Hoerbiger ist mit 6400 Mitarbeitern und über einer Milliarde Euro Umsatz pro Jahr ein klassischer, mittelständischer Hidden Champion in technologieintensiven Nischenmärkten. Beim Business Change Projekt "Together" ging es dem Konzern um die weltweite Standardisierung von Prozessen.
Diese sollen in Zukunft überall auf der Welt gleich sein, beschlossen die Verantwortlichen. Wichtig war ihnen dabei keinesfalls eine Standardisierung nur um der Standardisierung willen. "Es geht uns immer um den Nutzen für den Kunden", sagt Thomas Kriechbaum, Senior Vice President bei Hoerbiger Kompressortechnik in Wien. "Standardisierung verbessert und vereinheitlicht die Servicequalität."
Das Rad nicht immer wieder neu erfinden
Außerdem wird so vermieden, dass das Rad immer wieder neu erfunden werden muss. Wenn es für das Servicegeschäft einheitliche Prozesse gibt, ist das bestehende "Best-Practice-Wissen" weltweit schnell verfügbar. Kriechbaum: "Das Wissen, das in Kanada entsteht, können wir so mit geringem Aufwand auch in Australien nutzbar machen."
Das Standardisierungsprojekt "Together", das der Hoerbiger Konzern 2013 begonnen hat, ist insgesamt rund zehn Millionen Euro teuer, soll drei Jahre dauern und hat ehrgeizige Ziele.
"Together" als Blaupause für erfolgreiches Miteinander
"Für jeden der Beteiligten war und ist es eine persönliche Mission, das Projekt zum Erfolg zu führen", berichtet Josef Richter, Leiter Corporate IT. "Die Verantwortung wurde von allen gemeinsam getragen. Alle persönlichen Agenden, die man in anderen Projekten häufiger erlebt, wurden für den Gesamterfolg zurückgestellt." Das Projekt soll nun zu einer Blaupause für das erfolgreiche Miteinander auch in anderen Projekten werden.
"Implementiert werden die neuen Serviceprozesse in einer aus SAP und dem proprietären Servicetool ESM (Engineering, Surveillance & Maintenance) bestehenden IT-Landschaft", sagt Richter, "wobei die Systeme hinter einer neuen geschäftsprozessorientierten, intuitiven Benutzeroberfläche verschwinden sollen."
Johann Hipfl, Mitglied der Konzernleitung, formuliert als Ziel des Projekts, "eine einheitliche Prozessumgebung zu schaffen, in der alle Teile des Unternehmens nahtlos zusammenarbeiten und Ressourcen, Wissen und Informationen gemeinsam nutzen können." Er ist stolz darauf, wie schnell das Ziel erreicht werden konnte.
In der Vergangenheit lief nicht alles rund
In der Zusammenarbeit zwischen Business und IT ist in der Vergangenheit nicht immer alles rund gelaufen. Richter sagt über den Zustand der IT, wie er vor einigen Jahren war: "IT und Business haben sich nicht sehr gut verstanden. Die IT war rein auf den Applikationsbetrieb fokussiert und an wichtigen, das Kerngeschäft von Hoerbiger betreffenden Change-Projekten überhaupt nicht beteiligt."
Die IT habe zwar den SAP-Betrieb am Laufen gehalten, viel mehr aber nicht. Die Gestaltung der Zukunft habe hauptsächlich in der Hand von Externen gelegen. "Die Frage war, wie wir aus den beiden Gruppen IT und Business ein gemeinsames Team formen können, mit dem man so ein großes Change-Management-Projekt stemmen kann", sagt Richter.
Viel Zeit genommen für das Projektteam
Und das war die Antwort darauf: Beim Projekt "Together" unterstützten externe Berater der Boston Consulting Group (BCG), die im Konzern bereits 2012 den Unternehmens-Review "ingnITe" durchgeführt hatte. Sie empfahlen am Ende, den SAP-6.0-Backbone weiter auszubauen, und bestärkten die Verantwortlichen darin, Standardisierung und Harmonisierung unternehmensübergreifend voranzutreiben.
"Es gab von uns über sechs Monate nur ein sehr kleines Team aus BCG-Beratern und einem Experten der BCG-Tochter Platinion", sagt BCG-Projektleiter Thorsten Kahlert. "Erklärtes Ziel war das Enablement des Hoerbiger-Teams - dafür durfte es auch etwas länger dauern." Dass man sich zu Projektbeginn und während des Projekts diese Zeit genommen hat, habe sich im späteren Projektverlauf mehr als ausgezahlt. "Das Team hat nach dem Ausscheiden der Berater das Projekt naht- und reibungslos fortgeführt."
Business-Mitarbeiter erstmals für ein Projekt freigestellt
IT-Leiter Richter sagt: "Wichtig war das Setup mit einem Team aus IT und Business. Und dass mit Thomas Kriechbaum ein Manager aus dem Business das Projekt leitete." Kahlert ergänzt: "Seine Mitarbeiter wurden für die Aufgabe freigestellt, und das Projekt wurde eindeutig verantwortlich bei ihm im Business verankert. Ohne diese Maßnahmen wäre das Projekt nie gestartet".
"Together" war das erste Projekt bei Hoerbiger, bei dem für den Einsatz im Projekt dedizierte Ressourcen aus dem Tagesbetrieb des Business herausgenommen wurden. Zuvor hatte die IT alle Projekte hauptsächlich alleine realisiert.
Ab Januar 2013 gab es das "Bootcamp"
Noch etwas war anders als sonst: In der ersten Phase ab Januar 2013 gab es ein Bootcamp in den Räumen der Hoerbiger IT in der Wiener Guglgasse. "Es diente der Grundausbildung und der Team-Bildung. Alle Mitarbeiter von Business und IT sollten einen einheitlichen Stand haben. Die Ausbildung war sowohl fachlich als auch technisch auf das Geschehen vor Ort auf dem Shopfloor ausgerichtet", sagt BCG-Manager Kahlert. "Aber es ging auch um Methoden wie Projektmanagement, Prozessdefinition, effektive Kommunikation und Meeting-Organisation. Jeder im Team nahm an den regelmäßigen Trainings teil."
"In den ersten drei Monaten ging es darum, das Team zusammenzubringen und ihm eine Identität zu geben. BCG gab uns dafür Impulse und Hilfestellungen, wie man das Projekt mit der richtigen Struktur aufsetzen kann", sagt Kriechbaum. Zusammen haben sie eine Methode entwickelt, mit der das Unternehmen seine Prozesse dokumentieren und standardisieren kann. Diese wurden dann vereinheitlicht, dokumentiert und mit der gesamten Organisation abgestimmt, um daraus dann ein System für den KT-Servicebereich (Kompressortechnik) zu entwickeln.
"Wie verdienen wir unser Geld im Servicegeschäft? Wie läuft der Service? Wie macht man eine Ventilreparatur?", lauteten einige der Fragen. "Wie funktioniert das bisherige, proprietäre System ESM", "wie lenkt man Prozesse?", hießen andere.
Besuch beim Service-Stützpunkt in Verona
Bei einem gemeinsamen Besuch des gesamten Teams bei einem Service-Stützpunkt im italienischen Verona gab es weitere Antworten. Thomas Kriechbaum: "Wir haben für einen Tag 40 Leute in eine Servicefirma gebracht, um die Dinge nicht nur in der Theorie kennenzulernen, sondern im Leben zu sehen." Vor Ort erlebten alle die Prozesse, die ein Service durchläuft, sie arbeiteten im Verkauf und in der Verwaltung mit. "So hatte am Ende jeder das gleiche Verständnis", sagt Kriechbaum.
Richter: "Nach dem Bootcamp wussten die Teilnehmer: Ich gehöre dazu und bin für eine erfolgreiche Lösung mit verantwortlich. Die positive Anspannung, die Leidenschaft und Ausdauer, die dadurch entstanden sind, haben uns geholfen, über spätere schwierige Situationen erfolgreich hinwegzukommen."
In der Spitze waren 55 Mitarbeiter an dem Projekt beteiligt. Hinterlegt war ein gut durchstrukturierter Prozess. Für jeden Mitarbeiter gab es klare Zielvereinbarungen über die jeweilige Rolle, über Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. "Wir haben nicht gesagt, wir setzen uns mit den Mitarbeitern zusammen, und dann wird das schon irgendwie", sagt Kriechbaum.
"Wir haben kontinuierlich Feedback gegeben"
Außerdem gab es für die Arbeit regelmäßig Rückmeldungen - auch von den BCG-Beratern. "Wir haben den Mitarbeiter kontinuierlich Feedback gegeben und konnten daraus auch Konsequenzen ziehen", berichtet BCG-Mann Kahlert. Schnelles, konsequentes Handeln war bei dem Projekt wichtig.
Ebenso bedeutsam für den Projekterfolg war auch das neue Bürokonzept der Corporate IT in Wien. Ziel des Konzepts "IT-Office of the Future" war es, das richtige Arbeitsumfeld mit Räumen, Tools und Methoden zur Verfügung zu stellen. Kommunikation sollte so gefördert, Informationsfluss und Kreativität unterstützt werden. Es gibt bei der Corporate IT seitdem eine offene Bürolandschaft mit Projekt-, Kreativ- und Rückzugsräumen, Meeting-Sälen und Telefonkabinen.
Eigener Projekt-War-Room für IT und Business
"Wir haben einen eigenen Projekt-War-Room eingerichtet. Business und IT haben dort Tag für Tag zusammengearbeitet, wirklich zusammen gesessen, nicht an verschiedenen Orten wie sonst, so dass wir von der ersten Minute an alle Aufgaben gemeinsam bearbeiten konnten. Jedes Thema konnten wir sofort mit dem dafür Verantwortlichen besprechen und abstimmen. Dies erzeugte eine unglaubliche Dynamik, weil der jeweilige Experte sofort greifbar war und einfach nichts liegenblieb", sagt Richter. "Wenn man schnell zum Kollegen im gleichen Raum gehen kann, hat das einen unschätzbaren Wert für ein Projekt", lobt auch BCG-Projektleiter Thorsten Kahlert.
Dabei haben alle von Anfang an global gearbeitet. Kriechbaum : "Es gab weltweite Abstimmungs- und Kick-Off-Meetings, um von allen Input zu bekommen, die in Zukunft mit den neuen optimierten und effizienteren Prozessen arbeiten sollten, um sie frühzeitig in das Projekt zu involvieren."
Sehr früh im März und April 2013 - und damit neun Monate vor dem geplanten Rollout im November - haben die Mitarbeiter des Projekts die Best-of-class-Prozesse definiert und dann in mehreren Runden mit allen besprochen. Kahlert: "Jede Region weltweit musste diese prüfen und final gegenzeichnen, um auch die notwendige Unterstützung zu bekommen."
Schulung für Mitarbeiter nicht mehr nötig
Am Ende und als Ziel des Projekts standen die weltweit abgestimmten, einheitlichen Prozesse ohne Redundanzen, abgebildet in einer sehr einfach zu bedienenden Anwendung, die den Anwender vor der zugrundeliegenden komplexen Technologie abschirmt. Prozessabläufe wurden so einfach aufgebaut, dass die Anwender die Prozesse fast ohne Schulung abarbeiten können.
Am 9. November 2013 war es soweit: Seit diesem Tag, dem Go-live in Dubai, gibt es bei Hoerbiger neue, effizientere Geschäftsprozesse, die mit einfach zu bedienender Technologie abgebildet werden.
Die Best Practices stehen nun allen zur Verfügung. "Für Wachstum und Effizienz braucht man Standardisierung. Bei einer Ventilreparatur oder einer Auftragsbestätigung sind unsere Prozesse überall dieselben", sagt Kriechbaum.
"Es ist wie beim iPhone", sagt Richter. "Die Anwendungen werden so einfach, dass jeder damit erfolgreich arbeiten kann. Ich denke nicht mehr an SAP oder Technologie, sondern nur noch an Prozess und Geschäft. Es gibt keine Ablenkung durch Technik, die Komplexität ist für den Nutzer unsichtbar."
Nur noch eine Arbeits-Oberfläche
Komplizierte Standard-SAP-Screens gibt es nun nicht mehr. Statt zwei Oberflächen gibt es nur noch eine. SAP und ESM wurden unter einer neuen gemeinsamen Oberfläche zusammengefügt, dem Netweaver Business Client. Beide Tools verbinden sich vom Benutzer unbemerkt im Hintergrund, das lästige Wechseln zwischen den Programmen entfällt.
Kriechbaum vergleicht die neue Arbeitsweise mit der einfachen Menüführung von Fahrkartenautomaten, nur dass sich mit der neuen Lösung selbsterklärende Geschäftsprozesse abwickeln lassen. "Es gibt jetzt kleine Geschäftsschritt-geführte User-Interfaces, bei denen sich der Anwender nicht mehr verlaufen kann", sagt Richter.
Aufbau einer neuen Prozessorganisation
"Das Projekt ist ein Rollenmodell dafür, wie Hoerbiger funktionieren sollte", sagt Richter. "Wir können nun das Know-how des Teams, unsere Konzepte und Vorgehensweisen auch den anderen Kollegen im Konzern zur Verfügung stellen." So werden sowohl die im Projekt "Together" entwickelten Toolkits heute bereits in anderen Projekten (CRM) und von weiteren Fachbereichen (Risk Management) eingesetzt. Überall gibt es nun eine Fokussierung auf Geschäftsprozesse, die sich auch im Aufbau einer neuen Prozessorganisation ausdrückt.
Die Einführung ebnet den Weg für den globalen Rollout in den kommenden drei Jahren. Er soll, so sagt Kriechbaum, in vier parallelen Streams durchgeführt werden. Dieses Vorgehen ist zwar sehr komplex, aber schneller als die serielle Abwicklung. Der Geschäftsnutzen werde so schneller erreicht.
Unter der Schirmherrschaft der Konzernleitung
Zwischenzeitlich wurden parallele Rollouts in den Service-Niederlassungen USA, Südafrika, Ägypten, Libyen und Algerien erfolgreich durchgeführt und damit das Gesamtkonzept bestätigt.
Das Projekt hat eine hohe Priorität für den gesamten Konzern. Es stand und steht unter der Schirmherrschaft der Konzernleitung, die sich nicht nur zu Beginn für Strategie, Kosten und Nutzen interessiert hat, sondern die den Prozess bis zur Implementierung begleitet hat. Ein weiterer Grund für den Erfolg, sagt BCG-Projektleiter Kahlert.
Das Projekt "Together":
Branche: Kompressortechnik, Maschinenbau
Zeitrahmen: 2013 bis 2017
Mitarbeiter: 45+
Aufwand: rund 10 Millionen Euro
Produkte: SAP ECC 6.0, SAP Netweaver Business Client, SAP Fiori, .Net
Web: www.hoerbiger.com