Gesundheitsnetze

Ignorierte Chance

03.02.2003 von Andreas Schmitz
Wenn Kliniken, niedergelassene Ärzte und Krankenkassen digitale Patientenakten im Verbund nutzten, würde Gesundheit billiger. Die regionalen Gesundheitsnetze kommen jedoch nicht in Gang. Einzige Ausnahme: die Knappschaft.

Burkhard Zimmermann vom Bochumer Sozialversicherungsträger Knappschaft runzelt die Stirn. Auf dem Media-Podium der Medizintechnikmesse Medica erläutert Ministerialrätin Birgit Weihrauch aus dem nordrheinwestfälischen Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit gerade die "Berliner Erklärung" und das "Krefelder Memorandum" - Papiere, die erstellt wurden, um den Einsatz von Informations- und Kommunikationssystemen im Gesundheitswesen zu fördern. Standards und Normen für die IT sollten erarbeitet, vor allem aber IT-Systeme zur Vernetzung von Versorgungseinrichtungen etabliert werden, heißt es in der von Verbänden, Hochschulen und der Industrie verabschiedeten Denkschrift. "Richtig in der Theorie - aber entscheidend ist die Umsetzung", betont Zimmermann.

Der IT-Koordinator für die beteiligten Krankenhäuser hat bereits Erfahrung mit Gesundheitsnetzen. Im Rahmen des von der Knappschaft "Prosper" genannten Projekts kooperieren Ärzte mit eigener Praxis und aus regionalen Krankenhäusern mit den Krankenversicherungen in einem Informationsverbund. Im Knappschafts-Intranet finden sich Patientenakten, in denen etwa die Ergebnisse der jüngsten Röntgen-, Blut- oder Lungenuntersuchung in digitaler Form abgespeichert sind. "Bisher haben wir in Bottrop, im Saarland und in Recklinghausen integrierte Gesundheitsnetze aufgebaut", sagt Zimmermann.

Mit gutem Ergebnis: Die Kosten für Patienten, die sich in Bottrop behandeln ließen, waren gegenüber einer Vergleichsgruppe um 8 Prozent geringer. Etwa jeder vierte Knappschaftspatient, rund 2200 Versicherte, ließ sich ausschließlich von Knappschaftspersonal behandeln. Noch besser verlief das saarländische Projekt. Hier sparte die Knappschaft im Verbund zwischen 12 und 15 Prozent; Für Recklinghausen stehen die Ergebnisse noch aus. Insgesamt hat die Knappschaft Gesundheitsnetze für acht Regionen im Ruhrgebiet und Saarland konzipiert.

Langes Warten auf das Pilotprojekt

Doch nicht immer lassen sich Mediziner und Krankenhäuser auf ein entsprechendes Verbundsystem ein. Für Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise liegt eine Machbarkeitsstudie des Greifswalder Centrums für Angewandte Telematik über das "innovative Gesundheitszentrum Mecklenburg-Vorpommern" nun schon seit einem Jahr beim Schweriner Gesundheitsministerium. Fünf Kliniken und ein Ärztezentrum zwischen Greifswald und der Ostseeinsel Rügen wollte der Vorstandsvorsitzende des Telematikzentrums, Frank Heydenreich, in Kooperation mit der Universität Greifswald und der Deutschen Telekom vernetzen; später sollten niedergelassene Ärzte hinzukommen. "Wir haben gezeigt, dass sich die unterschiedlichen IT-Systeme von Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken per Web-Service verbinden lassen", sagt Gunter Flügel, Berater bei der Telekom-Tochter Detecon, der die Machbarkeitsstudie begleitet hat. Das Konzept versprach Millioneneinsparungen - durch die Vermeidung von Mehrfachbehandlungen, eine kürzere Aufenthaltsdauer in der Klinik und geringere Transportkosten. Heydenreich wollte die Machbarkeitsstudie in ein Pilotprojekt überführen. Die größte Hürde für den Start sei allerdings die ungeklärte Finanzierung: "Der Arzt will nicht, die Kassen dürfen nicht zahlen, und solange telemedizinische Leistungen nicht per Schlüssel abzurechnen sind, wird sich nichts ändern", prognostiziert Detecon-Mann Flügel. Ähnlich die Situation in Bonn: 50 Ärzte und sieben Krankenhäuser schlossen sich im Oktober 2001 zum Bonner Gesundheitsnetz zusammen. Seitdem sei praktisch nichts passiert, bedauert ein Mitarbeiter des IT-Dienstleisters GWI.

In Mecklenburg-Vorpommern und Bonn sind Praxen, Krankenhäuser und Gesundheitszentren eigenständige Unternehmen. Der Sozialversicherungsträger Knappschaft dagegen ist Krankenversicherung und Sozialversicherungsträger (Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung) in einem - mit eigenen Kliniken und Ärzten. "Unser Vorteil: Wir bekommen alle Parteien schnell an einen Tisch", sagt Zimmermann.

So ließ sich die Strategie der Knappschaft, in die nötige technische Infrastruktur zu investieren und diese über die Einsparungen wieder in die Kassen zurückzuleiten, schnell umsetzen. Ein Netzvorstand aus sechs Ärzten und drei Knappschaftsmitarbeitern organisiert das Netzwerk. Einmal pro Monat gibt es eine Vorstandssitzung, einmal im Quartal eine Netzwerkkonferenz mit allen Netzärzten. Sollten die Zahlen auch in den nächsten Projekten, die seit Anfang 2002 aus dem Pilotstadium heraus sind, stimmen, hält Zimmermann sogar einen CIO für sinnvoll.