Energiewende

Ich weiß, ob Du gestern geduscht hast

30.04.2013 von Christof Kerkmann und Dana Heide
Neue Stromzähler messen nicht nur, wann wir etwa beim Erhitzen von Duschwasser Strom verbrauchen, sondern teilen den Strom auch zu. Der Haken: Energieversorger können künftig Protokoll über unseren Tagesablauf führen.
Weil Smart Meter den Stromverbrauch in einer hohen Frequenz aufzeichnen, entstehen viele persönliche Daten. So kann man etwa ablesen, wie lange und wann jemand geduscht, also eine große Menge an Warmwasser genutzt hat. Da die Geräte via Internet etwa mit dem Energieversorger verbunden werden können, entsteht auf diese Weise ein mögliches Einfallstor für Hacker.
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Sie haben noch kein Smart Meter? Sie wissen noch nicht einmal, was das ist? Wenn es nach der Bundesregierung geht, wird sich das bald ändern. Ende dieses Jahrzehnts sollen 80 Prozent der deutschen Haushalte ein Smart Meter, also einen intelligenten Stromzähler installiert haben. Doch das Ziel scheint in weiter Ferne.

Smart Meter sind Geräte, die messen, wie viel Strom im Haushalt verbraucht wird. Die Klein-Computer können künftig das durch den Zubau der erneuerbaren Energien immer stärker schwankende Stromangebot mit der Nachfrage ausbalancieren. Etwa, indem die Geräte die Waschmaschine oder den Trockner starten, wenn die Windräder oder Solaranlagen gerade viel Strom erzeugen oder der Verbrauch niedrig ist. Irgendwann sorgen sie vielleicht auch dafür, dass das Elektroauto in der Garage aufgeladen wird.

Zudem schärfen die intelligenten Zähler das Bewusstsein der Verbraucher für den Stromverbrauch und zeigen, wo im Haushalt Stromfresser stehen. Denn der Verbraucher kann minutengenau auf seinem Computer sehen, wie viel Strom er gerade verbraucht und dementsprechend sein Verhalten anpassen. Laut einer aktuellen Studie der Deutschen Energieagentur (Dena) könnte der CO2-Ausstoß durch eine Steigerung der Energieeffizienz bis 2020 um 72 Prozent reduziert werden. Damit hätte diese Maßnahme einen weit größeren Effekt als etwa der Ausbau der erneuerbaren Energien. Zudem würde man bis 2020 auf diese Weise 128 Milliarden Euro sparen.

Wegen dieses enormen Potenzials ist seit 2010 jeder Häuslebauer dazu verpflichtet, ein solches Gerät zu installieren. Doch die Politik hat die Ausarbeitung von Sicherheitsstandards verschlafen. Erst in den nächsten Wochen, mehr als zwei Jahre nach Einführung der Installationsverpflichtung, legt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein ausgearbeitetes Schutzprofil vor, das von der EU abgesegnet werden muss.

Die wichtigsten Antworten zu Smart Metern

Was sind Smart Meter?
Ein Smart Meter, oder intelligenter Stromzähler, hat im Vergleich zu herkömmlichen Zählern zwei Vorteile. Zum einen zeichnet er den Stromverbrauch im Minutentakt auf. Außerdem kann er die erfassten Daten direkt zum Messstellenbetreiber, Messdienstleister, Energieversorger oder eben den Computer des Stromverbraucher übertragen.

Für wen sind die Smart Meter Pflicht?
Seit Januar 2010 müssen Smart Meter in Neubauten und bei Grundsanierungen eingebaut werden. Außerdem sind Haushalte mit einem Stromverbrauch von mehr als 6.000 Kilowattstunden sowie Betreiber von Photovoltaik-Anlagen mit mehr als 7 Kilowatt verpflichtet, einen solchen intelligenten Strommesser zu nutzen.

Wo liegen die Gefahren?
Weil Smart Meter den Stromverbrauch in einer hohen Frequenz aufzeichnen, entstehen viele persönliche Daten. So kann man etwa ablesen, wie lange und wann jemand geduscht, also eine große Menge an Warmwasser genutzt hat. Da die Geräte via Internet etwa mit dem Energieversorger verbunden werden können, entsteht auf diese Weise ein mögliches Einfallstor für Hacker.

Was kann alles abgelesen werden?
Die FH Münster testete im Jahr 2011 ein Gerät, welches den Strom im Sekundentakt maß. Anhand dieser Aufzeichnungen konnten die Forscher sogar herausfinden, was der Stromverbraucher im Fernsehen sah. Denn die modernen LCD-Fernseher sind mit einer Hintergrundbeleuchtung ausgestattet, die sich je nach Helligkeit der Szene an- und abschaltet. Auf diese Weise entsteht ein Code, an dem man durch Vergleich ablesen kann, welche Sendung in dem Moment geschaut wird. Inzwischen sind aber vor allem Geräte im Einsatz, die im 15-Minuten-Takt messen. Mit ihnen ist so etwas nicht mehr möglich.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Italien gilt als Vorreiter bei der Installation von Smart Metern. Aber auch andere Ländern treiben die Umrüstung voran, etwa Dänemark, Finnland, Deutschland, Spanien und das Vereinigte Königreich.

Ich weiß, was du gestern im Fernsehen geschaut hast

Der Verbraucherschützer Peter Kafke sieht intelligente Stromzähler grundsätzlich positiv. "Aus Verbrauchersicht sind Smart Meter eine kluge Sache. Sie helfen, etwas über die eigenen Verbräuche zu erfahren", sagt er Handelsblatt Online. Doch der Energieexperte bei der Verbraucherzentrale Bundesverband beklagt: "Die Einführung von intelligenten Stromzählern ist ein gutes Beispiel für schlechte Politik. Smart Meter wurden per Verordnung vorgeschrieben, bevor es einen technischen Standard gab. Damit verbrennt man in der Öffentlichkeit eine solche Technologie."

Das sind die größten Stromverbraucher weltweit
Platz 7: Deutschland
Mehr als doppelt so viele Einwohner wie Kanada hat Deutschland, und ist dennoch hinter dem nordamerikanischen Land, wenn es um den Stromverbrauch geht. 545 Milliarden Kilowattstunden wurden 2011 verbraucht. Beim Export von Strom ist Deutschland hingegen fast Spitze. Im weltweiten Vergleich exportiert nur Nachbarland Frankreich mehr.
Platz 8: Frankreich
Als Stromexporteur ist Frankreich die weltweite Nummer Eins. Beim Stromverbrauch liegt das 65 Millionen Einwohner-Land dagegen nur auf dem achten Platz. Die Franzosen setzen bei der Stromerzeugung voll auf Atomkraft. 58 Meiler waren 2011 in Betrieb. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im gleichen Zeitraum neun Atomkraftwerke, in Spanien acht und im Vereinigten Königreich 18.
Platz 9: Brasilien
Neungrößter Stromverbraucher ist Brasilien. In dem südamerikanischen Land leben 200 Millionen Menschen.
Platz 1: China
China ist die weltweite Nummer Eins unter den Stromverbrauchern. Kein anderes Land benötigt mehr Strom. Auch bei der Stromerzeugung ist das Land an der Spitze, exportiert jedoch nicht besonders viel von seiner Energie. Im Ranking der Strom exportierenden Länder belegt die Volksrepublik nur den neunten Platz.
Platz 2: USA
Der zweitgrößter Stromverbraucher der Welt ist die USA. Fast fünf Prozent der installierten Stromerzeugungskapazität waren im Jahr 2010 regenerative Energien.
Platz 3: Japan
Den dritten Platz der größten Stromverbraucher belegt Japan. Das Land ist zugleich viertgrößter Stromproduzent der Erde, vor ihm liegen nur Russland, China und die USA. Mit seinen Erzeugungen versorgt sich Japan im Gegensatz zu diesen Ländern jedoch ausschließlich selbst.
Platz 4: Russland
Fast genauso viel Strom wie Japan verbraucht Russland und liegt somit auf dem vierten Platz der weltweit größten Verbraucher. Das Land ist zudem drittgrößter Stromproduzent.
Platz 5: Indien
Der fünftgrößte Stromverbraucher der Welt ist Indien. Kein Wunder: Das Land ist nach China das bevölkerungsreichste der Welt, 1,3 Milliarden Einwohner leben dort laut Schätzungen.
Platz 6: Kanada
Auf dem sechsten Platz der größten Stromverbraucher gibt es eine Überraschung: Kanada. Dabei ist das Land relativ spärlich besiedelt, nur 34 Millionen Menschen leben dort.
Platz 10: Südkorea
Südkorea ist auf dem zehnten Platz der größten Stromverbraucher der Welt. Das Land versorgt sich laut der US-Informationsbehörde CIA komplett selbst, importiert also keinen Strom. Seinen Strom erzeugte Südkorea im Jahr 2010 zu fast einem Drittel mit Atomkraft, bis 2024 soll sie fast 50 Prozent der Stromproduktion ausmachen.

Die Gefahren, die von Smart Metern ausgehen, sind nicht zu unterschätzen. Der IT-Experte Ulrich Greveler forscht seit vielen Jahren zu diesem Thema, inzwischen an der Hochschule Rhein-Waal. Im Jahr 2011 veröffentlichte er eine Aufsehen erregende Studie zur Sicherheit von Smart Metern. Greveler testete mit seinem Team an der FH Münster ein Gerät der Firma Discovergy. Es erfasste sekundengenau den Stromverbrauch - und bot damit erschreckende Möglichkeiten, den Nutzer zu überwachen.

Greveler konnte anhand der Aufzeichnungen etwa feststellen, was der Nutzer im Fernsehen schaut und ob er möglicherweise einen geklauten Film auf seinem DVD-Rekorder abspielte. Der Zugriff war wegen unzureichend gesicherter Kanäle sogar von außen möglich. Diese Sicherheitslücke hat Discovergy inzwischen zwar geschlossen. Und mit den am meisten verbreiteten Geräten ist das Ablesen des Fernsehprogramms nun auch nicht mehr möglich, da sie nur im 15-Minuten-Takt und nicht im Sekundentakt messen.

Doch auch mit diesen Geräten kann der Tagesablauf sehr exakt nachgezeichnet werden. Zum Beispiel, wann man am Morgen geduscht hat. Oder dass es am Montag beim Treffen mit Freunden etwas später geworden ist und man erst um 5 Uhr in der Früh nach Hause gekommen ist.

Im Umgang mit den diesen Daten gibt es bisher keine konkreten Regelungen. Experten kritisieren seit langem, dass die Gesetze zum Datenschutz nicht mehr der Realität gerecht werden.

Riesiges Geschäftspotenzial

"Die Hersteller haben auf Grund ihrer Wettbewerbssituation kein großes Interesse an gemeinsamen Sicherheitsstandards. Da muss die Politik eingreifen Das hätte man schon längst machen können", sagt Greveler. Mit dieser Vorgehensweise werde die Einführung des Geräts verzögert, da die Verbraucher verunsichert sind. Diese Vermutung bestätigen auch Umfragen, etwa der Ludwigs-Maximilians-Universität München (LMU). 60 Prozent der mehr als "700 überwiegend jungen und technikaffinen" Teilnehmern befürchten, dass "ihre Verbrauchsdaten nicht gänzlich vor unauthorisierten Zugriffen geschützt sind".

Tatsächlich gibt es in Deutschland bis auf wenige Pilotprojekte wie etwa "Mühlheim zählt" des Energieversorgers RWE kaum Haushalte, die einen intelligenten Strommesser installiert haben.

"Der Vorschlag des BSI ist seit 18 Monaten fertig", kritisiert Greveler. "seitdem streiten sich die verschiedenen Interessensgruppen, vor allem Energieversorger. Denen ist auf der einen Seite natürlich an hohen Sicherheitsstandards gelegen, aber auf der anderen Seite wollen sie verständlicherweise nicht, dass zu viele technische Vorgaben die Geräte verteuern".

Am 21. Dezember hat das BSI die Sicherheitsstandards zum letzten Mal den Betroffenen vorgelegt - selbst zu diesem Anlass trafen laut der Behörde noch 3.000 Kommentare ein. Dass die meisten Anmerkungen oder Einwände von den Energieversorgern kamen, lasse sich jedoch "pauschal nicht sagen", heißt es vom BSI.

Während die Interessengruppen um die Details streiten, liegen nicht nur wertvolle Sparpotenziale im Energiebereich brach. Auch den Unternehmen geht durch die Verzögerung seitens der Politik ein riesiges Geschäft durch die Lappen. Laut Bundeswirtschaftsministerium gibt es 48 Millionen Zähler in Deutschland, deren Umrüstung auf Smart Meter kostet bis zu 100 Euro. Hinzu kommen Wartungs- und Servicegebühren.

Telekommunikationsdienstleister und Energieversorger haben sich längst in Stellung gebracht, erst im Mai kündigte Vodafone an, auf dem Markt mitspielen zu wollen, die Telekom mischt ebenfalls mit. Doch solange das Vertrauen der Verbraucher fehlt, bleibt das Geschäft in der Nische.

(Quelle: Handelsblatt)