Blockchain-Technologie

ID2020: Die UNO-Weltidentität

19.09.2024 von Peter Lahmann  IDG ExpertenNetzwerk
Eine weltweite digitale Identität, die mit Hilfe von biometrischen Daten und der Blockchain-Technologie dargestellt werden kann. Das ist das Ziel bis 2030. Die Hintergründe und den Stand der Projekte lesen Sie in diesem Beitrag.
Der biometrischer Checkin am Flughafen per Fingerabdruck-Scan. An den meisten Flughäfen ist dieser Vorgang in vereinzelten Projekte noch nicht über das Versuchsstadium hinausgekommen.
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Blockchains und digitale Identitäten leben in einer symbiotischen Beziehung. Diese enge Verbindung haben auch die Vereinten Nationen erkannt. Eingebettet ist die ID-Initiative im Plan für eine weltweite nachhaltige Entwicklung. Zu dem Gesamtpaket gehört auch, dass alle Menschen ihr Dasein auch nachweisen können, am besten von der Wiege an mit einer Geburtsurkunde.

Für dieses Ziel hat man sich eine Frist bis zum Jahr 2030 gesetzt. Große Ziele, große Zahlen. Denn schätzungsweise 1,1 Milliarden Menschen weltweit fehlt jegliche Form von offiziellen persönlichen Dokumenten. Ohne ein solches Dokument bleiben viele Türen verschlossen: die ins Krankenhaus, die zur Eröffnung eines Bankkontos, die zum Ausbildungsbetrieb, die zur Wahlurne.

Für Menschenhändler hingegen bilden die Sans Papiers die Geschäftsgrundlage. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) unterstützt deshalb die ID2020-Initiative. Gerade für Flüchtlinge und Vertriebene kann eine Identität die Welt bedeuten. Und dort kommt die Blockchain-Technologie ins Spiel, die auf dem ID2020-Summit eine große Rolle gespielt hat.

Darüber haben dort Technologie-Innovatoren, politische Entscheidungsträger, Entwicklungsfachleute und Humanisten diskutiert. Gesponsort wurde die Veranstaltung vom UNHCR, vom UN-Büro für Informationskommunikationstechnologie (OICT), der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) und dem dänischen Generalkonsulat in New York. Bei den ID2020-Summits handelt es sich um eine Gesprächsserie, in der die letzte Veranstaltung im Jahe 2020 in einer Reihe von Webinars stattfand.

Es lohnt sich auf jeden Fall die UNO-Visionen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Nicht ganz ohne Brisanz ist beispielsweise die Abkopplung zwischen amtlichen Dokumenten wie Pässen oder Führerscheinen und einer nutzerzentrierten Identität in einer weltweiten Blockchain. Mit kryptographischen Verfahren werden in einer Blockchain Informationen abgespeichert. Nachträgliche Änderungen an den Informationen werden von den Knoten der Kette erkannt. Ohne eine stabile IT-Landschaft kommt ein digitaler Identitätsnachweis allerdings schwer zu Stande.

Das digitale Identitätsmanagement ist jedoch schon älter als die Blockchaintechnologie. Dänemark fühlt sich beispielsweise durch sein seit über 50 Jahren erprobtes digitales Einwohnermeldeamt CPR berufen, eine Führungsrolle beim ID2020-Summit einzunehmen. Schon lange greifen dort staatliche und private Dienstleister auf die digitalen Personalnummern zurück. Einen Entwicklungssprung haben digitale Identitäten mit dem Aufstieg des Internets vollzogen. Viele Internetnutzer nennen heute einen Wildwuchs von Konten mit unterschiedlichen Benutzernamen und Passwörtern ihr Eigen. Wenn ein einzelnes, weltweites Online-Ich die Zielsetzung ist, ist deren Speicherung in einer Blockchain technisch gesehen nicht abwegig.

Etwas grundlegender wird das Thema der digitalen Identitäten in den USA angegangen. Im Jahr 2011 hat Präsident Obama die National Strategy for Trusted Identities in Cyberspace (NSTIC) ins Leben gerufen. Ziel ist es, gespaltene Persönlichkeiten in der Cyberwelt zu vermeiden. Damit sollen Bankgeschäfte sicher abgewickelt und Gesundheitsakten über das Internet eingesehen werden können. Auch das anonyme Surfen im Netz gilt als eine erhaltenswerte Beschäftigung. Die Initiative ist technologieneutral und enthält keinen Zwang zur Blockchain.

Die digitale Identität in Deutschland

In Deutschland schmiedet die Regierung derweil eher wolkige Pläne. Den Bundespersonalausweis in der Blockchain hat die Regierung derzeit wohl noch nicht auf dem Radar. Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz aus dem Jahr 2021 werden Blockchains dreimal erwähnt. Den Kontext bilden dabei Grundbucheinträge, Dividendenarbitragegeschäfte und digitale Finanzdienstleistungen. Im gleichen Vertrag wird dreimal der Begriff der Künstlichen Intelligenz erwähnt, und zwar als Beispiel von digitalen Schlüsseltechnologien.

Damit ist die Blockchain auf einem absteigenden Ast. Die vorangegangene Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angelika Merkel bezog sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 noch sechs Mal auf die Blockchain. Damit hatte die Blockchain mehr wohlwollende Erwähnungen als die Begriffe Künstliche Intelligenz, E-Commerce oder Augmented Reality. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2013 wurden weder der Begriff Blockchain noch der Begriff Künstliche Intelligenz genannt.

Einige Unternehmen sind bereits um einiges umtriebiger. "Bitnation" versucht bereits eine "Weltidentität" in einer dezentralen Blockchain aufzubauen und vergibt bereits heute virtuelle Staatsbürgerschaften.

ID2020-Pilotprojekte

Auf der ID2020-Konferenz sollten bereits die ersten beiden Pilotprojekte für die UNO-Blockchain aufgelistet werden. Sie stammen von Implementierungspartnern. Die Augen waren dabei wohl auf die ID2020-Alliance gerichtet. Der UN-Summit und eine Allianz als Namensvettern? Sicherlich kein Zufall. Die Allianz ist jedoch eine öffentlich-private Partnerschaft die formal als Nonprofit Corporation nach dem US-Gesetz UCC 501(c)(3) in New York registriert ist. Inzwischen ist es etwas stiller um die neue ID geworden. Die Website der ID2020-Alliance, auf der ein neuer Termin angekündigt werden sollte, gibt es jedenfalls nicht mehr.

Im Februar 2021 ist eine aktuelle Initiative der ID2020 weniger auf die Dokumenten-ärmsten der Armen dieser Welt ausgerichtet, sondern auf internationale Flugreisende. Im Zuge der globalen Covid-19-Pandemie ab dem Jahr 2020 kam es überall auf der Welt zu Einreiseverboten. Nachdem die Verbote gelockert wurden, mussten internationale Flugreisende allerdings ihren G-Status, - also Geimpft, Getestet oder Genesen - nachweisen.

Die Vorschriften von Fluggesellschaften und Grenzkontrollbehörden zu den geforderten Gesundheitspässen sind dabei alles andere als einheitlich. Mit der Good Health Pass Collaborative sollen nationale und regionale Bemühungen gebündelt werden. Mehr als 125 Unternehmen und Organisationen aus den Bereichen Gesundheit, Reise, Tourismus und Technologie wirken neben der ID2020 bei dieser Kooperation mit. Aus einer technischen Brille gesehen geht es bei der Initiative vor allem darum, die nahtlose Interoperabilität zwischen verschiedenen digitalen Gesundheitspässen zu gewährleisten.

Die Gründungsmitglieder der ID2020-Allianz sind GAVI, die Rockefeller Foundation, Microsoft, Accenture und IDEO ORG. Beim genaueren Hinsehen weisen all diese Einrichtungen einige Zirkelbezüge untereinander und zu bestimmten Bereichen der Gesundheitsindustrie auf.

Zunächst einmal die Impfallianz GAVI (ehemals für Global Alliance for Vaccines and Immunisation). Eine Organisation, die unter anderem in der Kritik steht, hohe Preise für Impfungen zu befördern. Mitglieder von GAVI sind u.a. die UNICEF, die Bill & Melinda Gates Foundation und die Weltbank.

Der Microsoft-Gründer Bill Gates ist vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie zum Mittelpunkt von Verschwörungstheorien geworden. Eine im Jahr 2020 veröffentlichte Umfrage ergab beispielsweise, dass in den USA 44 Prozent der Republikaner und 19 Prozent der Demokraten der Meinung sind, dass Bill Gates mit einer Impfverschwörung verbunden ist. Demnach sollen Impfungen als Vorwand dazu verwendet werden, Menschen Mikrochips zu implantieren. Nach einer anderen Umfrage glauben 13 Prozent der Australier, dass Bill Gates eine Rolle bei der Entstehung und Verbreitung des Coronavirus gespielt hat. Theorien also, die auch in Deutschland bei manchen nicht unpopulär sind.

Finanzier der Allianz ist die Rockefeller Foundation. Diese Organisation hat sich bereits einige Male bei der Forschungsförderung von Gesundheitsthemen hervorgetan. Mit Hilfe des stiftungseigenen Fördertopfen wurde unter anderen das Impfpräparat gegen Gelbfieber entwickelt. Andere Programme fielen weniger menschenfreundlich aus, beispielweise als 800 schwangeren Frauen ohne deren Einverständnis radioaktives Eisen verabreicht wurde.

Auch das IT-Beratungsunternehmen Accenture ist in der Gesundheitsbranche gut vernetzt. Seit 2014 ist das Unternehmen der IT-Anbieter für HealthCare.gov. Diese Webseite dient als Drehscheibe für die Krankenversicherungen nach dem "Patient Protection and Affordable Care Act (PPACA)", landläufig auch "Obamacare" genannt.

IDEO ORG ist eine Schöpfung der Designfirma Ideo. Auch die Designer konnten schon Erfahrungen mit der medizinischen Industrie sammeln. Formschöner sind jetzt der Insulinstift von Eli Lilly oder ein Transportsystem für Nierentransplantate.

Schon länger bekannt sind zwei ID2020-Pilotprojekte aus Asien. Dabei handelt es sich zum einem um ein Projekt im Mae La Flüchtlingscamp im Norden Thailands. Dort leben Angehörige des Volkes der Karen aus dem benachbarten Myanmar.

Im Jahr 2018 wurde in Indonesien das Fintech-Unternehmen Everest mit einem weiteren Pilotprogramm betraut. Dabei konnte das Unternehmen die ID2020 und die indonesischen Anti-Armutsbehörde TNP2K von seinem Projekt überzeugen, so dass die veranschlagten Fördermittel flossen. Das Ziel des Projektes ist allerdings weniger die Gesundheitsvorsorge als die Verteilungsgerechtigkeit. Es geht in dem Projekt darum, die Berechtigten eines LPG-Gas-Subventionsprogramms biometrisch zu überprüfen. Das Pilotprojekt ist vorerst auf 6.000 private Haushalten mit Anspruch auf den verbilligten Treibstoff ausgelegt. Im Erfolgsfall ist eine Ausdehnung des ID-Programms auf ganz Indonesien nicht ausgeschlossen.

Konkret wurde es auch in Bangladesch. Bis zum 30. Juni 2021 hatten interessierte Anbieter die Frist zur Einreichung eines Request for Proposals für eine Digitale Health ID. Neben der Regierung von Bangladesch sind auch die ID2020 und die Impfallianz GAVI die Projektsponsoren. Das Programm zielt darauf ab, Säuglinge entweder bei der Geburtsregistrierung oder bei der ersten routinemäßigen Impfung mit einem tragbaren, biometrisch verknüpften digitalen Ausweis auszustatten. Eine Stoßrichtung des Projekts ist die Impfeffizienz. Gleichzeitig soll das System aber auch die Interoperabilität von digitalen Identitäten in einem fragmentierten Gesundheitssystem mittragen.

Ist eine solche Gesundheits-Identität erst einmal geschaffen, kann sie den Inhabern auch den Zugang zu Bildung und Wahlzettel erleichtern. Das in dem Projekt in Bangladesch entworfene Modell soll replizierbar und auf andere Länder übertragbar sein. Die Musterlösung für die UNO-Weltidentität kann also aus Bangladesch kommen. Seit diesem Projekt aus Bangladesh im Herbst 2022 wurden keine neuen Projekte im Rahmen der ID2020-Initiative vorgestellt.

Das Auswahlverfahren

Welche konkrete Blockchain-Technologie ist für einen solchen weltumspannenden Zweck am besten? Schon durch die Namenswahl weist alles auf eine Entwicklung der ID2020-Alliance hin. In den Gremien und Aufsichtsräten der beteiligten Körperschaften und UN-Ableger kennt man sich schon. Ob in diesem Umfeld ein global akzeptiertes Auswahlverfahren zustande kommen kann, ist fraglich. Ein wenig erinnert die Situation an die Politik der Nationalen Champions. Mit National Champions versuchen einzelne Regierungen ein Umfeld zu schaffen, in dem bestimmte Lieblingsfirmen nicht nur Gewinne erzielen, sondern auch andere nationale Interessen fördern sollen.

Marktkräfte können National Champions stören. Dabei stehen auch abseits der reinen Marktlehre wettbewerbliche Methoden zur Verfügung, um gute Technologien auszuwählen. Beispiele liefert die US-Standardisierungsbehörde NIST. Im Jahr 2000 wurde das symmetrische Verschlüsselungsverfahren AES ratifiziert. Vorher wurden in einem dreijährigen, mehrstufigen Prozess die eingereichten Vorschläge von verschiedenen Experten auf Herz und Nieren geprüft.

Selbst aus der Riege der eher skeptisch-eingestellten Kryptologen wurde das Verfahren als offen und transparent bezeichnet. Bruce Schneier, ein anerkannter Experte der IT-Security und Autor eines der eingereichten Algorithmen schrieb im Nachhinein: "I have nothing but good things to say about NIST and the AES process."

Ein ähnliches Vorgehen wurde ab 2006 beim Wettbewerb um die beste Hash-Funktion gewählt. SHA-3 wurde als Gewinner im NIST FIPS 202 veröffentlicht. Aktuell läuft unter der NIST-Schirmherrschaft ein Wettbewerb zur Standardisierung der Post-Quantum Kryptographie.

Auch in einer Reihe von Open-Source-Projekten wird die Blockchain-Technologie weiterentwickelt. Hyperledger ist eine Initiative unter der Schirmherrschaft der Linux Foundation. Darin arbeitet eine Reihe verschiedener Organisationen an der Schaffung einer modularen Blockchain-Technologie. Unter diesem Dach bietet Indy eine Blockchain-Lösung mitsamt verteiltem Ledger, deren Schwerpunkt auf dem Identitätsmanagement liegt. Indy setzt auf einigen bereits erprobten Technologien wie 2FA, IDPs, LDAP und OAuth auf.

Ein wichtiges Kriterium ist die Autonomie von Otto Normalverbraucher über seine Identität. Die Indy-Identität ist tragbar und kann überall dorthin mitgenommen, wo sich ein Knoten des verteilten Ledgers befindet. Die ID kann in verschiedene Systeme übertragen werden. Frau Mustermann kann sich also mit ein und derselben Identität gegenüber einer Gesundheits-, Banken- oder Ämter-Blockchain ausweisen. Frau Mustermann behält die Kontrolle über ihre persönlichen Daten. Auch die ID2020-Allianz setzt auf diese Maxime, denn auch dort soll eine Lösung folgendermaßen sein:

Ein digitales Impfbuch?

Was bleibt ist ein diffuses Bild von der ID2020-Konferenz, der kongenialen ID2020-Alliance und deren Blockchain-Projekt. Fachartikel, Whitepapers oder Blogs zu Eckpunkten der geplanten Technologie sind in öffentlichen Medien, bisher jedenfalls, so gut wie gar nicht zu finden. Allerdings gibt es starke Hinweise dafür, dass bei der ID2020-Blockchain auf eine Integration in die Microsoft Azure Cloud gesetzt wird.

Bereits zum Weltwirtschaftsform 2018 wurde jedenfalls über ein so gelagertes Gemeinschaftsprojekt zwischen Microsoft, Accenture und dem IT-Serviceunternehmen Avanade gesprochen. Der Segen der proprietären Software? Ganz anders ist jedenfalls die Transparenz bei den Technologie-Wettbewerben der NIST oder den Open-Source-Entwicklungen unter dem Dach von Hyperledger zu bewerten.

Mit den Beteiligten in der ID2020-Allianz ist es nicht ganz abwegig, dass ein Augenmerk bei der Prototypentwicklung auf den Belangen der Pharma-Industrie und ihrer Vertriebskanäle liegt. Ein digitales Impfbuch für die Welt? Auch Konferenzsponsor Dänemark hat mit seinem drittgrößten Unternehmen Novo Nordisk einen Pharmariesen in seinem Land, das davon profitieren könnte.