Bob Mankoff

Humor ist der Sieg über die Angst

31.10.2024 von Martin Seiwert
Für einen Witz ist Bob Mankoff immer zu haben. Der Chefcartoonist des Magazins "The New Yorker" über die Kälte der Arbeitswelt, die Grenzen des Humors und das Unglück als Voraussetzung für Fortschritt.

Herr Mankoff, Sie verantworten seit 1997 die Auswahl der Cartoons der Zeitschrift "New Yorker". Sind Sie ein lustiger Mensch?

Bob Mankoff: Bei mir ist Humor ein ständiger Begleiter. Viele Amerikaner sind so. Sie sind in jedem Moment bereit, umzuschalten und einen Witz zu machen. Das kann sehr hilfreich sein. Humor sorgt für eine Pause, für ein Durchatmen. Zum Beispiel, wenn sich Menschen in verschiedenen Positionen verrannt haben. Humor kann das überwinden.

Was bedeutet Humor im Geschäftsleben?

Bob Mankoff: Wenn Gräben noch überbrückbar sind, wenn es etwa nur um unterschiedliche Preisvorstellungen von Einkäufer und Verkäufer geht, kann Humor viel bewirken. Ich habe mich kürzlich in einem neuen Fitnessstudio angemeldet. Als es um den Preis ging, habe ich zu der Mitarbeiterin gesagt: Bekomme ich einen Rabatt, weil ich so ein heißer Typ bin? Sie lachte, und ich bekam meinen Rabatt. Einfach so, ohne verbissene Feilscherei. Die Gesellschaft, die Arbeitswelt sind oft furchtbar ernst, kalt und unmenschlich. Das verleitet uns dazu, selbst unmenschlich zu werden. Humor macht uns wieder menschlich. Wenn Sie mit anderen Leuten in einem Lift feststecken, können Sie bitter klagen und schimpfen und das Ende der Welt beschwören. Sie können aber auch darüber lachen.

Nicht immer klappt das mit dem Humor. Vielleicht will im feststeckenden Lift keiner einen Witz hören.

Bob Mankoff: Natürlich kann man nicht immer Scherze machen. Es gibt echte Krisen, in denen Humor fehl am Platz wäre. Aber das Problem ist, dass die Menschen dazu tendieren, überall und jederzeit eine Krise zu sehen.

Warum auch nicht? Es sind überall Krisen - ökonomische, gesellschaftliche, ökologische, politische.

Bob Mankoff: Aber es gibt wenige Krisen, die so katastrophal sind, dass Humor tabu wäre. Nehmen Sie das Finale in unserer Baseball-Liga. Das ist eine Veranstaltung, die den Amerikanern wirklich heilig ist, die andere Kulturen aber überhaupt nicht interessiert. Bei einem solchen Finale kommt es immer zu Momenten, die Millionen von Fans als schwere Krise verstehen. In einer solchen sehr ernsten Lage sagte einmal ein Spieler zum anderen: Entspann dich, Junge, einer Milliarde Chinesen ist es scheißegal, wie das hier ausgeht. Was meinen Sie, wie befreiend das für die beiden Spieler war.

"Humor ist ein sehr wirksames Mittel im Alltag"

Das Magazin "New Yorker" steht für eine bestimmte Art von Humor. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Bob Mankoff: Bei 95 Prozent des Humors im Alltag geht es darum, sich über andere lustig zu machen. Der Humor im "New Yorker" ist breiter angelegt. Vor allem geht es darum, dass die Leser weniger über andere, sondern eher über sich selbst lachen. Das ist eine recht hoch entwickelte Form von Humor. Für die Philosophen der alten Griechen war Humor noch eine Form von Aggression. Quasi Schläge ohne körperliche Folgen. In den humoristischen Schriften Großbritanniens des späten 19. Jahrhunderts ging es vor allem darum, dass die herrschende Aristokratie sich lustig machte über die armen, ungebildeten Leute. Heute haben wir uns von diesen primitiven Formen des Humors ein gutes Stück entfernt. Der Humor wurde menschlicher und gebildeter.

Nicht unbedingt. Millionen erfreuen sich an YouTube-Videos von fatalen Missgeschicken anderer Menschen.

Bob Mankoff: Sicher, es gibt diese Formen von Humor. Aber der gesellschaftlich akzeptierte Humor ist ein anderer, als noch vor 100 Jahren. Die Menschen lachen vor allem über Filme, bei denen Menschen nicht wirklich verletzt werden. Früher lachten die Leute, weil Menschen schwer verletzt wurden. Hinrichtungen waren ein Unterhaltungsprogramm.

Die Texte im "New Yorker" sind sehr seriös, trotzdem ist die Zeitschrift voller Cartoons. Wie passt das zusammen?

Bob Mankoff: Der Humor in den "New Yorker"-Cartoons ist ziemlich intelligent und feinsinnig. Oft wird die Pointe nur angedeutet. Platte Comedy wäre bei uns fehl am Platz. Wir hatten einmal einen Cartoon, der eine Hinrichtungsstätte mit Galgen zeigte. Erst auf den zweiten Blick bemerkte man, dass neben der Treppe auch eine Rollstuhlrampe zum Galgen führt. Wir haben nur die leere Hinrichtungsstätte gezeigt, nicht etwa einen Rollstuhlfahrer, der sich abmüht, zum Galgen hochzukommen. Das ist der Unterschied zwischen unseren Cartoons und Comedy.

Ihre Leser gehören zur amerikanischen Elite. Ist es schwierig, diese Leser zum Lachen zu bringen?

Bob Mankoff: Es gelingt uns offenbar, sonst würden sie unser Magazin nicht kaufen. Aber es ist tatsächlich so, dass es im modernen Alltag hart arbeitender Menschen eine gewisse Traurigkeit gibt. Obwohl wir, verglichen mit früheren Zeiten, ein völlig opulentes Leben führen, tendieren wir zur Unzufriedenheit. Das muss wohl so sein, denn nur weil Menschen unzufrieden sind, streben sie nach Verbesserungen. Glücklichsein ist aus evolutionärer Sicht keine Stärke, denn wer glücklich ist, arbeitet nicht am Fortschritt.

Humor kann eine gefährliche Sache sein. Besser kein Witz als ein schlechter - oder?

Bob Mankoff: Humor ist bestimmt nicht der sicherste Weg, den man beschreiten kann. Aber er ist ein sehr wirksames Mittel im Alltag. Es geht dabei sicherlich um mehr als Unterhaltung. Denn Unterhaltung spielt erst seit einer recht kurzen Zeitspanne in der Geschichte des Menschen eine größere Rolle. Davor hatten die Menschen gar keine Zeit für Entertainment. Die ursprüngliche Funktion von Humor, die schon für die Höhlenmenschen bedeutend war, ist eine andere: mit unserer unberechenbaren Umwelt zurechtzukommen. Humor und Lachen ist der Sieg über Angst und Unsicherheit. Das ist die eigentliche Funktion von Humor.

"Es muss erlaubt sein, mit Humor die Gefühle von Menschen zu verletzen"

Nicht immer im Leben darf gelacht werden. Wann ist Humor tabu?

Bob Mankoff: Wenn Menschen akut in Gefahr sind, wenn Leib und Leben bedroht sind, wollen sie keine Scherze hören. Wenn Sie in einem voll besetzten Kino einfach mal "Feuer" brüllen, ist das kein Humor. Das ist falsch. Sie landen zu Recht im Knast.

Ist Humor erlaubt, obwohl er Menschen verletzt? Etwa wenn Rassen oder Religionen durch den Kakao gezogen werden?

Bob Mankoff: Humor sehe ich als Teil der Meinungsfreiheit. Es muss erlaubt sein, mit Humor auch die Gefühle von Menschen zu verletzen. Was passiert schon? Sterben Menschen? Bekommen Sie eine Krankheit? Nein, sie werden höchstens in ihren Gefühlen verletzt. Das Recht auf freie Rede ist ein hohes Gut. Es wird so hoch eingeschätzt, dass man in der Werbung sogar lügen darf. Da muss es auch erlaubt sein, mit Humor Menschen anzugreifen. Im "New Yorker" gehen wir dennoch recht vorsichtig mit den Gefühlen der Menschen um. Wir achten darauf, dass in den Cartoons keine Waffen vorkommen oder die Waffenlobby veralbert wird, wenn kurz davor eine Schießerei an einer Schule war.

Gab es lustige Cartoons im "New Yorker" nach dem 11. September?

Bob Mankoff: Nicht in der Ausgabe, die direkt danach kam. Die hatte einen schwarzen Titel und keinen Cartoon. Das gab es nur zwei Mal in der Geschichte des Blattes. Das erste Mal war 1947, als das gesamte Heft aus einer einzigen Story über die Tragödie von Hiroshima bestand.

Wie haben Sie nach den Terror-Anschlägen wieder die Kurve bekommen?

Bob Mankoff: Es gab danach einen Cartoon, der die Opfer nicht verhöhnte: Ein Mann und eine Frau sitzen an der Bar. Er sagt zu ihr: "Ich dachte, ich würde nie wieder lachen können. Aber dann sah ich Ihre Jacke."

(Quelle: Wirtschaftswoche)