Kreativität

Im Dunkeln ist gut denken

28.01.2013 von Kristin Schmidt
Menschen sind im Dunkeln kreativer. Das haben Dortmunder Forscher in einer Studie herausgefunden.
Die Studienteilnehmer befinden sich in einem Raum absoluter Dunkelheit, wie es ihn in der Natur nicht gibt.
Foto: cio.de

Sie sehen einfach nichts, alles ist schwarz, an die sprichwörtliche Hand vor Augen ist überhaupt nicht zu denken. Die Teilnehmer des Experiments mussten ihre Uhren ablegen. Die Ziffernblätter könnten leicht leuchten. Selbst der blinkende Punkt am Handy, der eine angekommene SMS vermeldet, strahlt förmlich durch den dicken Jeansstoff der Hosentasche hindurch. Die Studienteilnehmer befinden sich in einem Raum absoluter Dunkelheit, wie es sie in der Natur nicht gibt. Ein dichter Nadelwald bei Nacht wirkt dagegen wie ein lichtdurchfluteter Wintergarten.

Diese totale Finsternis fasziniert Strategieberater Michael Lück schon seit 2005. Er hat begonnen Messestände zu verdunkeln, um den Kunden alleine durch ühlen oder schmecken die Produkte seiner Auftraggeber näher zu bringen. Er veranstaltet für Unternehmen Seminare zur Team- oder Strategieentwicklung und Personalauswahl in absoluter Dunkelheit.

Dabei ist ihm aufgefallen, dass seine unsichtbaren Gesprächspartner in der Dunkelkammer wesentlich kreativer sind als außerhalb. Prinzipiell hielt Lück seine Beobachtung für plausibel. Keine Ablenkung von außen, weniger Hemmungen und eine größere Offenheit machen die kreativen Ausbrüche seiner Meinung nach möglich.

Dass Lücks Einschätzung nicht bloß Auswüchse einer geistigen Umnachtung sind, haben BWL-Professor Hartmut Holzmüller und seine Kollegin Vanessa Hasselhoff nun für den Strategieberater herausgefunden. Doch das Ergebnis überraschte selbst die Experten. "Mit einer fast 30 Prozent höheren Kreativität haben wir nicht gerechnet", sagt der Forscher der TU Dortmund.

In einer Versuchsreihe mussten 74 Teilnehmer jeweils acht Aufgaben lösen. Die einen in Kleingruppen in normal beleuchteten Räumen, die anderen in totaler Dunkelheit.

Nenne alle runden Dinge, die dir einfallen!

Nenne alle runden Dinge die dir einfallen! Schnell kommen in beiden Gruppen Begriffe wie Ball oder Rad. Doch in der absoluten Finsternis träumen die Dortmund-Fans plötzlich von der Meisterschale, anderen fallen spontan zehn Küchenutensilien ein, die rund sind. Auch bei anderen Aufgaben, wie "Nenne ungewöhnliche Anwendungen für Kaugummi!" oder "Was kann man mit einer Zeitung machen!" lag die Anzahl der Antworten der lichtlosen Gruppen um durchschnittlich 30 Prozent höher als die der anderen.

Auch in Bezug auf die Vielfalt der Ideen konnten die Teilnehmer aus der Dunkelkammer besser abschneiden. Bei der Frage "Was kann man mit einer Zeitung alles anstellen?", kamen sie nicht nur darauf, sie zu lesen oder zu kaufen. Ungewöhnliche Antworten, wie verbrennen oder mit dem Papier die Badewanne zu verstopfen, wurden in den Raum gerufen.

Die Sehenden waren deutlich befangener. Sie konzentrierten sich meistens auf den Bastelaspekt. Papierhütte, Flieger oder gefaltete Schiffchen sind zwar durchaus originell, wurden von den Juroren aber als wenig abwechslungsreich bewertet.

Etwas weniger eindeutig ist der Unterschied in der Originalität der Ideen. Hier übertreffen die in Dunkelheit ersonnenen Antworten die anderen kaum.

Dennoch sind sowohl die Forscher als auch Strategieberater Lück davon überzeugt, dass die gedankliche Freiheit im Dunkeln größer und das der Hauptgrund für die höhere Kreativität ist. Menschen könnten die Reaktionen der anderen auf ihre Antworten nicht sehen und halten sich im weiteren Verlauf der Gesprächsrunde nicht zurück.

Außerdem sei man eher dazu bereit, gesellschaftlich unangepasste Antworten zu geben, wenn man dabei nicht gesehen wird. Wem als erstes das Wort "klauen" einfällt, wenn es darum geht, was man mit einem Kaugummi machen kann, würde im Hellen vermutlich schweigen.

(Quelle: Wirtschaftswoche)