Cord Lasselsberger, Chef des Finanzinvestors Mant, Odea & Partner (MOP), tobt am Tisch des Konferenzraumes: „Die Mail an die Abteilungen war mit Herrn Müller abgesprochen und von ihm abgesegnet.“ Schrill entgegnet Marion Kronau-Stölzel, Einkaufsleiterin der Kölner Kronauer Druckmaschinen AG (KDM): „An alle Abteilungen war doch völlig übertrieben. Außerdem ist es doch sehr fraglich, ob die von Ihnen angeforderten Kennzahlen überhaupt sinnvoll sind.“
Ein am Tisch sitzender Projekt-Manager sinkt angesichts der persönlichen Angriffe immer weiter zusammen. Seine sporadischen Schlichtungsversuche scheitern grandios, die Kontrahenten lassen ihn kaum zu Wort kommen. Nach fünf Minuten sagt er leise: „Ich möchte die Diskussion hier beenden, ich möchte jetzt gehen.“ Doch er muss noch eine halbe Stunde bleiben. Die Simulation ist noch nicht zu Ende.
Im Streit um Finanzkennzahlen für ein neues Risiko-Management-System hat der Projektleiter keine Chance – die soll er auch gar nicht haben: Der Streit ist gespielt, aber so authentisch, dass die Teilnehmer ihn für real halten. Es gibt den Druckmaschinenhersteller ebenso wenig wie den Finanzinvestor. Alles ist Teil des so genannten Reality-Trainings der Frankfurter CPC Unternehmensmanagement AG.
Die Teilnehmer zerreiben sich
Beide Streiter wie auch alle anderen KDM- und MOP-Mitarbeiter arbeiten im „wirklichen“ Leben bei CPC. „Die Kompetenz der Schauspieler sowie die Härte und Dauer der zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Mitarbeitern von KDM und MOP haben mich beeindruckt. Ich wusste nicht, dass die Konflikte derart eskalieren würden“, sagte Ingo-André von Malotki, Direktor des Bonner Euro-Business-College und Projekt-Manager bei Campus International, einer Vereinigung von 15 privaten Business Schools.
In den zwei angemieteten zwei Büroetagen auf einem Industriegelände in Köln-Mülheim zerreiben sich die rund 40 Teilnehmer – Modernisierer gegen Traditionalisten. Ihre Aufgabe: In vier Tagen müssen sie eine Projektvorstudie für die Einführung eines Risiko-Management-Systems erstellen. Während die Modernisierer die Einführung des vom Finanzinvestor geforderten Systems befürworten, mauern die Traditionalisten.
In den schnöden Fluren hängen Poster von Druckmaschinen und ein Schwarzes Brett mit Betriebsratmitteilungen. Auf den Bürotischen der Manager stehen Familienfotos, ein Porsche ziert die Fensterbank, und in einer Zimmerecke wartet eine Flasche Wodka mit drei Gläsern auf Abnehmer. Alles soll sich so wirklichkeitsnah abspielen, dass auch zwei Psychologen mitmachen, um als Coach die Teilnehmer nach Stresssituation wie Streitgesprächen eventuell wieder aufzufangen.
Stress entsteht zudem durch Zeitdruck. Der Projektauftrag ist äußerst schwammig formuliert. Deswegen müssen die Gruppenmitglieder von der ersten bis zur letzten Minute Gespräche mit KDM- und MOP-Managern vereinbaren und führen. Erst abends treffen sie zusammen und tragen bis spät in die Abendstunden ihre Egebnisse zusammen. „Etwa die Hälfte der Zeit wurde für die Beschaffung von Informationen benötigt, mit denen wir überhaupt einen klaren Projektauftrag formulieren konnten“, berichtet von Malotki. Zusätzlich erweiterten die Manager den Projektumfang, streuten Intrigen und legten falsche Fährten.
Hier einen klaren Kopf zu behalten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren ist fast unmöglich. Ein noch so durchdachtes Vorgehen verhindert keine gravierenden Fehler. So ging von Malotki zusammen mit weiteren Teammitgliedern sehr gut vorbereitet in das Gespräch mit Vertriebsleiter Torsten Kronau: „Wir sind sehr strukturiert mit Fragen dort reingegangen.“ An so viel Effektivität droht das Gespräch allerdings zu scheitern.
Gespräche gleichen Verhören
Immer wieder setzt Kronau an und versucht, den Beratern zu erklären, wie das Druckmaschinengeschäft funktioniert. „Wir haben ihn zu selten ausreden lassen und uns zu stark auf unsere Fragen konzentriert“, sagt von Malotki. Ein typischer Fehler: Projektleiter erkennen nicht, dass der Auftraggeber ihnen helfen will.
Vielmehr laufen die Gespräche wie Verhöre ab. So viel Misstrauen ist IT-Leiter Enrico Rohleder noch nie entgegengeschlagen. Die Teilnehmer der sechs Teams lassen ihn unverhohlen spüren, dass sie ihn nicht für einen Manager halten: In ihren Augen ist ein IT-Leiter ein wackerer Kostenstellenhalter, der nicht teamfähig die chaotisch organisierte Black Box IT verwaltet. Später gesteht ihm ein Teilnehmer, was sie über ihn denken: „An welcher Stelle muss ich ihn foltern, damit er mit der Schwachstelle in der IT rausrückt?“
Erst nach mehreren Gesprächen legen sich die Zweifel an ihm. „Ich habe zum ersten Mal erlebt, wie es IT-Leitern ergeht“, sagt Rohleder, der real Dietrich Ashoka Chopra heißt, bei CPC arbeitet und auch IT-Leiter berät. Nur wenige Teilnehmer beherzigen, gute Beziehungen aufzubauen. Doch nur so tragen alle Beteiligten das Projekt mit und rücken Informationen heraus. Keinem der Teilnehmer ist entgangen, dass für KDM-Projektleiter Helmut Sikorski die Einführung des Risiko-Management-Tools mindestens zwei Hausnummern zu groß ist. Ein Teilnehmer sagt ihm noch eine Stunde vor der Abschlusspräsentation, dass er ihn für das größte Projektrisiko hält. So gewinnt man keine Aufträge.
Nicht weniger uncharmant löst die Gruppe mit von Malotki das Problem. Auf dem Organigramm der Abschlusspräsentation sind alle Projektbeteiligten aufgezeichnet. Nur den Namen des Projektleiters haben sie gestrichen und durch ein N.N. ersetzt. Es hilft nichts: Projektleiter können sich die Beteiligten nicht aussuchen, auch wenn man sie für unfähig oder unsympathisch hält.
Die Beziehungspflege geht noch viel weiter. Am Vorabend der Abschlusspräsentationen hat Torsten Kronau zu einem Abendessen anlässlich seines Geburtstags eingeladen. Auch seine Großmutter Birgit Kronau ist leibhaftig gekommen. Zwar hat sich die Geschäftsführerin aus dem Tagesgeschäft der KDM zurückgezogen, doch besitzt sie noch immer Stimmrecht. Wer die 75-Jährige nur kurz grüßt und ansonsten links liegen lässt, hat im Kampf um den Auftrag schon fast verloren.
Anschließend treffen sich alle Teams wieder im Hotel und bereiten bis in die Nacht ihre Abschlusspräsentationen vor. Die roten kleinen Augen einiger Teilnehmer am nächsten Morgen liegen nicht an zu viel Alkohol. Auch von Malotki und sein Team haben für 22.00 Uhr fünf Manager ins Foyer gebeten. Alles, was sie ihnen zeigen, sind fünf leere Power-Point-Charts. Die Manager zeigen sich so erheitert wie erstaunt. Im wirklichen Leben wäre der Auftrag verloren.