VWL-Vorlesung zum Abschluss der zehnten Hamburger IT-Strategietage: Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, fällte ein vernichtendes Urteil über die derzeitige Strategie gegen die Schuldenkrise in Europa. Mit den derzeit diskutierten Rettungsplänen gebe die Politik den verschuldeten Südländern nach. „Diese Haftung sät Unfrieden“, sagte der Volkswirt. Der Rettungsschirm stütze „künstlich Preise für Immobilien und Staatspapiere“.
Stattdessen hielte er ein „Realignment“ für nötig, eine Neujustierung der Wechselkurse. Deutschland müsste „inflationieren oder die anderen deflationieren“. Wegen der Gemeinschaftswährung sei das aber nicht möglich. Indem die Europäische Zentralbank nun Geld „in den Süden“ liefere, unterhöhle sie den Kapitalmarkt.
Sinn: Deutschland haftet mit 643 Milliarden Euro
Das innerhalb der Fiskalunion angestrebte Konzept halte er für „keine Lösung“, sagte Sinn. „Aus deutscher Sicht ist das der vollkommen falsche Weg.“ Lieber solle man vor allem Griechenland den „Hahn gefühlvoll zudrehen“. Sinn rechnete vor: 1992 Milliarden Haftungsvolumen hätten die Euro-Länder schon bewilligt. Auf Deutschland entfielen 43 Prozent des Risikos, rund 643 Milliarden Euro.
Gewähre Europa hoch verschuldeten Euro-Ländern weiterhin Zugang zur Druckerpresse, komme man um Euro-Bonds nicht herum. Das wiederum erfordere den Aufbau von politischen Schuldenschranken. „Dieses europäische System wird nicht funktionieren“, sagte Sinn. Es werde nur für ein paar Jahre Ruhe auf den Kapitalmärkten bringen. „Schuldenschranken werden nicht greifen – haben sie in der Vergangenheit nicht, werden sie künftig auch nicht.“
Bei allen düsteren Prognosen gab Sinn aber auch eine positive Botschaft aus: Deutschland profitiere derzeit von der Krise. Die Zinsen seien noch nie so tief gewesen, als Folge gebe es seit zwei Jahren einen Bau-Boom. Sinn sprach von der „Flucht in das deutsche Beton-Gold“. Banken suchten nach sicheren Anlagen. In Deutschland fänden sie die – „langweilig, aber sicher“, wie Sinn sagte.
Euro verhalf verschuldeten Ländern zu niedrigen Zinsen
Wie es zur jetzigen Situation gekommen sei, schilderte Hans-Werner Sinn mit einem Blick in die Geschichte des Euro. Griechenland habe sich 1999 „mit falschen Zahlen reingemogelt“. 1998 wurden die Umrechnungskurse endgültig festgelegt, ein Jahr später der Euro virtuell eingeführt. Verschuldeten Ländern sei das entgegen gekommen. „Auf einmal hatte man niedrige Zinsen auf deutschem Niveau.“
Am Beispiel von Spanien habe das zu einem boomenden Bausektor geführt. Niedrige Zinsen machten es verlockend, mit fremdem Geld zu arbeiten, die gesamte Wirtschaft wurde nach Sinns Darstellung hochgezogen. In Griechenland dagegen habe es einen Staatsboom gegeben. Das Geld sei „größtenteils aus Deutschland“ gekommen – auch indirekt, etwa über Frankreich.
„Dort, wo es hinkam war Party“, sagte Ifo-Chef Sinn. Heute sei das Geld weg. In Deutschland sei die Entwicklung umgekehrt verlaufen, hier sei zu der Zeit Wirtschaftsflaute gewesen. „Deutschland hatte niedrigste Netto-Investitionsquote in der OECD“, rief Sinn den Zuhörern in Erinnerung. 2005 litt Deutschland unter Massenarbeitslosigkeit, Kanzler Schröder sei zu einschneidenden Reformen gezwungen gewesen.
Die Preisentwicklung seither sah so aus, dass Deutschland gegenüber seinen Außenhandelspartner „real abgewertet“ habe, die anderen aufgewertet. „Die anderen sind viel zu teuer geworden, um 30 Prozent, gleichzeitig ist Deutschland um 22 Prozent billiger geworden“, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Dass die vergleichsweise gute wirtschaftliche und finanzielle Lage von Deutschland andauert, hält Sinn seinen Worten nach trotz der milliardenschweren Hilfen nicht für ausgeschlossen. „Wenn die Retterei nicht zu weit geht, bleibt uns ja der Boom erhalten“, sagte er.
Griechenland in der "Tragödie"
Die derzeitige Situation von Griechenland hingegen sei eine Tragödie. „Eine Tragödie ist dadurch gekennzeichnet, dass der Protagonist verschiedene Handlungsmöglichkeiten hat – und alle enden in der Katastrophe“, sagte Sinn. Alternativen seien nur fortdauernde Transfers oder der Austritt aus dem Euro und eine darauffolgende Abwertung der wieder eingeführten Drachme. Die von Politikern diskutierte dritte Möglichkeit, dass Griechenland in der Währungsunion bleibe und gleichzeitig abwerte, schließt Hans-Werner Sinn aus. „Das geht nicht“, sagte Sinn. Das Land würde zerbrechen und in einem „Bürgerkrieg“ untergehen.