CIO Michael Loechle

Hitachi Energy stellt IT auf eigene Beine

18.03.2024 von Jens Dose
Das IT-Team baute eine IT-Umgebung für 40.000 Mitarbeitende auf der grünen Wiese auf.
Michael Loechle, CIO von Hitachi Energy: "Das ist eine 'once in a lifetime' Chance, die wir nur mit unserem exzellenten Team wahrnehmen konnten."
Foto: Hitachi Energy

2018 kündigte der Schweizer Energie- und Automationstechnik-Konzern ABB an, seine Stromnetzsparte an Hitachi verkaufen zu wollen. Im Januar 2019 wechselte der damalige Interim-ABB-CIO Michael Loechle in diese Division, die rund ein Viertel von ABB ausmachte. "Ich wollte diesen Deal mitmachen. Das ist eine 'once in a lifetime' Chance, die wir nur mit unserem exzellenten Team wahrnehmen konnten," sagt der IT-Chef. Damit begann die Planung für den so genannten Carve-out der kompletten Sparte.

Planung des Carve-outs

Im Sommer 2020 ging die Stromnetzsparte in ein Joint Venture namens Hitachi ABB Power Grids über. "Die große Überraschung für uns war, dass Hitachi unsere IT nicht integrieren, sondern eigenständig aufstellen wollte," so Loechle. Das sei unüblich bei einem Carve-out dieser Größe - er umfasste zirka 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jedoch bliebe Hitachi so strategisch flexibel.

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Also musste das Team um Loechle für den Geschäftsbereich eine komplett neue, eigene IT "auf der grünen Wiese" aufbauen. Das betraf auch die IT-Infrastruktur für etwa 200 Fabriken in 70 Ländern.

Schneller als gedacht

Um in der Übergangsphase das Geschäft aufrecht zu erhalten, wurde ein Transitional Service Agreement (TSA) für den IT-Bereich zwischen den beiden Unternehmen vereinbart. Dabei wurde im Betrieb der Infrastruktur und der Applikationen unterstützt.

2022 kaufte Hitachi - früher als geplant - die Anteile der ABB an der Stromnetzsparte auf und machte das Unternehmen zu einer hundertprozentigen Tochter: Hitachi Energy. Das TSA lief noch bis zum Sommer 2023. Loechle: "Wir haben eine Punklandung hingelegt; am 1. Juli 2023 waren alle Nicht-ERP-Anwendungen und die gesamte IT-Infrastruktur in die neue Umgebung migriert."

Für das neue ERP hatte sich Hitachi Energy entschieden, die rund 30 lokal betriebenen SAP-Systeme der ehemaligen Power-Grids-Sparte in eine einzige globale S/4HANA-Instanz zu überführen. Das Projekt wird vom Business aus geführt. "Das TSA für das ERP läuft noch weiter," so der IT-Chef.

Gleichzeitig wurden ein Großteil der HR-Systeme auf Workday verschoben, das weltweite Personal-System der Hitachi Group. Zudem wurde ServiceNow als Plattform für das IT-Service-Management implementiert.

Für die neue Infrastruktur wählte die Firma einen externen Servicepartner: "Wir habe keine eigenen Rechenzentren aufgebaut, sondern sind direkt in die Cloud, auch mit vielen Applikationen." So wird etwa S/4HANA auf Microsoft Azure gehostet. Die Strategie von Hitachi Energy ist, es keine eigene Infrastruktur, wie beispielsweise Data Center aufzubauen und zu betreiben.

Weg mit alten Zöpfen

Im Zuge dessen sollte auch die Anzahl der Anwendungen reduziert werden. "Wir hatten viele historisch gewachsene Applikationsportfolios in den Fabriken. Das wollten wir harmonisieren und verschlanken," so Loechle. Bisher habe sein Team etwa 1.000 Anwendungen abschalten können, rund 3.500 sind noch in Betrieb. Das weiter zu reduzieren, bleibe eine Kernaufgabe, erläutert der CIO.

Um neuen Wildwuchs zu vermeiden, organisiert Loechle zudem die IT-Verantwortlichkeiten um. Folgende Struktur soll im Frühjahr in Kraft treten: Die Cloud und die großen Plattformen wie Workday, Servicenow oder Salesforce bleiben zwar unter der Oberhoheit der zentralen IT. "Wir geben aber viel mehr Verantwortung in unsere vier Business Units ab im Sinne der Demokratisierung der IT." Wenn die Geschäftsbereiche selbst direkt für ihre IT bezahlten, hätten sie die nötige Transparenz und würden stärker darauf achten, ihre IT-Applikationslandschaft zu reduzieren.

Die Business Units sind damit für den gesamten Applikation-Stack zuständig. Das umfasst das Anwendungs-Management, die Service-Auslieferung und das Patchen der Apps. Guidelines und Policies - Security-, Architecture, und Governance-Framework - gibt die zentrale IT vor, umsetzen müssen sie die Geschäftseinheiten.

"Das ist ein großer Change, in dem wir auch viel IT-Personal in die Geschäftsbereiche verlagern, damit sie diese Aufgaben stemmen können," erklärt Loechle. In der alten Welt habe es drei IT-Standbeine gegeben: die Corporate-, die Business- und die regionale IT. Letztere werde aufgelöst und die IT-Belegschaft aus diesem Bereich in die Business Units integriert. Zudem werden IT/OT-Spezialisten aus den Standorten und Fabriken, die bisher nicht unter der Business-IT liefen, dort angesiedelt. Nun gibt es nur noch Konzern- und Geschäftsbereich-IT. Letztere bleiben jedoch Teil der Gesamt-IT.

Die verschiedenen IT-Domänen teilen sich in Core, Common und Distinct. Core beschreibt die Plattformen, die alle Geschäftsbereiche benutzen. Distinct bezieht sich auf Applikationen, die nur in einem Bereich eingesetzt werden, diese machen den größten Anteil aus. Common bezeichnet IT, die in mehreren, aber nicht allen Geschäftsbereichen vorhanden ist, wie etwa Product-Lifecycle-Management.

So sollen die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Business Units besser bedient werden können - etwa das Zusammenspiel von IT und OT. "Da die Geschäftsmodelle so verschieden sind wie bei unseren Geschäftsbereichen, muss das im Business direkt passieren," urteilt der IT-Chef.

Timeline der Migration

Bis Ende Juni 2023 wurden alle 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Laptops ausgestattet. "Mit den Lieferkettenproblemen während und nach Corona war das eine große Herausforderung," erinnert sich Loechle. Diese Herkulesaufgabe stemmte die IT in 12 sehr kurzen Phasen nach Ländern gestaffelt.

Der Wechsel auf die neue Infrastruktur erfolgte in einem Big Bang. Dazu baute Hitachi Energy ein großes internes Team für Change-Management auf und holte sich externe Unterstützung dazu. Es habe viele Schulungen und Trainings gegeben, so Loechle.

Die Applikationen wurden ab 2020 über drei Jahre hinweg verschoben. Dazu gab es eine "Migrations-Factory", in der die IT mit einem externen Partner gemeinsam die Anwendungen schrittweise in die neue Infrastruktur hob.

"Das war auch eine große Chance für uns, da wir jede einzelne App anfassen und migrieren mussten und so zum ersten Mal wirklich gesehen haben, wie viele und welche Applikationen wir überhaupt haben," so der CIO. So kämen auch mögliche Schatten-IT-Anwendungen in den Geschäftsbereichen zutage, die es für die Teams in der Folge abzubauen gelte. "Es darf keine IT in Business Units mehr geben, für die die Business-Unit-IT nicht zuständig ist," formuliert Loechle das Ziel.

Durch den TSA wurden Großteile der alten Umgebung gespiegelt. Nun gilt es zu evaluieren, was wirklich dem Business zuträglich ist. Unter dem Motto "Fit for Purpose" analysiert das Team um Loechle Teile der IT, die unter- oder überversorgt sind und will sie entsprechend anpassen.

Unerwartete Kosten

Es lief jedoch nicht alles rund. "Die Group-Services, die wir aus der vorherigen Konzernstruktur bezogen haben, mussten wir ebenfalls in der neuen Umgebung abbilden," berichtet Loechle. Das schließt etwa Compliance, Regularien-Management, Finanz-Controlling, People-Management und Risikomanagement mit ein.

"Diese Non-Core-IT-Services aus dem TSA habe ich unterschätzt," gibt Loechle zu. Solche Dienste selbst neu aufzubauen war teurer und aufwändiger als gedacht. "Im Nachhinein hätte ich mir also einen großzügigeren finanziellen Puffer heraushandeln sollen," resümiert der CIO.

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