Analysten-Kolumne

Hohen Einsparungen durch VoIP stehen Risiken gegenüber

24.05.2006 von Michael Reich
Telefonie auf Basis des Internet-Protokolls - besser bekannt als Voice over IP (VoIP) - ist im Begriff, den Massenmarkt zu erobern. Möglicherweise hat sich VoIP in wenigen Jahren als Übertragungsprotokoll für Telefongespräche durchgesetzt. Aus Unternehmenssicht stehen dabei als Haupttreiber die Senkung der Telefonkosten um bis zu 30 Prozent im Vordergrund. Bei aller Euphorie gilt es jedoch, das Augenmerk auf die Sicherheit zu lenken.

Laut einer Studie des Wirtschaftprüfungsunternehmens Deloitte telefonierten in Deutschland im Jahr 2004 etwa eine halbe Million Menschen über das Internet. Mehr als zwölf Prozent aller internationalen Telefonate aus Deutschland liefen über das Internet und bereits 14 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen die neue Form der Kommunikation. Der Unternehmensberater IDC schätzet, dass der Markt der VoIP-Anwendungen im Jahr 2009 ein Volumen von mehr als 8,9 Milliarden US-Dollar erreichen wird.

Unternehmen bietet diese Technik viele Vorteile. Betreibt man statt zwei Netzwerken nur noch eines, ist der Bedarf an Hardware geringer. Telefonnetze auf IP-Basis sind zudem einfacher zu warten. Dadurch sind Kosteneinsparungen von bis zu 30 Prozent realisierbar.

VoIP ist flexibel geworden

Zwei Entwicklungen haben die Verbreitung von VoIP stark vorangetrieben und tun es noch. Zum einen gehen die Preise für schnelle Zugangsleitungen monatlich nach unten. DSL-Leitungen mit hohem Durchsatz, die somit auch Telefonie möglich machen, sinken durch die große Konkurrenz extrem stark im Preis. Außerdem wird die Technik immer nutzerfreundlicher. Vor allem die lange verbreitete Angst, Unternehmen müssten ihre vorhandene Telefonanlage aussondern und sich umfänglich mit neuer Hardware ausstatten, ist ausgeräumt. Mit Hilfe so genannter IADs (Integrated Access Devices) lässt sich fast jede ISDN-Telefonanlage für die VoIP-Nutzung anpassen. Diese IADs sind nicht teuer, und der damit verbundene Aufwand hält sich in Grenzen.

Berlecon Research hat unter anderem Unternehmen hinsichtlich ihrer Gründe der Nichtnutzung von VoIP-Lösungen befragt. Dabei fällt auf, dass eine Vielzahl der Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen auf den Einsatz von VoIP verzichten. 46 Prozent der befragten Unternehmen hegen Sicherheitsbedenken.

Bei der Umstellung auf VoIP müssen die Risiken der Internettelefonie für das jeweilige Unternehmen berücksichtigt werden. So gelten für ein Call Center, dessen Geschäftsmodell auf Telefonie basiert, andere Risikogewichtungsfaktoren als bei einem Automobilhersteller. Die Zusammenführung von Telekommunikation und klassischem Datenverkehr auf einer einzigen Infrastruktur erfordert daher eine umfassende Risikoanalyse sowie die Anpassung der IT-Policy an die neuen Dienste.

Die im Vergleich zum Festnetz junge VoIP-Technik ist bei näherer Betrachtung eine ganz normale Netzwerkanwendung mit ähnlichen Schwachpunkten wie beispielsweise E-Mail-Anwendungen. So ist es nicht verwunderlich, dass auch bei VoIP alle bisherigen Probleme auftauchen können, die bereits aus dem Internet bekannt sind, wie beispielsweise Spit (Spam over Internet Telephony). Da Internet-Telefonie kostengünstig ist, zeigt sich VoIP besonders anfällig für die unerwünschte Werbung per Telefon. Zukünftig könnte diese Gefahr vor allem von vollautomatisierten Anrufen ausgehen, die von Sprachcomputern gesteuert werden.

Anrufen zum Ausschalten

Weitere Risiken stellen das V-Bombing und DDoS-Attacken dar. Dabei werden Tausende von Sprachnachrichten gleichzeitig auf eine einzelne VoIP-Mailbox umgeleitet. Diese ist mit der Menge von Sprachnachrichten überfordert und versagt ihre Dienste. DDoS (Distributed Denial of Service)-Attacken können benutzt werden, um Rechner in Unternehmen zu überlasten und damit auszuschalten.

Neben den beschriebenen Risiken kommen bei VoIP die Probleme im Zusammenhang mit der Abhörsicherheit oder dem Absetzen und Weiterleiten von Notrufen aus nicht dedizierten Endgeräten (PC’s, Laptops, Handhelds etc.) hinzu. Hier lassen die derzeitigen Protokolle und Zugangsmechanismen im Gegensatz zum Mobilfunk keinen Rückschluss auf den Standort des Endgerätes zu, wodurch ein korrektes Routing des Notrufs zu dem zugehörigen Notrufträger nicht immer sichergestellt werden kann.

Aufgrund der Komplexität sind beim Betrieb von VoIP-Produkten unterschiedlicher Hersteller möglicherweise Tests und Feinabstimmung erforderlich, da ungünstige Konstellationen einen gemeinsamen Betrieb ausschließen.

Die reibungslose Einführung der VoIP-Technologie setzt neben der Risiko- auch eine saubere Organisationsanalyse voraus. Die einzelnen Abteilungen eines Unternehmens haben meist unterschiedliche technische und geschäftliche Anforderungen an eine Telekommunikationslösung, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Dabei sind insbesondere Technik, Organisation und Wirtschaftlichkeit zu untersuchen. Es gilt herauszufinden, welche Komponenten der bisherigen Lösung ersetzt werden müssen und welche aufgrund der bereits vorhandenen VoIP-Fähigkeit weiter nutzbar sind.

Skzessive Einführen statt Stichtag setzen

Neben den Wartungs- oder Leasingverträgen der bisherigen Technik sind auch die Anforderungen an den zukünftigen VoIP-Dienstleister Teil der Betrachtung. Dies betrifft beispielsweise die Zuverlässigkeit des Telefonnetzes oder die Sprach- und Servicequalität. Weiterhin ist es wichtig, die neue Telekommunikationslösung an die vorhandene Organisationsstruktur anzupassen. Hierzu gehören die Untersuchung der zu verbindenden Unternehmensstandorte, die Kalkulation der Zugriffszahlen auf das Netzwerk und die Berechnung der notwendigen Bandbreite der Datenverbindungen.

Bei der Einführung einer VoIP-Telefoninfrastruktur hat sich die Umstellung zu einem bestimmten Stichtag nur selten umsetzen lassen. Meist sind die Unternehmen mit einer schrittweisen Einführung oder einem Parallelbetrieb beider Lösungen über einen gewissen Zeitraum besser beraten, denn die sukzessive Einführung lässt eine stetige Verbesserung und Beseitigung etwaiger Probleme der Voice-over-IP-Lösung zu. Der Parallelbetrieb erlaubt sogar eine ständige Optimierung der neuen IP-Welt im laufenden Geschäftsbetrieb - und das ohne die möglichen Folgen eines Ausfalls der VoIP-Lösung.

Michael Reich ist Analyst bei Steria Mummert Consulting.