Von Game-Design über Bio-Informatik zu Digitaler Forensik - im Bereich der Informatik lässt sich so einiges studieren. Nicht nur in diesem Fachbereich: Im Vergleich zum Jahr 2008 ist die Zahl der Studiengänge in Deutschland um 40 Prozent gestiegen, so eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) in Zusammenarbeit mit dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI).
16.000 verschiedene Studiengänge bieten deutsche Hochschulen inzwischen an. Kaum ein Abiturient, Arbeitgeber oder Entscheider kennt sich da noch aus. "Bei unseren Bewerbungen sind Abschlüsse dabei, von denen habe ich noch nie etwas gehört", erzählt etwa CIO David Ong, CIO der Cura Unternehmensgruppe mit Sitz in Berlin. "Diese Vielfalt ist schon verwirrend." Nicht nur ihm geht es so. Aber ist der Abschluss überhaupt entscheidend, um nach dem Studium an einen Job zu kommen? Und wie wirkt sich der Abschluss-Dschungel auf die Unternehmen aus?
Trauer ums Diplom
Die "guten alten Zeiten", in denen fast alle Informatiker einen Diplom-Studiengang absolviert hatten, sind vorbei. "Privat trauere ich dem Diplom schon hinterher, denn die Diplom-Studiengänge hatten ein sehr hohes Niveau und waren international hoch angesehen", sagt CIO Ong. Über den Bachelor-Abschluss sind auch andere unglücklich: "Ich denke, dass zum Beispiel in den Ingenieurstudiengängen der Bachelor zu kurz gesprungen ist", sagt auch CIO Thomas Schott von der Rehau AG, einem internationalen Kunststoffverarbeiter. Im Bachelor würden zwar die Grundlagen gelegt, aber nur wenig Wissen vertieft. Der Schluss daraus: Ohne Master geht es nicht. Doch hier offenbart sich ein Problem: Eigentlich ist das Studium darauf ausgelegt, dass nur ein Teil der Absolventen noch einen Master macht. Theoretisch sollten Bachelor-Absolventen befähigt sein, einen Beruf auszuüben. Das hat sich offenbar unter Studenten noch nicht herumgesprochen.
Studenten zweiter Klasse?
Rund drei Viertel aller Studierenden, so die Umfrage, macht noch einen Master hinterher. "Der Bachelor gilt bei vielen Studierenden, ihren Eltern und weiten Teilen der Öffentlichkeit als ein Abschluss zweiter Klasse", heißt es in der Studie. Das bestätigt auch Personalberater Michael Wulf im Interview mit CIO.de.
Dass der IT-Bachelor einen so schlechten Ruf hat, dafür hat Schott eine Erklärung. Es liegt an der klaffenden Lücke zwischen Theorie und Praxis. Vor 15 Jahren sei es in der IT nur um Bits und Bytes gegangen, sagt er. "Heute braucht es ein Verständnis für die Einbindung von Prozessen im Unternehmen und kreatives Denken." Die Erwartungshaltung an Absolventen sei inzwischen eine andere, aber das Studium selbst sei noch nicht darauf ausgerichtet. Heute lernen Studenten nach wie vor hauptsächlich die technischen Aspekte der IT kennen, schränkt Schott ein. Bei der Umstellung von Diplom auf Bachelor wurde die Chance verpasst, die Theorie der Praxis anzupassen.
Praxis fehlt
Wissen über Unternehmensabläufe und die App-Landschaft brächten die meisten Bachelorstudenten nicht mit, sagt Schott. "Ihnen fehlen einfach ein bis zwei Jahre in der Praxis im Unternehmen", sagt er. Cura-CIO Ong stellt aus diesem Grund in der Regel keine Absolventen ein. "Wir können es uns nicht leisten, noch so viel Zeit und Geld in die Ausbildung zu stecken", sagt er. Auf den ersten Blick klingt das für B.A.-Absolventen - und für Firmen, die kaum Auswahl haben - fatal. Doch dahinter verbirgt sich ein Ratschlag für Absolventen.
Beide CIOs achten weniger auf den Abschluss als auf etwas ganz anderes: Praxiserfahrung. "Ein Systemadministrator mit vielen Jahren Berufserfahrung ohne Studium kann fachlich besser sein als ein Master", sagt Ong. Dem kann sich Schott nur anschließen: "Mir ist es wichtiger, dass ein Bewerber Praktika gemacht hat und vielleicht sogar im Ausland war. Ich habe lieber einen Bewerber mit Ecken und Kanten, als einen mit glattgebügeltem Lebenslauf." Praxiserfahrung und der Blick über den Tellerrand sind für beide CIOs wichtiger als ein Zertifikat.
Master unnötig
Tatsächlich beweist die Studie, dass die Weiterbildung zum Master nicht unbedingt das Beste ist, was Absolventen machen können: "So ist es für 70 Prozent der Unternehmen nach eigenen Angaben bei der Besetzung von Fach- und Führungspositionen irrelevant, über welchen Abschluss - Bachelor oder Master - ein Kandidat verfügt, und wo dieser erworben wurde - Universität, Fachhochschule oder Berufsakademie", heißt es in der Studie.
Entscheider sehen die Abschluss-Frage ganz locker: "Mir persönlich ist es eigentlich nicht so wichtig, ob jemand ein Diplom, einen Bachelor, oder einen Master-Abschluss hat", sagt Ong. Die Persönlichkeit sei ausschlaggebend. Auch CIO Schott sagt: "Wir stellen sehr viele Bachelor-Absolventen im Bereich der Informatik und Wirtschaftsinformatik ein und sind sehr mit ihnen zufrieden." Entscheider müssen eben wissen, worauf sie sich einlassen und andere Erwartungen an die Absolventen stellen als früher.
Hauptsache, irgendein Abschluss
Dass man im Studium nicht das lernt, was man im Beruf nachher braucht, hatte man schon geahnt. Ein Abschluss, egal welcher Art, sei doch nur eines: "Er ist eine Karte, die man ausspielt", sagt Schott. Er sei eine Eintrittskarte in das Berufsleben. "Mit einem Master beweise ich, dass ich in der Lage bin, wissenschaftlich zu arbeiten und mich in mehrere Themengebiete hineinzudenken - mehr auch nicht", sagt Schott. Welche Spezialisierung derjenige Kandidat dann habe, sei letztendlich wieder egal.
Trotzdem bringen der Bachelor und der Abschlussdschungel ganz andere Probleme mit sich als das Diplom.
Zu jung zum Arbeiten
Die Umstellung im Bologna-Prozess hat dazu geführt, dass die Absolventen deutlich jünger sind als noch vor einigen Jahren. Statt mit etwa 28 Jahren - das Durchschnittsalter eines Diplom-Studenten - bewerben sich bei Firmen nun im Schnitt 25-Jährige. Dank achtjährigem Gymnasium und ausgesetztem Wehrdienst klopfen sogar 21-Jährige bei Firmen an. Das hat Folgen: "Stärker als vorher werden von den Unternehmen bei den "jüngeren" Absolventen jedoch Defizite im Bereich der sozialen Kompetenzen festgestellt", heißt es in der Studie. Ganz von der Hand weisen lässt sich dieser Kritikpunkt wohl nicht: "Die Reife ist schon ein Thema", gibt auch Schott zu.
Etwas anderes kommt hinzu: "Einerseits ist die Durchdringung des Alltags mit der IT gigantisch. Die jungen Absolventen sind mit Facebook und Co. aufgewachsen", sagt Schott. Im Gegensatz zu 1995 beispielsweise müssten Menschen nun viel mehr Informationen in kürzerer Zeit verarbeiten können. Hinzu käme, dass die Jungen mit vergleichsweise "einfacher IT" aufwachsen, die Prozesse und Anwendungen im Unternehmen hingegen deutlich schwieriger sind. "Es dauert einfach eine Zeit, bis man sich da eingearbeitet hat", sagt Schott. Die Reife, im IT-Bereich arbeiten zu können, muss man sich erarbeiten. "Mit dem Alter hat das nichts zu tun", setzt Schott hinzu.
Längeres Recruiting
Auf Unternehmen kommt mit dem Bologna-Prozess und der Umstellung auf den Bachelor ein längerer Einstellungs-Prozess zu: "Ich denke, dass die Explosion der Studiengänge für die gesamte Branche bedeutet, dass der Recruiting-Prozess deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt", sagt CIO Ong. "Man kann die vielen Studiengänge einfach nicht mehr miteinander vergleichen", sagt er. Im Diplom half der Blick auf die Spezialisierung im Hauptfach weiter - das ist passé. Weil auch an jeder Uni zum Beispiel der B.A. Informatik anders gestaltet ist, müssen Personaler und Entscheider intensiv mit dem Kandidaten auseinandersetzen.
Heute käme es mehr auf die inhaltliche Gestaltung der Bewerbung an, sagt Ong. "Ich will im Anschreiben sehen, dass der Bewerber Dinge auf den Punkt bringen kann." Gleichzeitig muss ein Entscheider auch herausfinden, welche Fähigkeiten ein potenzieller Mitarbeiter tatsächlich mitbringt, da sich dies am Zeugnis nicht ablesen lässt. "Wir sind mittlerweile dazu übergegangen, im Interview kleine Fallstudien durchzuführen", sagt Ong. Das ist aufwändig und kostet Zeit - und Geld.
Kreative vor!
Die Investition in die Gespräche ist aber nicht umsonst: "Heute muss ein Bewerber kommunizieren und präsentieren können und ein Prozessverständnis mitbringen", sagt Schott. Das steht weder auf einem Zeugnis, noch lernt man so etwas in einer Hochschule. "Wenn er dieses Verständnis nicht hat, kann er auch ein Diplom mit Note 1 haben und es bringt ihm nichts." Da bevorzuge er lieber einen Dreier im Bachelorzeugnis mit gutem Verständnis für Unternehmensabläufe und Kreativität, meint Schott. Hauptsache, der Bewerber kann ihn von sich überzeugen. Schon ist das Blatt Papier mit dem Abschluss Nebensache.