestandsaufnahme und Kosten-Nutzen-Analyse. Da es aber vor allem an einem konzernweiten IT-Koordinator fehlte, richtete Kirschbaum ein CIO-Büro ein, das er zunächst selbst führte. Von Anfang an dabei waren die IT-Leiter der sieben Geschäftsfelder, mit denen eine Strategie erarbeitet wurde. Nach drei Monaten erhielt die Truppe den Auftrag zur Umsetzung der so genannten Roadmap: „Das hieß, 320 Tochter- und Beteiligungsgesellschaften auf ein IT-Konzept einzuschwören und einheitlich zu steuern“, erinnert sich Kirschbaum.

Kulturschock durch Interims-Manager

Nach sechs Monaten machte er sich auf die Suche nach einem geeigneten Konzern-CIO. Der sollte unbedingt aus der Company selbst kommen. „Ich wollte die Mannschaft ruhig halten. Die Veränderungen durch das Interims-Management hatten bereits einen Kulturschock ausgelöst“, sagt Kirschbaum. Seine Wahl fiel auf Jörg Oestreich, bis dato IT-Leiter des Geschäftsfelds Antriebstechnik.

Die anderen DV-Leiter waren nach seiner Überzeugung chancenlos. Deshalb sollten sie im Zuge einer neuen CIO-Organisation durch intensives Coaching zu strategisch denkenden Chief Information Officers aufgebaut werden. Einer strich daraufhin gleich die Segel, nach Einschätzung des Personalberaters aus verletzter Eitelkeit. Kirschbaum:„Manchmal steht CIO eben auch für ,Career is over‘.“

In Oberhausen jedenfalls zeigte man sich zunächst hocherfreut über die schnellen Erfolge. Doch kaum war nach gut einem Jahr die Tür hinter dem Interims-Team ins Schloss gefallen, begannen die internen Grabenkämpfe. Sie hatten zur Folge, dass ein Teil der teuer erkauften Strategien versandete. Fragt man heute nach, fällt das Urteil über die Performance von Kirschbaum und seine Leute wenig schmeichelhaft aus. Die Modernisierungsleistungen im Konzern – vor allem der Umstieg von SAP/R2 auf R/3 bei neunzig Prozent der Töchter und Niederlassungen im deutschsprachigen Raum – wurden nach Auskunft des heutigen Konzern-CIOs komplett nach Ende des Kirschbaum-Gigs erbracht.

Befugnisse: je mehr, desto besser

Dieses Beispiel zeigt die Schwierigkeiten, mit denen ein Interims-CIO zu kämpfen hat: Argwöhnisch beäugen ihn die Business-Manager, innerhalb kürzester Zeit muss er die Probleme erkennen, ausmerzen und internen Widerständen begegnen, denn viele IT-Leiter sind über die Vorturner nicht gerade begeistert. Deren Erfolg hängt maßgeblich von den Befugnissen ab, mit denen sie ausgestattet werden. „Je mehr, desto besser“, so Kirschbaum, dessen Company, die Kirschbaum Executive Services AG(Kesag) aus München, unter anderem bereits bei Bosch, Debis und der Telekom im Einsatz war.

In jedem Fall muss der Vorstand hundertprozentig hinter den Kollegen auf Zeit stehen – was allein jedoch nicht ausreicht: Besonders für die Umsetzungsphase ist es wichtig, dass auch die operativen Bereiche mitziehen. Diese Faktoren mögen ein Grund dafür sein, dass Interims-Management hierzulande, wo man in Sachen Projektarbeit eher ungeübt ist, noch in den Kinderschuhen steckt. Das bestätigt auch der Bund deutscher Unternehmensberater. Während es laut Kirschbaum in den USA bereits 30.000 und in Großbritannien rund 8000 Interims-Manager gibt, seien es in Deutschland erst 200. Verständnis hat er dafür nicht: Externe seien schneller einsetzbar, motivierter, weil leistungsabhängig bezahlt, und weniger betriebsblind als Interne. Neue Manager dagegen seien in der Regel teuer eingekauft und unter Umständen schwer wieder loszuwerden. „Führungskräfte sind wie Hemdkragen: Ob sie passen, wissen wir erst, wenn wir sie am Hals haben“, warnt Kirschbaum.

So mag es Babcock Borsig mit Gisbert Rühl ergangen sein. Im Frühjahr 1999 übernahm er – zum Leidwesen des neuen Konzern-CIOs – im Vorstand den Bereich Controlling und IT. Vorschnell und im Alleingang habe Rühl seinerzeit die E-Company ausgerufen, klagt Oestreich, der Ende 1999 seinen Schreibtisch räumte. Heute ist er Holding-CIO bei Schmalbach-Lubeca, einem Hersteller von Verpackungsmaterial mit Sitz in Ratingen.

Doch auch mit Oestreichs Abschied kehrte bei Babcock keine Ruhe ein. Rühl inthronisierte zwar Lothar Dietrich als neuen Konzern-CIO, mit dem er gemeinsam die IT-Standardisierung weiter vorantrieb. Doch dann nahm der IT-Vorstand Ende Juli letzten Jahres selbst seinen Hut. Dietrich möchte sich dazu am liebsten gar nicht äußern. Für ihn ist der Konzern jetzt sauber aufgestellt und auf Kurs: „Ich möchte nur noch in die Zukunft schauen.“

Auch Kirschbaum sieht seinen Namen bei Babcock trotz dieser Wirren „alles andere als verbrannt“. Immerhin habe er dem Konzern innerhalb eines Jahres knapp 25,6 Millionen Euro eingespart. Dass in diesem Fall nachdem Abzug seiner Leute nicht alles so lief, wie von ihm geplant, liegt für ihn in der Natur der Sache: „Irgendwann muss jedes Baby allein laufen, so schmerzhaft das zunächst auch sein mag.“