Düngemittel herzustellen erfordert viel Platz und Energie. Deshalb liegen die Fabriken meist in dünn oder gar nicht besiedelten Gebieten und nahe an Gasvorkommen. Zudem sind die Fertigungsanlagen so komplex und teuer, dass ihre Betreiber Planung, Konstruktion und Bau üblicherweise an Fremdfirmen vergeben, schlüsselfertig zum Festpreis. Nur wenige Anlagenbauer gehen das Wagnis solcher "Lump-sum-Turnkey"-Aufträge ein. Einer von ihnen ist die in Dortmund beheimatete Uhde-Gruppe aus dem Thyssen-Krupp-Konzern.
Jüngstes Projekt in dem von langen Kontraktlaufzeiten, hohen Auftragssummen und ebensolchen Vertragsrisiken gekennzeichneten Orderbuch der Westfalen ist eine Fabrik für Ammoniak und Harnstoff. Sie entsteht im Auftrag der Saudi Arabian Fertilizer Company (Safco) in der Wüste nahe der Industriestadt Jubail. Ab Februar 2006 sollen dort täglich 3300 Tonnen Ammoniak - so viel wie in keiner anderen Anlage weltweit - und 3250 Tonnen Harnstoff produziert werden.
Uhde ist Anlagenbauer. "Es gibt keine Disziplin, die wir nicht haben: Finanzierung, Projektmanagement, Chemische Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Rohrleitungstechnik, Maschinenbau und Bauingenieurwesen, Beschaffung, Logistik, Bau- und Montageüberwachung", umreißt Olaf Röper, Bereichsleiter Information Systems, die Leistungen. Auf der Grundlage von meist zugekauften Lizenzen für chemische Verfahren - die Safco-Lizenzen stammen von einem niederländischen und einem norwegischen Unternehmen - werden im Rahmen des "Basic Engineering" am Stammsitz in Dortmund Skalierungen, Optimierungen und lokale Spezifizierungen, Drücke und Temperaturen berechnet. Daraus entstehen "Piping and Instrumentation Diagrams" (PIDs), aus denen die IT eine Apparateliste mit den erforderlichen Pumpen- und Reaktorleistungen ableitet; für Safco gibt es rund 300 PIDs.
Diese dienen als Vorgaben für das "Detail Engineering", das meist von rund 700 Ingenieuren bei der Tochtergesellschaft Uhde India in Mumbai, teilweise jedoch auch von Subkontraktoren erledigt wird. Hierbei entsteht das dreidimensionale Konstruktionsmodell für die Anlage, mit exakt beschriebenen Pumpen, Reaktoren, Rohrleitungen und Rohrbrücken. 90 000 "Tagged Items" umfasst das Safco-Project. Alle müssen beschafft, elektronisch dokumentiert und logistisch geplant werden. Das hat es in sich: Für manche Komponenten sind die Lieferfristen so lang ("Long lead Items"), dass sie bereits vor dem Beginn des Detail Engineering geordert werden müssen, um den Übergabetermin einer Anlage halten zu können. Dann muss parallel gearbeitet werden, das Grauen schlechthin für Planer: Sie müssen mit unsicheren Annahmen arbeiten, immer wieder sind Synchronisierungen der Entwicklungsarbeiten erforderlich.
Risiko Subkontraktoren
Die liegen zudem nicht in einer Hand. Für jede Komponente lautet die Frage: Wie tief spezifiziert Uhde selbst? "Bei Pumpen ist es klar", so Röper. "Wir geben etwa Förderhöhe und Förderleistung vor; wie die Pumpe im Detail aussieht, entscheidet der Lieferant. Auch beim Stahlbau legen wir nur fest, wo die Rohrleitungen liegen und welche Lasten darin anliegen; der Lieferant detailliert in enger Abstimmung mit uns." Da ist jedes Mal zu entscheiden: Make or buy? - selbst machen oder einkaufen.
Hohe Service-Levels in der Wüste
"Bei jedem Auftrag müssen wir die Tools für Konstruktion, Beschaffung, Logistik, Baustellenunterstützung und das Auftragscontrolling bereitstellen", beschreibt Röper die Rolle der IT. Es ergibt sich jeweils ein auftragsspezifischer internationaler "Split of Work", der von der IT abgebildet, implementiert und in einen stabilen Betrieb auf Zeit überführt werden muß, bis zur Übergabe der Anlage an den Betreiber. Diese internationale Arbeitsteilung beziehungsweise die weltweite Dislozierung der Ressourcen, urteilt Röper, ist die größte Herausforderung in seinem Verantwortungsbereich.
Am Beispiel eines eigentlich simplen Tasks wie der Datensicherung wird das besonders deutlich. "Lokale Daten", schildert der Leiter der Gruppe PCS (Project and Contract Support) Ulrich Stramma , "sind nach Möglichkeit dort angelegt, wo sie anfallen, um nicht alles über Leitungen übertragen zu müssen. Wir haben also Content in Dortmund, in Indien und auf der Baustelle in Saudi-Arabien. Dort wird Samstag und Sonntag gearbeitet; Freitag ist frei. "Wir müssen also zusehen, dass wir die Vollsicherung des Contents nach Möglichkeit Freitagnacht hinbekommen." Gleichzeitig arbeiten die Ingenieure bei Uhde India jedoch im Zweischichtbetrieb, auch am Freitag; sie brauchen ständigen Systemzugriff. Indiens Zeitzone ist viereinhalb Stunden vor unserer, so dass nur dreieinhalb Stunden für die Sicherung bleiben.
Die IT-Dimensionen auf der Safco-Baustelle entsprechen denen eines kleinen mittelständischen Unternehmens: Rund 100 PCs, Server, Weitverkehrsleitungen und Support. Die Software-Ausstattung umfasst 3D-CAD-Software, Dokumenten-Management und Lagerverwaltung sowie Lösungen zur Planung, Steuerung und Abrechnung von Fremdleistungen. Hinzu kommen Systeme zur Überwachung und Dokumentation aller Inbetriebnahme-Aktivitäten sowie technische Berechnungsprogramme und Administrations-Software für die Baustelle mit allen Subcontractoren; zeitweise arbeiten in Al Jubail tausend Menschen. Nicht zu vergessen das übliche Office- und Kommunikationsequipment. Rund 3 Millionen Euro wird allein die IT auf der Safco-Baustelle bis zur Übergabe der Anlage gekostet haben. Im Durchschnitt aller Projekte und inklusive Administration und Personalverwaltung am Stammsitz kommt Röpers 50-köpfige IT-Mannschaft auf eine respektable Budget-Kennzahl von 1,5 Prozent vom Umsatz.
Standardisierung wird in der Uhde-IT angestrebt, ist sogar Bestandteil der IT-Strategie (Röper: "Nur Standardisiertes kann man nach außen vergeben."). Aber oft ist man in Dortmund gezwungen, einen vertraglich festgelegten Teil der Kontraktsumme an Subunternehmer aus dem Land des Kunden zu vergeben. Teils handelt es sich dabei um kritische Funktionen im Detail Engineering mit hoher Wertschöpfung. Diese Forderungen nach "Local Content" machen den Job von Stramma, der die Verhandlungen mit den Dienstleistern führt, mitunter zu einem Drahtseilakt. "Ich nehme das aus dem lokalen Markt, was ich qualitativ verantworten kann", sagt Stramma, der so oft wie möglich auf bewährte Partner zurückgreift.
Mit dem Qualitäts- und Preisproblem hat es sich nicht: Die Subkontraktoren bringen eigene Tools und Schnittstellen mit, und Röpers Mannschaft muss die Prozesse dann so gestalten, dass das Basic Engineering in Dortmund mit fremdem Detail Engineering zusammenspielt. Kompliziert - aber im Grunde ist die Aufgabe ganz einfach zu verstehen, findet Röper: "Auf der Baustelle muss es passen, sonst stehen ein paar Hundert Leute herum und drehen Däumchen."
Routine - ein stiller Wunsch
Die IT arbeitet nah am Geschäft; wesentliche Teile des Salärs sind erfolgsabhängig. Damit hängt auch gleich die wichtigste Komponente der IT-Strategie zusammen, so Röper: "Wir gehen frühzeitig in die Angebote und stellen bei großen Aufträgen während der Abwicklung einen IT-Koordinator." Bei Safco ist das Stramma, er muss sich mit dem Fachbereich und mit Röper abstimmen. Außerdem arbeitet in der IT-Mannschaft ständig für je ein bis anderthalb Jahre ein "Rotierer" aus dem Projektmanagement. "Der nimmt IT-Wissen in den Fachbereich mit, befruchtet aber auch unsere Arbeit. Es gibt da ein paar Burschen, die machen uns schon ganz schön Feuer unter dem Hintern", sagt Stramma anerkennend. Ein innovatives Verfahren, streicht Röper heraus: "Meist wird die IT als Service, als notwendiges Übel, als reines Cost-Center definiert. Wir dagegen tragen Verantwortung für den Gesamterfolg."
Der hängt oft nicht nur daran, dass die IT und die Uhde-Ingenieure insgesamt einen guten Job machen, sondern auch an höherer Gewalt. Für eine mittlerweile fertige Düngemittelfabrik in Qatar hatte Uhde einen Reaktor in Oberitalien fertigen lassen. "Ein Riesending war das", so Röper. "Das konnten wir nur auf dem Wasserweg transportieren". Wegen des heißen Sommers reichte der Wasserstand des Po aber nicht aus, der Weg zum Meer war versperrt. "Die kriegten den Pott da nicht raus", erinnert sich der CIO mit Schaudern. Und der Endtermin rückte unerbittlich näher, eine empfindliche Vertragsstrafe drohte. Letzten Endes klappte es dann noch zum Termin. Aber, so Röper, "bei so was drehen unsere Jungs ganz schön am Rad".
Für das IT-Management birgt das Geschäftsmodell neben den strategischen aber auch ganz alltägliche Herausforderungen. Die saudische 500-Millionen-Euro-Baustelle und vergleichbare Aufträge, von denen Uhde seit 2002 vier angenommen hat, unterscheiden sich deutlich von Industrieprojekten in Regionen mit gut entwickelter Infrastruktur. Die Kontraktoren stehen nämlich nicht nur geografisch, sondern auch in puncto Service in der Wüste. "Unser Geschäft ist wirklich international", betont Röper. "Aber beschaffen Sie mal in der Wüste Hard- und Software, Leitungen und Support." Hier werden die Grenzen der viel beschworenen Globalität in der IT-Branche deutlich, beschwert sich Stramma: "Angeblich international aufgestellte Dienstleister winken ab, wenn es um Service außerhalb europäischer und amerikanischer Metropolen geht." Und das lokale Angebot sei, vorsichtig ausgedrückt, nicht immer von einer Qualität, die für Lump-sum-Turnkey-Projekte erforderlich ist.
Röper und Stramma haben die Hoffnung auf globalen Hard- und Software-Support zwar noch nicht aufgegeben; Gespräche mit großen Dienstleistern seien im Gange. Bis auf weiteres müssen sie sich jedoch mit einer Definition von "international" herumschlagen, die abseits der Metropolregion nicht mehr greift - und die Uhde-IT oft in einer Service-Wüste stehen lässt.